Als Fernando Alonso die Ziellinie in Sotschi nach 53 Runden überquerte, war der Jubel im Lager von McLaren-Honda groß: Gerade hatte der Spanier Platz sechs nach Hause gebracht und acht Punkte auf sein WM-Konto hinzugefügt. Zum ersten Mal seit elf Rennen schaffte er es in die Top 10. Zudem war es sein bestes Ergebnis seit dem Ungarn-GP im Juli 2015.
"Heute hatten wir die nötige Pace", freute sich Alonso im Anschluss. Auch Teamkollege Jenson Button schnappte sich auf Platz zehn einen Zähler, nachdem er mit einem Überholmanöver gegen Sergio Perez wenige Runden vor Schluss den Doppel-Erfolg perfekt machte.
Die Erleichterung im Team dürfte riesig sein. Bis zum Rennen in Russland hatte McLaren lediglich einen WM-Punkt in dieser Saison eingefahren - kurioserweise von Ersatz-Pilot Stoffel Vandoorne, der den verletzten Alonso beim Bahrain-GP ersetzte.
In Australien crashte Alonso schwer, Button fuhr auf Platz 16 hinterher. In China verpassten die beiden Piloten ebenfalls recht deutlich die Punkteränge.
Das Problem heißt Honda
Dass man nun ausgerechnet in Sotschi ein erstes Ausrufezeichen setzte, mag überraschen. Der Olympia-Kurs gilt mit seinen langen Geraden und einem Vollgas-Anteil von 71 Prozent als Motorenstrecke. Und genau hier liegt das Problem für McLaren: Der Antriebspartner Honda hinkt der Konkurrenz immer noch hinterher.
Die Japaner liefern im Vergleich zu Mercedes, Ferrari und auch Renault deutlich weniger PS. Der Elektromotor ist noch nicht vollends ausgereift. Bereits 2015 machten die kinetische Energierückgewinnung (MGU-K) und die geringe Rückgewinnung der Turboabgase (MGU-H) Sorgen.
Während man die Leistung des Verbrennungsmotors über den Winter kaum steigern konnte, hat Honda nun immerhin im Hybridbereich Fortschritte gemacht.
"Wir haben bei der Leistungsentfaltung und beim ERS einen großen Schritt gemacht", erklärte Motorenchef Yusuke Hasegawa, der vor der Saison das Amt vom geschassten Yasuhisa Arai übernahm, bei Motorsport-Total.com: "Wir können mehr Energie speichern und deswegen können wir auch mehr Energie freisetzen."
"Werden aus dem Tal herauskommen"
Zudem scheint Honda einen Sprung in Sachen Zuverlässigkeit gemacht zu haben. Während Alonso und Button ihre Wagen in der Vorsaison 13 Mal vorzeitig abstellen mussten, fiel in den ersten vier Rennen diesen Jahres nur Button mit einem technischen Defekt aus (Bahrain).
Der Plan, den sich Honda nach der desaströsen Comeback-Saison auferlegt hatte, scheint damit im ersten Schritt aufzugehen: Die Standfestigkeit verbessern, danach die Leistung erhöhen.
"Es steht fest, dass wir aus dem Tal herauskommen werden", prophezeite McLaren-Boss entsprechend, setzt den Partner aber auch gleichzeitig unter Druck: "Wir glauben an die Aussagen von Honda. Wenn sie ihre geplanten Fortschritte machen, dann werden wir bald erheblich stärker sein."
Realismus kehrt ein
Denn klar ist: Das Chassis von McLaren hat großes Potenzial. Der MP4-31 gilt als starkes Auto, das nur von seinem Antrieb gebremst wird. Die Ansprüche in Woking sind seit jeher entsprechend groß. "Wir sind hier, um zu siegen und wir werden siegen", forderte Ron Dennis schon 2015 ein.
Diese Ansprüche hat auch Honda, wenngleich man in Japan mittlerweile etwas vorsichtiger auftritt und sich Zeit lässt. "In drei Jahren können wir in der Lage sein, den Titel zu holen. Das ist zumindest unser Ziel", sagte Hasegawa. Vor dem Comeback wollte man noch sofort auf einem Niveau mit Mercedes sein.
Nachdem dann nur Marussia schlechter als McLaren-Honda abschnitt, ist Realismus eingekehrt. "Unser Ziel sollte sein, regelmäßig in die Punkte zu kommen", forderte Alonso nach dem Russland-GP. In diese Richtung sprach auch Teamchef Eric Boullier: "Mit diesem Auto können wir regelmäßig ins Q3 fahren."
Kein Sturm, aber ein Aufwind
Dieses Unterfangen gestaltet sich noch als schwierig. "Momentan ist die Formel 1 sehr konkurrenzstark", stellte Button vor Sotschi fest: "Beim Bremsen fühlt sich das Auto sehr gut an. Aber es gibt immer noch Bereiche, in denen wir nicht stark genug sind."
Auf dem Ergebnis in Sotschi darf man sich daher nicht ausruhen. Zudem man trotz der leisen Euphorie bei McLaren zugeben muss, dass der Rennverlauf Alonso und Button in die Karten gespielt hat.
Sebastian Vettel, Max Verstappen, Nico Hülkenberg - sie alle schieden aus und hätten eigentlich das Potenzial gehabt, die McLaren zu schlagen. Red Bull, das an diesem Wochenende enttäuschte, steht im Normalfall ebenfalls vorne.
Insofern gleicht der Aufwind keinem japanischen Taifun, sondern eher einem sanften Lüftchen. Er ist da, braucht aber Zeit. Geduld ist also gefragt, dann könnten auch die passenden Ergebnisse folgen.
"Wenn wir gute Resultate einfahren, dann wird die Partnerschaft noch besser", hofft Hasegawa: "Wir starten von ganz unten, und wenn wir dann hochkommen, ist das eine sehr gute Story."
Die Formel-1-WM 2016 im Überblick