Die Euphorie der Anti-Favoriten

Alexander Maack
23. März 201721:15
Sebastian Vettel und Lewis Hamilton stritten sich vor dem F1-Auftakt 2017 fast um die Favoritenrolleimago
Werbung

Die Formel 1 startet mit dem Großen Preis von Australien (So., 7 Uhr im LIVETICKER) in die Saison 2017. Die Stimmung im Paddock ist so gut wie seit Jahren nicht. Mercedes und Ferrari liefern sich schon vor dem ersten Rennen in Melbourne einen erbitterten Kampf: Nur Favorit will keiner sein.

Noch bevor der erste Grand Prix mit den neuen, breiteren, schnelleren, fahrerfordernden Formel-1-Autos überhaupt begonnen hat, interessierte Fans und Medien nur eine Frage: Wer wird Weltmeister?

Sebastian Vettel und Lewis Hamilton waren bei der obligatorischen Pressekonferenz am Donnerstag einig in ihrer Uneinigkeit. Die Kurzfassung der Antworten auf die Frage nach dem Favoriten in Melbourne:

'Du.'

'Nein, du.'

'Nein, ihr.'

Wer ist wirklich der Favorit in der Formel 1?

Für Vettel ist klar: Lewis Hamilton bleibt mit Mercedes nach sechs Titeln in drei Jahren der Favorit. "Er muss es sein", sagte der Ferrari-Pilot: "Auch wenn das Reglement geändert wurde. Wenn ein Team stark ist, wird es auch im Jahr danach ein starkes Auto bauen. Egal, was mit den Regeln passiert."

Hamilton widersprach. "Noch kein Team hat vor und nach einer Regel-Revolution die Formel 1 dominiert", sagte der Vizeweltmeister.

Die letzte "Revolution" in der Formel 1 hatte schließlich ihn an die Spitze gespült. Mercedes beendete zur Saison 2014 mit Einführung der Hybridmotoren-Formel die jahrelange Überlegenheit der Red-Bull-Aerodynamik. Vettel fuhr nach vier WM-Titeln in vier Jahren nur hinterher und setzte sich zu Ferrari ab. Nur drei Jahre später starten alle Teams wieder bei null. 51 Mercedes-Siege aus 59 Rennen seit 2014 könnten schnell einer schönen Erinnerung verblassen, bekundete Hamilton: "Die Ferrari sind derzeit die Schnellsten. Sie sind die Favoriten."

Ferrari stark bei Wintertests in Barcelona

Stark waren Ferraris Leistungen bei den Wintertests in Barcelona. Die zweitmeisten Kilometer fuhren Vettel und Teamkollege Kimi Räikkönen im neuen SF60H, dem Auto, dessen Grundzüge James Allison designt hatte. Das neue Team des Technikdirektors, Mercedes, spulte ein paar Umläufe mehr ab, musste sich bei der Jagd nach den schnellsten Rundenzeiten aber geschlagen geben.

Auf fünf Tagesbestzeiten brachte es Ferrari und beeindruckte nebenbei mit seinen Rennsimulationen. "Viele Leute sprechen in hohen Tönen von uns, aber das waren nur Wintertests, da ist es sehr einfach, die falschen Eindrücke zu erhalten", sagte Vettel.

Dass der Deutsche die Tests kleinredete und nur davon von der Arbeit sprechen wollte, die Lücke zu Mercedes zu schließen, fand Hamilton interessant: "Sebastian euphorisiert sonst mehr. Ich kann sagen: Er versucht etwas zu verstecken."

Formel-1-Piloten von neuen Autos euphorisiert

Einig waren sich die beiden Favoriten auf die Fahrer-WM aber nicht nur bei der Wahl der Verfolgerrolle. Erstmals seit Ewigkeiten äußern sich sämtliche Formel-1-Piloten unisono, was die Beurteilung der neuen Saison betrifft. Kurzfassung: 'Es wird geil.'

Die neuen Regularien, die mehr Anpressdruck und höhere Kurvengeschwindigkeiten bringen, euphorisieren die Piloten. Als Rennfahrer wolle man immer die schnellsten Autos fahren, erklärte Hamilton gutgelaunt: "Die Herausforderung diesen Speed auszuschöpfen, ist großartig. Es ist mehr die Richtung, wie die Formel 1 sein sollte - vom Physischen her."

Das gesamte Fahrerfeld hat den Winter über an der Fitness gearbeitet. Besonders die Nackenmuskulatur musste verstärkt trainiert werden, weil sie durch die höheren Kurvengeschwindigkeiten mit höheren Fliehkräften belastet wird. Der von Manor zu Force India gewechselte Mercedes-Junior, Esteban Ocon, legte in der Formel-1-freien Zeit fünf Kilo Muskelmasse zu. Ein stolzer Wert bei gerade einmal 66 Kilo Gesamtmasse des 1,86m-Hünen.

"Die Autos sind unterhaltsamer", so Daniel Ricciardo. Hamilton ergänzte: "Wir sind Athleten und die Formel 1 sollte der physisch anspruchsvollste Sport aller Rennserien sein. Das war in den letzten Jahren nicht der Fall." Jetzt aber kämen die Fahrer wieder an ihre Grenzen.

Zufriedenheit dank mehr Tempo

Selbst Dauernörgler Fernando Alonso, vom McLaren-Honda gebeutelt, kann sich der Euphorie nicht entziehen. "Diese Autos setzen durch die Kurvengeschwindigkeiten so viel Adrenalin frei. Verglichen mit den letzten Jahren ist es ein richtiger Schritt vorwärts. Nicht nur für uns Fahrer, sondern auch für die Zuschauer. Die Leute auf der Tribüne und vor dem Fernseher sehen Spektakel und das ist positiv."

Der Spaß und die Freude am eigenen Sport sind zurück im Formel-1-Paddock. Auf und abseits der Strecke. Dass Alonso, nach seinem größten Wunsch befragt, für Einheitsmotoren plädierte, war eine Spitze gegen den anfälligen Honda-Antrieb. Dass Hamilton witzelte, Einheitstriebwerke sollten unter keinen Umständen von den Japanern kommen, komplettierte die neue Lockerheit.

Die Formel 1 steht vor einer großen Chance: Die Negativkommentare der letzten Jahre von Fahrern, Teamchefs und Bernie Ecclestone könnten bald vergessen sein.

Neueigentümer Liberty Media will die Marke wieder aufwerten, positivgestimmte Fahrer sind elementar. "Es werden die schnellsten Autos, die wir jemals gefahren sind", sagte Vettel: "Was und ein gutes Gefühl gibt, ist die Kurvengeschwindigkeit. Ich denke, sie wieder auf dem Level von vor zehn Jahren, wenn nicht sogar ein bisschen höher."

Kommt es zum Dreikampf an der Spitze?

Noch wichtiger allerdings wird das Produkt auf der Strecke. Mercedes gegen Mercedes und 18 Verfolger ohne Chance will niemand sehen. Selbst Lewis Hamilton nicht: "Mehr Teams und Fahrer, die an der Spitze um Siege kämpfen, darum geht es im Rennsport."

Ein Team hat der dreifache Weltmeister dabei neben Ferrari auf der Rechnung: Red Bull. "Sie waren ziemlich weit hinten bei den Tests, zumindest verglichen mit Ferrari. Und ich habe kaum neue Teile bei ihnen gesehen, eigentlich gar keine. Ich gehe davon aus, dass sie hier etwas haben. Ich bin aufgeregt zu sehen, was sie mitbringen."

Drei Rennställe, die abwechselnd siegen? Nach der Mercedes-Dominanz der letzten Jahre wäre es ein Meilenstein für das Ansehen und das Interesse an der Formel 1.

Und wenn nicht? Hamilton plädierte dafür, die Abstände zwischen den grundlegenden Reglementrevolutionen zu verkürzen. "Drastische Änderungen peppen alles auf. Ich habe die Fans noch nie so aufgeregt vor der Saison erlebt wie dieses Jahr."

Die Formel 1 im Überblick