Miami, Race of Champions 2017. Pascal Wehrlein sieht den leicht in Führung liegenden Felipe Massa im Augenwinkel. Um kurz vor Schluss doch noch Meter gutzumachen, drückt er das Gas in der Zielkurve nochmals voll durch, rutscht dabei immer weiter in Richtung Streckenbarrikade, trifft die Schaumstoffklötze am Rand, touchiert anschließend den Brasilianer - und überschlägt sich.
Ein Schockmoment. Sofort läuft Massa zum umgedrehten Dreirad seines Kontrahenten, um zu sehen, ob dieser unverletzt ist. Und tatsächlich: Wehrlein steigt nur Sekunden nach dem Crash mit nach oben gestrecktem Daumen aus. "Ich bin okay", gibt er unmittelbar danach Entwarnung.
Doch der erste Eindruck täuschte. Wehrlein verletzte sich und musste in der Folge die ersten beiden Grands Prix der laufenden Formel-1-Saison ausfallen lassen. Ganze 85 Tage werden seit dem Zwischenfall im Januar vergangen sein, wenn er am Sonntag endlich wieder in einem F1-Rennen zum Einsatz kommt. "Wir freuen uns mitteilen zu können, dass Pascal Wehrlein beim Grand Prix in Bahrain wieder im Auto sitzen wird", bestätigte Sauber das nahende Comeback seines Fahrers via Twitter.
Beim Saisonauftakt in Australien war Wehrlein nur die Freitagstrainings gefahren, dann sagte er kurzfristig ab. "Ich fühle mich noch nicht fit genug für eine komplette Renndistanz", erklärte Wehrlein seinen überraschenden Rückzug: "Die Verantwortlichen des Teams haben entschieden, kein unnötiges Risiko einzugehen." Für den Rest des Wochenendes übernahm dann Ersatzpilot Antonio Giovinazzi das Cockpit. Zwei Wochen später in China griff nur der Italiener ins Lenkrad, Wehrlein blieb zuhause.
Verwirrungen um Verletzung
Nun, auf dem Bahrain International Circuit, ist der Mann mit der 94 auf seinem Auto wieder zurück. "Ich brenne auf den Einsatz", freut sich Wehrlein gegenüber der tz: "Nach einem Spezialtraining in Salzburg fühle ich mich jetzt bereit." Die Sondersitzungen zum Muskelaufbau waren dabei bitter nötig. Mehrere Wochen musste er sich nach seinem Unfall schonen. Warum? Darüber gab der 22-Jährige erst in Sakhir genaueren Aufschluss: "Fünf Brustwirbel habe ich mir gestaucht, drei davon habe ich mir gebrochen."
Zuvor spekulierten die Medien wild über die Gründe für Wehrleins Ausfall, Verschwörungstheorien machten die Runde. Wie konnte der Sauber-Pilot die Wintertestfahrten scheinbar problemlos bestreiten, wenn er doch schwerer verletzt ist? Ist die mangelnde Fitness gar nur vorgeschoben, um Ferrari-Nachwuchsfahrer Giovinazzi ein Stammcockpit bei Sauber zu garantieren? Schließlich fährt der Schweizer Rennstall mit einem Ferrari-Motor, Wehrlein hingegen ist ein Mercedes-Sprössling.
Vermutungen, die bei Motorsportchef Toto Wolff "den Kragen platzen" ließen. Wehrlein sei entgegen der Behauptungen keine Prinzessin, "die nicht im Auto sitzen will. Es war eine sehr schwerwiegende Verletzung, die wir eigentlich nicht breittreten wollten. Aber jetzt ist es Zeit, es zu sagen - damit die Leute Ruhe geben". Dass Wolff dabei von gebrochenen Halswirbeln sprach und damit Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn widersprach ("Die Verletzung trifft die Brustwirbelkörper."), setzte der ganzen Posse die Krone auf.
Zwei gescheiterte Chancen
Wehrlein selbst hat sich während all der Diskussionen nicht geäußert. Stattdessen arbeitete er eifrig am Comeback. Und das wolle er nun einfach genießen: "Für mich ist es erst einmal wichtig, ins Auto zurückzukommen und mich wohl zu fühlen."
Dieser Prozess sollte idealerweise schnell vonstatten gehen. Denn Wehrlein fährt 2017 wohl mehr denn je um seine Zukunft, nachdem das letzte Jahr vor allem gegen Ende nicht nach Plan lief. Zwar feierte der gelernte Feinmechaniker beim Österreich-GP sensationell einen Punktgewinn im unterlegenen Manor. Als es aber um die Vergabe des durch Nico Hülkenbergs Wechsel freigewordenen Force-India-Cockpits ging, zog er gegen seinen damaligen Teamkollegen Esteban Ocon den Kürzeren.
"Es hatte nichts mit der Performance zu tun, sondern damit, wie sie mit mir zurechtkamen - vor allem auf persönlicher Ebene", gab Wehrlein gegenüber autosport zwischenmenschliche Probleme als Ursache an. Bereits 2015 soll es bei Testfahrten laut motorsport-total.com zu Spannungen gekommen sein.
Doch im Dezember eröffnete sich dann plötzlich eine noch viel größere Chance: Nico Rosberg gab überraschend seinen Rücktritt bekannt. Für das vakante Mercedes-Cockpit kamen eigentlich nur zwei Kandidaten in Frage - Wehrlein und Valtteri Bottas.
Der Finne erhielt den Vorzug, wieder ging der DTM-Champion von 2015 leer aus. "Wir wollen Pascal nicht verbrennen", begründete Wolff die Entscheidung bei auto, motor und sport. Und der Aufsichtsratsvorsitzende Niki Lauda fügte in der Sport Bild hinzu: "Er wäre wegen seiner geringeren Erfahrung theoretisch ein größeres Risiko geworden." Vertrauen sieht anders aus.
Gipfelsturm oder Talabfahrt?
Um die Mercedes-Chefs in seinem zweiten Formel-1-Jahr voll und ganz von sich zu überzeugen, muss Wehrlein also einen besseren Eindruck als in seiner Rookie-Saison hinterlassen. Die Chance hat er nun mit zwei Rennen Verspätung bei Sauber. In dem krisenbehafteten Team muss sich der Youngster zu einer Führungspersönlichkeit entwickeln und Stallgefährte Marcus Ericsson klar hinter sich lassen. Schließlich gilt der Schwede in Fachkreisen maximal als Durchschnittsfahrer.
Schafft es Wehrlein, diese Herausforderungen zu stemmen, ist ihm dank der Mercedes-Unterstützung wohl auch 2018 ein F1-Cockpit gewiss. Kann dabei Bottas gegen Hamilton nicht überzeugen, winkt im besten Fall sogar ein Platz im Weltmeisterteam. Doch scheitert Wehrlein, könnte das Thema Königsklasse schneller als gedacht vorbei sein.
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