Undercut? Overcut!

Von Sebastian Schuch
Sebastian Vettel profitierte beim Monaco-GP von einer alternativen Strategie
© getty

Sebastian Vettel gewinnt den Monaco-GP der Formel 1 dank der besseren Strategie gegenüber seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen. Während der Finne auf einen Undercut der Konkurrenz reagiert, versucht es Vettel mit einem Overcut - und wird wie Daniel Ricciardo belohnt. Auch die Reifen haben ihren Anteil.

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"Max kam an die Box, wir mussten reagieren. Valtteris Reifen waren hinüber", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff nach dem Monaco-GP am Sky-Mikrofon. Mit diesen Worten sprach der Österreicher eines der normalsten Manöver in der Formel 1 an: die Reaktion auf einen versuchten Undercut der Konkurrenz.

In Runde 33 steuerte Max Verstappen seinen Red Bull in die Boxengasse, um so mit neuen Reifen und freier Fahrt den Rückstand auf Valtteri Bottas innerhalb von einer Runde aufzuholen und durch den Geschwindigkeitsvorteil am Ende der Boxengasse am Finnen vorbei zu gehen. Mercedes reagierte umgehend und Bottas blieb dank des deutlich schnelleren Stopp vor dem Niederländer.

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Als Folge der Stopps von Red Bull und Mercedes holte Ferrari den in Führung liegenden Kimi Räikkönen in die Box. Durch die bevorstehnden Überrundungen sahen die Strategen einen Nachteil gegenüber der Konkurrenz. Ein Platzverlust sollte vermieden werden.

Vettel nutzt freie Fahrt

Die Reaktion der Scuderia ist dabei mehr als nachvollziehbar, wenngleich auch mit wenig Weitsicht. Ein ungeschriebenes Gesetz der Königsklasse lautet: der besserplatzierte Fahrer bestimmt die Strategie. Als er von seinem Team zum Wechsel auf Supersoft gerufen wurde, dürfte Räikkönen die Maßnahme verstanden und wohl auch unterstützt haben - in der Annahme, Vettel käme eine Runde später.

Da der Iceman aber hinter dem Schlussduo Wehrlein/Button auf die Strecke zurück kam und Vettel eine Fabelrunde auf den Asphalt zauberte, entschied man bei den Roten aus Maranello auf eine alternative Strategie.

Während Räikkönen also erneut beim Überrunden von Button und Wehrlein wertvolle Zeit liegen ließ, nutzte sein Teamkollege die freie Strecke und brannte eine 1:15,6 ab. Zu diesem Zeitpunkt die klar schnellste Runde des Rennens.

Dass Vettel eine derartige Zeit abliefern konnte, verstand er nach dem Rennen selbst nicht ganz. "Ich hatte im ersten Stint Probleme mit den Reifen, doch dann hatte ich eine zweite Chance auf den Ultras", erklärte er beim obligatorischen Sieger-Interview. Die Reifen hatten die sprichwörtliche zweite Luft.

Ricciardo lässt fliegen

Direkt im Anschluss an den Grand Prix im Fürstentum wurden erste Stimmen laut, Ferrari habe Vettel bewusst mit der alternativen Strategie einen Vorteil verschafft, um so geschickt eine Stallregie zu vertuschen. "Es ist sehr ungewöhnlich, dass der Führende an der Box vom Teamkollegen überholt wird - es sei denn, das Team entscheidet es so. Das ist ziemlich klar", sagte etwa Lewis Hamilton. Kimi Räikkönens Miene bei der Siegerehrung machten den Eindruck, als habe er den gleichen Gedanken.

Das Rennergebnis im Überblick

Ganz aufzuklären ist diese Situation wohl nicht, eine Tatsache geht aber etwas unter: Daniel Ricciardo ließ seinen Red Bull regelrecht über die Strecke fliegen. Vettel musste zu diesem Zeitpunkt auf die schnellen Runden des Australiers reagieren und draußen bleiben. Hätte er das nicht getan und stattdessen auf die kalten, langsameren Supersofts gewechselt, hätte ihm ein ähnliches Schicksal gedroht wie Bottas und Verstappen, die nach ihrem Stopp hinter den Sunnyboy zurück fielen.

"Nachdem Max und Bottas an der Box waren, hatte ich freie Fahrt und konnte ein paar gute Runden fahren", beschrieb Ricciardo die entscheidenden Runden zur Halbzeit des Rennens. Vettel schob hinterer: "Es war nicht geplant, dass ich länger draußen bleibe."

Im Endeffekt reagierte Ferrari mit beiden Fahrern lediglich auf unterschiedliche Strategien. Mit Räikkönen sollte ein Undercut durch Bottas und Verstappen abgewehrt werden, mit Vettel ein Overcut durch Ricciardo.

Overcut als richtige Strategie

Genau damit entschloss sich der Kommandostand der Scuderia für die schlussendlich Sieg-bringende Strategie. Da selbst die Ultrasoft, Pirellis weichste Reifen in der gesamten Palette, eine lange Haltbarkeit prognostizierte wurde, konnte zumindest gehofft werden, dass sie sich nach einem kleinen Tief noch einmal erholen könnten.

Wehrlein und Button setzten auf diese Strategie, als sie schon in der ersten Runde die Supersoft für Ultras eintauschten. Ob es funktioniert hätte, kann durch den Crash der beiden nicht beantwortet werden. Bei Vettel erholten sich die Reifen zumindest.

Noch mehr als der Deutsche profitierte natürlich Ricciardo vom Overcut gegenüber der Konkurrenz. Von Platz fünf schob er sich aufs Podium. Ohne den späteren Stopp wäre das bei einem Rennen, in dem die Überholmanöver auf der Strecke an einer Hand abgezählt werden können, nicht möglich gewesen.

Diese Strategie wurde von Hamilton ins Extreme getrieben. Erst in Runde 47 kam der Mercedes Pilot zum Reifenwechsel und konnte sich so immerhin bis auf Rang sieben nach vorne schieben. Für den Engländer war es das bestmögliche Ergebnis nach dem verpatzten Qualifying am Samstag.

Brauchbare Alternative zum Undercut?

In Monaco profitierten die Teams, trotz den nominell am schnellsten abbauenden Reifenmischungen, von der langen Haltbarkeit der schwarzen Gummis. Ein Overcut wäre aber auch bei den kommenden Rennen, angefangen von Montreal und Baku, denkbar.

Noch am Samstag gaben die Pirellis nach dem 3. Freien Training zu, dass die Reifen in dieser Saison zu hart seien und weichere Pneus 2018 "denkbar" wären. Zu vorsichtig waren die Italiener durch die Änderungen im Reglement. Für diese Saison sind die Mischungen final und ermöglichen so unterschiedliche Strategien.

Schon in Barcelona erholten sich die Reifen nach einem vermeintlichen Einbruch und ließen wieder schnellere Rundenzeiten zu. Die Zeiten, in denen ein Undercut das beherrschende Strategieelement ist, könnten also vorbei sein. Besteht künftig die Chance, dass die Gummis eine zweite Luft bekommen, dürften es sich die Teams zweimal überlegen, ob sie auf einen Undercut der Konkurrenz reagieren.

Auch ob überhaupt ein Undercut versucht wird, könnte sich in den kommenden Rennen ändern. Denn warum die schnelleren weichen Reifen bei einer kurzen Schwächephase direkt wechseln, wenn die Zeiten auf der härteren Mischung nur marginal schneller sind? Mit dieser Frage werden sich die Strategen auseinandersetzen müssen. Und dann bedeutet Strategie auch wieder mehr als eine Reaktion auf eine Aktion der Konkurrenz.

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