Nach Ferraris enttäuschendem Ergebnis beim Heim-Grand-Prix in Monza, bei dem Sebastian Vettel den beiden Mercedes von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas meilenweit unterlegen war und mit über einer halben Minute Rückstand die Ziellinie überquerte, sollte in Singapur das Ruder wieder herumgerissen werden.
Das Profil des Ferraris verträgt sich schließlich perfekt mit dem des Marina Bay Street Circuits. Enge, winklige Kurven, große Hitze - all das sind Komponenten, die den Italienern zugutekommen sollten.
Als Singapur-Rekordsieger Vettel dann am Samstag mit einer überragenden Runde auf die Pole Position raste und sich in der Startaufstellung auch noch Teamkollege Räikkönen sowie die beiden Red Bulls von Max Verstappen und Daniel Ricciardo zwischen ihn und WM-Rivale Hamilton quetschten, schien der Plan perfekt aufzugehen.
Doch nach wenigen Metern am Sonntag die Ernüchterung: Vettel stellte seinen Boliden am Streckenrand ab und beendete das Rennen vorzeitig. Nullnummer statt volle Punkteausbeute. Desaster statt WM-Führung.
Vettel löst Kettenreaktion aus
Aber wie konnte aus der großen Hoffnung eines perfekten Resultats binnen weniger Sekunden eine schmerzende und möglicherweise folgenschwere Niederlage werden? Begonnen hat alles mit einem "durchschnittlichen Start", den Vettel um 20 Uhr Ortszeit erwischte. Er sah im Rückspiegel den heraneilenden Verstappen und zog nach links, um die Lücke zu schließen. "Max machte ein bisschen Boden auf mich gut. Dann wollte ich die Linie zur ersten Kurve hin ein bisschen zumachen. Dann hat's auch schon geknallt", fasste der Heppenheimer den Vorgang zusammen.
Was er nämlich übersehen hatte: Räikkönen erwischte einen noch besseren Start als das Duo vor ihm und war bereits neben Verstappen, als Vettel rüberzog. Die Ferraris nahmen den Niederländer unfreiwillig in die Zange und raubten ihm jeden Platz. "Ich habe versucht, mich zurückzunehmen, weil ich es kommen gesehen habe", schilderte Verstappen später den Vorfall: "Aber die Hinterreifen sind breiter als die Vorderreifen, also kam ich da nicht mehr heraus."
Was folgte, war eine klassische Kettenreaktion. Verstappen traf Räikkönen, der wiederum schoss in Vettel. Ein paar Meter weiter rutschte das Ferrari-Red-Bull-Gespann auch noch in Fernando Alonso. Vettel gelang es zunächst, die Führung vor Hamilton zu behaupten, drehte sich aber nach zwei Kurven und krachte beim Rettungsversuch in die Mauer. Rückwärts und ohne Nase schlitterte der viermalige Weltmeister seinem Aus entgegen.
Verstappen attackiert Vettel
"Es ist richtig Kacke gelaufen, da Kimi und ich jetzt beide draußen sind", sagte Vettel noch während des Rennens. Das Ergebnis sei vor allem "bitter, weil die Voraussetzungen hier sehr gut waren".
Der machtlose Verstappen, der sonst nicht gerade als Kind von Traurigkeit gilt, sah die Schuld dabei "hauptsächlich" bei Vettel. "Er hat angefangen, mich einzuquetschen. Vielleicht hat er Kimi links nicht gesehen, aber das ist keine Ausrede. Wenn man um die WM kämpft, sollte man kein solches Risiko gehen. Man kann sehen, was passiert. Lewis führt das Rennen an und wir drei sind raus", ärgerte sich der 19-Jährige, der sich eine Verbalattacke nicht nehmen ließ: "Ich bin froh, dass wir alle ausgeschieden sind - und nicht nur ich."
Die Scuderia selbst schob die Schuld in Verstappens Rennstiefel. Auf Twitter kommentierte der Rennstall: "Verstappen hat Kimi rausgehauen und ist dann in Vettel reingerasselt." Eine Anschuldigung, für die der Ex-Fahrer und heutige Sky-Experte Martin Brundle kein Verständnis hatte. "Das geht überhaupt nicht", echauffierte sich der Brite: "Die Schuld kann man bei diesem Unfall nur in eine Richtung suchen - und das ist nicht Verstappen. Er ist gut weggekommen und fährt einfach nur geradeaus."
Für Niki Lauda trug eine "Verkettung blöder Umstände" zu dem Start-Chaos bei, auch wenn er die Hauptverantwortung ebenfalls in Vettels Händen sieht. "Sebastian hat Kimi nicht gesehen. Dass er dann so herüberzieht, hat zu dem Unfall geführt", erklärte der Aufsichtsratschef von Mercedes.
Ist die WM für Vettel nun gelaufen?
Auch die Rennstewards nahmen sich das Geschehnis nach dem Grand Prix zur Brust. Das Urteil: Rennunfall. Keiner der beteiligten Fahrer muss damit mit einer Strafe rechnen.
Für viel Erleichterung dürfte die Entscheidung bei Vettel nicht gesorgt haben, schließlich ist sein Rückstand in der WM nun auf 28 Punkte gestiegen. Bei den nächsten Rennen in Malaysia und Japan dürfte Mercedes schon rein von der Anlage besser aufgestellt sein als in Singapur. Auch in Mexiko und Abu Dhabi ist der Silberpfeil Favorit, in den USA und Brasilien ist ebenfalls mit Hamilton zu rechnen.
Schreibt der Engländer in den restlichen sechs Saisonläufen nicht auch mindestens einmal einen Nuller, dürfte die Titel-Eroberung für Vettel mehr als nur schwierig werden - und die Fahrerweltmeisterschaft würde zum vierten Mal in Folge zu Mercedes wandern.
So weit will Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene aber nicht denken: "Der Kampf ist noch nicht vorbei, er ist nur schwieriger geworden. Wir haben bewiesen, dass wir ein exzellentes Auto haben und werden bis zur letzten Kurve beim letzten Grand Prix des Jahres fighten."