18 Jahre und 228 Tage war Max Verstappen alt, als er beim Großen Preis von Spanien 2016 Geschichte schrieb. Als jüngster Formel-1-Sieger aller Zeiten. Als jüngster Pilot auf dem Siegerpodest. Und als jüngster Fahrer, der je einen Grand Prix angeführt hat. Rekorde, die für die Ewigkeit sein könnten.
Und Rekorde, die der Niederländer in seinem ersten Rennen überhaupt für Red Bull aufgestellt hatte. Nur anderthalb Wochen zuvor nämlich gab der österreichische Rennstall überraschend die Beförderung Verstappens bekannt - im Tausch für Daniil Kvyat, den man nach seinen "Torpedo"-Aktionen ins Junior-Team Toro Rosso degradierte.
Das, was sich da in Barcelona abspielte, war also die berühmte Geschichte, die nur der Sport schreibt. Verstappens Triumph war eine Sensation und der endgültige Beweis dafür, dass er ein ganz Großer seiner Zunft werden kann.
Ein Jahr später wäre ein erneuter Sieg auf dem Circuit de Catalunya freilich ungleich weniger historisch. Sensationell wäre er ob der bisherigen Saisonleistung von Red Bull aber allemal. Statt um erste Plätze zu fahren, ist das einstige Weltmeisterteam nämlich lediglich dritte Kraft im Feld. Ferrari und Mercedes machen den WM-Kampf bislang unter sich aus, 79 beziehungsweise 78 Punkte Rückstand sprechen eine klare Sprache. Nur in China sprang ein Podestplatz heraus und auch nur dort fanden beide Fahrer den Weg ins Ziel.
Die einstige Paradedisziplin als Rätsel
Dabei war Red Bull eigentlich als Geheimfavorit ins Jahr gestartet. Experten waren sich sicher, dass die einschneidenden Regeländerungen im Bereich der Aerodynamik dem Team um Design-Genie Adrian Newey in die Karten spielen würden. Die Vergangenheit hat schließlich genau das gezeigt, wie auch Motorsportberater Helmut Marko immer wieder betonte.
Doch schon bei der Präsentation der neuen Autos fiel auf: Dem RB13 fehlt der Aha-Effekt. Diese eine geniale Idee, die herausragt und zum Staunen einlädt. So wie sie etwa Ferrari mit den ausgeprägten Seitenkästen, dem vermeintlich flexiblen Unterboden und dem super-schlanken Heck gleich in mehrfacher Form gelungen ist.
War es stets das Chassis, das als Red Bulls Paradedisziplin galt, treten in diesem Jahr ausgerechnet hier ungewohnte Schwächen auf. Das Hauptproblem: Die bisherige Lösung generierte keinen Abtrieb am Heck. Dadurch kamen die Hinterreifen nur schwer auf Temperatur, sodass sich die Ingenieure gezwungen sahen, die Gummis über die Felge aufzuwärmen. Dabei ging Red Bull allerdings schon zwei Mal zu weit. Die Bremssättel erhitzten zu stark und fingen Feuer - Verstappen fiel deswegen in Bahrain aus, Ricciardo in Russland.
Damit das Auto weniger rutscht, mussten die beiden Piloten zudem mit mehr Heckflügel fahren. Das kostet Topspeed. Darüber hinaus galt die Setup-Arbeit als ungewöhnlich schwierig. "Wir haben ein Chassis, das ganz schwer abzustimmen ist", erklärte Marko bereits in Australien: "Wir machen kleine Änderungen, aber die Auswirkungen sind drastisch - plötzlich fahren wir eineinhalb Sekunden schneller. Das müssen wir verstehen lernen. Wir müssen die richtigen aerodynamischen Teile zueinander fügen."
RB14 statt RB13-B?
Entsprechend intensiv ist Red Bull die Thematik angegangen. Laut Teamchef Christian Horner habe Newey "Tag und Nacht daran gearbeitet", sodass der ehemalige Rennstall von Sebastian Vettel mit einem großen Upgrade-Paket nach Barcelona reist. "Die ganze Fabrik hat sich darauf fokussiert", sagte Horner bei Sky F1: "Das ist nun hoffentlich der Katalysator für eine gute Saison."
Den Boliden sollen eine neue Nase sowie eine weiterentwickelte Aufhängung angeschraubt werden. Auch der Anstellwinkel der Autos sei nun stark überarbeitet. "Das Reglement ist ja noch immer sehr frisch. Insofern sind da noch große Steigerungen möglich", hofft Horner.
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Zwar haben umfangreiche Upgrades zum Europa-Auftakt Tradition in der Formel 1. Die Veränderungen am Red Bull sollen aber dem Vernehmen nach die üblichen Ausbaustufen übertreffen. So ist auch nicht von einer B-Version des RB13 die Rede, sondern von einem RB14. Ein neues Auto also?
"Ich würde nicht sagen, dass die ganze Saison von diesem Update abhängt, aber die erste Hälfte bis zum Sommer. Das Update wird also bestimmen, ob wir bis dahin auf das Podest kommen oder nicht", weiß Ricciardo um die Bedeutung der Weiterentwicklung. Und Marko warf bei auto, motor und sport ein: "Von den Daten her haben wir mit dem Upgrade unsere Ziele erreicht. Ich will das jetzt aber endlich auch auf der Stoppuhr in Barcelona sehen."
Realismus statt Optimismus
Schon bei den Winter-Testfahren zeigte sich schließlich, dass die Zahlen aus dem Windkanal täuschen können. Entsprechend vorsichtig gibt sich das Team nun bei Prognosen. "Wir müssen erst sehen, was die Neuerungen am Auto bringen", gab Verstappen zu Protokoll: "Ich hoffe, dass wir damit etwas näher an die Top-Teams heranrücken oder dass wir ihnen wenigstens folgen können, das wäre schon ein guter Fortschritt." Auch Ricciardo wäre bereits zufrieden, wenn er "es bis auf eine halbe Sekunde an Mercedes und Ferrari ran schaffen" würde.
Große Töne spuckt bei den Österreichern also aktuell niemand. Zu groß war der Rückstand auf die Konkurrenz in den ersten vier Saisonläufen. Im Schnitt fehlten im Qualifying 1,3 bis 1,5 Sekunden, im Rennen war der Abstand nur unerheblich geringer. Zumal es mit einer Aero-Auffrischung nicht getan ist. Denn auch auf Motorenseite gibt es Probleme. "In diesem Jahr liegt die mangelnde Performance zu 50 Prozent am Chassis und zu 50 Prozent am Motor", erklärte Ricciardo das Defizit.
Dem Renault-Aggregat fehle es dabei nach wie vor an Power, wie Marko entgegen der jüngsten FIA-Behauptungen vorrechnete. Dazu haben die Franzosen noch immer Schwierigkeiten mit der Standfestigkeit. Ähnlich wie bei Honda macht die Elektromaschine MGU-H Sorgen. Und weil sich die MGU-K schon bei den Testfahrten als anfällig outete, war bisher nur das 2016er-Modell in den Power-Units von Renault verbaut. In Russland brachte dazu ein Wasserleck die Mechaniker zum Kämpfen.
Baldige Verbesserung? Ist nicht in Sicht. Ursprünglich wollte Renault bereits beim Spanien-GP mit einem großen Update glänzen. Der Termin wurde dann auf den Großen Preis von Kanada im Juni verschoben. Mittlerweile ist von Mitte Juli die Rede.
Red Bull unter Druck
Im schnelllebigen Formel-1-Zirkus verwundert es daher nicht, dass bereits über langfristige Konsequenzen spekuliert wird. Sowohl Ricciardo als auch Verstappen gelten als Top-Fahrer, die um die Weltmeisterschaft kämpfen wollen. Bietet ihnen Red Bull kein passendes Auto, werden sie sich womöglich nach Alternativen umsehen.
"Ich bin sicher, dass sich Max und sein Vater Gedanken machen werden, sollte es Red Bull nicht hinkriegen", mutmaßt Johnny Herbert, ehemaliger Teamkollege von Michael Schumacher und heutiger Sky-Experte: "Er muss zeigen können, ob er Titelpotenzial hat oder nicht. Und es würde mich überraschen, wenn sie keine Leistungsklausel im Vertrag haben."Eine Spekulation, die Marko sofort ins Reich der Fabeln verwies. "Es gibt entgegen aller Gerüchte keine Ausstiegsklausel in Verstappens Vertrag. Wenn wir ihn nicht freigeben, kann er nicht zu Ferrari wechseln", stellte der Grazer gegenüber Auto Bild Motorsport klar.
Und doch: Sollte Red Bull nicht der erhoffte Schritt nach vorne gelingen, werden die Spekulationen weitergehen. Schließlich wird sich ein Verstappen nicht lange mit einem einzigen Karrieresieg zufrieden geben - mag er auch noch so sensationell gewesen sein.
Die Formel-1-Saison 2017 im Überblick