Barcelona weist den Weg

Von SPOX/Andreas Renner
Champions-League-Sieger, Meister und Pokalsieger: Barcelona ist derzeit das Maß der Dinge
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Aber Rangnick gehört ja auch zu den Gründervätern des deutschen Raumdeckungsfußballs. Entwicklungen, die in anderen Klubs noch nicht abgeschlossen sind, hat Rangnick schon vor zehn Jahren hinter sich gelassen.

Er selbst sagt, dass er früher extrem häufig Defensivstrategien trainieren ließ, inzwischen aber 75 Prozent des Trainings auf die Offensive verwendet, weil der kreative, offensive Part schwieriger ist.

Und weil er nach genau den Lösungen sucht, die Siegenthaler vor drei Jahren gefordert hat. Auch das wird ein Teil der Lösung sein: Trainer lassen wieder mehr Offensive trainieren und deshalb werden ihre Mannschaften sich in diesem Bereich verbessern.

Freiburg spielt (nicht) wie Manchester United

Der SC Freiburg, der unter Volker Finke in den 90er Jahren selbst Pionierarbeit leistete, baut im Angriff auf die Dauerrochade. Und liegt damit auch international ganz weit vorne. Vier Offensivkräfte, die permanent die Positionen tauschen, keine Unterscheidung zwischen offensivem Mittelfeld und Sturm mehr, das kennt man sonst nur von internationalen Spitzenteams wie Manchester United oder dem FC Barcelona.

In Deutschland macht das sonst keiner. "Und ich hoffe, dass das auch noch eine Weile so bleibt", lacht SC-Trainer Robin Dutt, der aber Vergleiche mit Topteams sogleich reflexartig von sich weist. "Sagen Sie nicht, wir spielen wie Manchester United. Sonst heißt es gleich, der ist größenwahnsinnig."

Sacchi, Löw, Wehen-Wiesbaden

Tja, in Deutschland muss man offenbar immer den Eindruck vermitteln, nicht zu schlau zu sein. Sonst wird man, wie einst Rangnick, als Professor verspottet. Aber die Wahrheit ist: Freiburg spielt (und spielte auch unter Volker Finke schon) offensiv so flexibel wie Manchester United es in den letzten beiden Spielzeiten auch gemacht hat.

Genauso steht fest: Zweitligaabsteiger SV Wehen-Wiesbaden hat mit dem gleichen System wie die deutsche Nationalmannschaft gespielt: Nämlich mit dem Sacchi 4-4-2 aus den späten 80ern. Dummerweise waren die Spieler nicht ganz so gut wie die von Jogi Löw.

Null bis vier Stürmer

Zurück zu Freiburg: Diese Dauerrochaden kreieren ein System, das man, je nach Geschmack, 4-6-0 (also ohne echte Stürmer) oder auch 4-2-4, das aktuell Roma-Coach Luciano Spalletti in den Testspielen probt, nennen kann. Und prompt sind wir wieder in der Historie gelandet: 4-2-4, das haben Ungarn und Brasilianer schon in den 50ern gespielt. Und genau deshalb muss man sich mit der Fußball-Geschichte befassen, wenn man Lösungen für die Zukunft finden will.

Die Grundelemente sind nämlich alle schon da, es kommt nun darauf an, wie man sie kombiniert. Die Frage 4-6-0 oder 4-2-4 ist ohnehin akademisch. Muss man Mannschaften überhaupt noch in Abwehr, Mittelfeld und Sturm aufteilen?

Oder sollte man es wie Finke in Freiburg halten, der sagte: "Ich mache mir nur noch Gedanken, ob ich mit vier oder fünf Offensiven spiele." Bei dieser Rechnung zählt man die defensiven Mittelfeldspieler eben zum Defensivblock.

Renaissance des Voetbal total

Oder man sieht die Sache so: Die Stürmer und offensiven Mittelfeldspieler sind ohnehin offensiv orientiert. Die defensiven Mittelfeldspieler rücken vor und verwerten die flachen Hereingaben in den Rücken der Abwehr, die Außenverteidiger helfen, offensiv die Flügelpositionen doppelt zu besetzen und die Innenverteidiger machen die Kopfballtore bei Standards. Wie es Dutt sagt: "Bei uns hat jeder eine Offensivaufgabe."

Und auch das ist ja nun keine Fußballrevolution. Sondern nur die konsequente Umsetzung des holländischen Voetbal Total aus den 70ern.

Präzision ist das A und O

Barcelonas Passorgien, die Kontertaktik, mit der die deutsche U 21 Europameister wurde oder das 4-2-4, all das sind Lösungsmöglichkeiten für die Zukunft.

Eins trifft jedoch immer zu: Das Tempo muss stimmen, bei Passfolgen sollten höchstens zwei Ballberührungen nötig sein, alles muss so präzise wie möglich sein. Und dafür braucht man gute Spieler. An Barcelonas aktueller Mannschaft muss sich jedenfalls kein Trainer orientieren, der Akteure im Team hat, die den Ball nicht sauber stoppen können.

Holger Stanislawski vom FC St. Pauli stellt sich zum Beispiel vor, mit einem langen Diagonalschlag von hinten das Mittelfeld schnell zu überbrücken. Aber er weiß auch: "Die Lücke, in die der lange Ball kommen muss, ist nur drei bis fünf Meter groß. Und da braucht man einen Spieler, der diesen Pass technisch sauber spielen kann und einen, der ihn genauso technisch sauber annehmen kann."

Weil im ballorientierten Verschieben der nächste Gegenspieler immer in der Nähe lauert, wird keine Unsauberkeit verziehen. Und diese langen Bälle sind selbst auf Bundesliganiveau höchst anspruchsvoll.

Jugendarbeit trägt Früchte

Weil die Anforderungen immer höher werden, muss an der Detailarbeit mit den Spielern gefeilt werden. Dass die veränderte Jugendarbeit im DFB unter Matthias Sammer Früchte trägt, zeigen die drei Nachwuchstitel, die der DFB im letzten Jahr geholt hat.

Das technische und taktische Niveau beim Nachwuchs ist so hoch wie nie zuvor. Und trotzdem kann und muss daran weiter gefeilt werden, genau wie bei den Profis. Die Spieler immer besser zu machen, ist seit Klinsmann zwar nur noch die Pointe eines Witzes, aber Individualförderung im technischen Bereich ist auch im bezahlten Fußball möglich (und nötig).

Konservative Kräfte vs. Fortschritt