180.000 Quadratmeter und ein Traum

Linus Brüggemann
30. Dezember 201009:16
Das Gelände der Fußballschule von Desportivo Brasil umfasst insgesamt 180.000 Quadratmeteracademiatraffic.com
Werbung

Fußball-Talente sind neben Kaffee und Zucker das wichtigste Exportgut Brasiliens. Ein Anwalt aus Hamburg hat es erkannt und gemeinsam mit "TRAFFIC Sports Marketing" in Sao Paulo ein hochmodernes Trainingszentrum gebaut.

Als "Global Player" gewinnt Brasilien immer mehr an Bedeutung unter den großen Wirtschaftsnationen. Neben den traditionellen Geschäften mit Kaffee und Zucker erzielt das Land auch in anderen Bereichen zunehmend ökonomische Spitzenwerte. Dilma Rousseff ist vor wenigen Wochen die erste Präsidentin des Landes geworden. Doch während sich in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht in den letzten Jahren viel geändert hat und sich in Zukunft viel ändern wird, gibt es im fünftgrößten Staat der Erde immer eine Konstante: die exorbitant hohe Anzahl an Fußballtalenten. Ihr Verkauf hat seit 1993 1,7 Milliarden Euro eingebracht.

Über diese Konstante ist sich auch die Marketingagentur "TRAFFIC Sports Marketing" bewusst. Der Firma gehören Fernsehsender, Zeitungen und Produktionsgesellschaften. Die Abteilung "Fußball" ist dabei noch eine der kleineren. Dennoch besitzt die Firma neben den Rechten an der Copa Libertadores (die südamerikanische Champions League) eine der modernsten Fußballschulen der Welt. Darüber hinaus hält sie die Transferrechte von namhaften Spielern.

Die Verantwortlichen von Bayer Leverkusen zum Beispiel haben der Agentur Spieler wie Renato Augusto oder Henrique zu verdanken. Jochen Lösch, Deutsch-Uruguayer und früher als Anwalt in Hamburg aktiv, hat letztes Jahr den Maicosuel-Transfer von 1899 Hoffenheim auf den Weg gebracht. Lösch ist seit drei Jahren für die Auslandsgeschäfte der Firma verantwortlich.

Fußball als soziales Projekt

Er selbst war bei den ersten Planungen der Fußballschule noch nicht dabei. 2005 hatten Mitarbeiter der Firma eine Idee: Sie wollten den Kindern von Porto Feliz, einer kleinen Stadt in der Nähe von Sao Paulo, einen Ort bieten, an dem sie ihre Freizeit verbringen und Fußball spielen können. Aus dieser Idee entwickelte sich ein mittlerweile sehr profitables Geschäft: So steht in Porto Feliz das luxuriöseste Trainingszentrum, das es für junge Talente in Brasilien gibt.

Es sind Bedingungen geschaffen worden, die mit den Verhältnissen in Hoffenheim durchaus vergleichbar sind. Die Anlage umfasst eine Fläche von 180.000 Quadratmetern, auf der sieben Fußballfelder verteilt sind. Es gibt Fitnessräume, ein Medizinhaus, eine Bibliothek und vieles mehr. Die Fußballschule "Desportivo Brasil" ist eine Fabrik, die ein Talent nach dem anderen produziert.

Rundumbetreuung heißt die Formel für diese Erfolge: Ernährungswissenschaftler, Psychologen, Mediziner, Englischunterricht, Vorträge, Verhaltenskodex - für alles ist gesorgt. Hier ist jeder auf den großen Traum Europa fokussiert, noch immer das Eldorado für junge Spieler in Brasilien. Aber auch eine Karriere in Brasilien ist für sie längst nicht mehr unvorstellbar. Um einen dieser Träume einmal leben zu können, ist Desportivo Brasil das Sprungbrett schlechthin.

Sichtungen in ganz Südamerika

Knapp über 100 Schüler kommen hier unter. Alle verfügen über fußballerische Fähigkeiten der Extraklasse - es soll schließlich neben allem sozialem Engagement auch Geld verdient werden, und das sicher nicht wenig. So sind über das ganze Land Scouts verteilt - eine Voraussetzung dafür, dass im Klub nur Spieler landen, die durch einen späteren Verkauf ein möglichst lukratives Geschäft versprechen.

Aber auch in Argentinien, Paraguay, Uruguay oder Chile wird gesichtet. Die Späher sind in der Regel ehemalige Profis wie zum Beispiel der uruguayische Nationalspieler Dario Pereyra. Fällt ein Spieler auf, werden zuerst alle Statistiken von ihm gesammelt, egal ob Tore, Vorlagen, Zweikampfwerte oder Passquoten.

Gehört er dann immer noch in die Kategorie "Ausnahmetalent", gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, der Spieler möchte lieber in seiner Heimat bleiben und wird von "TRAFFIC Sports Marketing" unter Vertrag genommen und direkt wieder an seinen Heimatverein ausgeliehen - oder er bekommt einen Platz in der Akademie.

Ein "massives Upgrade" im Leben

Jochen Lösch beschreibt die Aufnahme in das Trainingszentrum als "massives Upgrade" im Leben der Kinder, die zum Teil aus armen Verhältnissen stammen. Schließlich bekommt jeder Jugendliche schon finanzielle Zuwendungen, anders seien sie gar nicht zu halten, sie müssten dafür aber auch größte Disziplin zeigen. "Schwänzt ein Spieler zum Beispiel den Schulunterricht, wird das Geld sofort gekürzt", sagt Lösch.

Mit 16 Jahren können die Talente ihren ersten Vertrag abschließen. Das wissen selbstverständlich auch die großen Vereine wie der FC Sao Paulo oder Flamengo - und locken die Spieler mit Handgeld und Autos. Es beginnt ein Wettbieten um die Talente - und die Spieler sind sich selbst nur zu gut bewusst, wie begehrt sie sind. "Das Klischee, dass der arme, kleine Junge von Kapitalisten ausgebeutet wird - das ist Schwachsinn", sagt Lösch im SPOX-Gespräch.

"Desportivo Brasil" versucht, seine Spieler mit den gleichen Mitteln, also Geld, oder mit einer Perspektive zu locken. Meistens gelingt das. "So wissen sie, dass das Geld auch pünktlich am ersten Tag des Monats auf dem Konto ist - das ist in Brasilien keinesfalls immer so", beschreibt Lösch die vorherrschenden Verhältnisse.

Vorbereitung auf den Alltag

Auch wenn der Fußball in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs von Brasilien zur Weltmacht nicht mehr die einzige Hoffnung für ein junges Talent darstellt: Der filigrane Umgang mit dem Ball ist hier immer noch der schnellste Weg zum Reichtum.

Und sollte ein Spieler an den hohen Erwartungen scheitern und den Sprung zum Profi nicht schaffen, nimmt er dennoch wichtige Erfahrungen mit. "Jeder wird bei uns auf das alltägliche Leben vorbereitet. Allein die Tatsache, dass ein Schüler nicht in Kontakt mit Drogen kommt, ist ein wichtiger Schritt. Aber auch ein Schulabschluss eröffnet neue Möglichkeiten", so Lösch.

Vom Traum zum Albtraum

Schafft nun ein Talent den Sprung zu den Profis eines brasilianischen Vereins, warten die nächsten Probleme auf ihn. Das liegt vor allem an der Atmosphäre in südamerikanischen Stadien. Der Traum vom Profifußball kann so auch schnell zum Albtraum werden.

Denn oft werden Spieler schon im Alter von 16, 17 Jahren ins kalte Wasser geworfen, was böse Folgen haben kann. Beim ersten Fehlpass wird der Spieler vom gesamten Stadion gnadenlos ausgepfiffen, nach einer Niederlage kann er sich nicht auf der Straße blicken lassen. Nicht selten passiert es sogar, dass die Fans am nächsten Tag das Trainingsgelände überfallen.

Hier geht's weiter mit Teil II: Sklaverei? "Das ist Schwachsinn"

Aufgrund dieser harten Schule ist Lösch davon überzeugt, dass brasilianische Talente in Europa niemals am Druck scheitern. "Die Erwartungen in Brasilien sind wesentlich höher. Das Problem ist vielmehr die Zeit nach dem Spiel. Der junge Spieler geht nach Hause, Freunde und Familie sind nicht da. Es gibt keine Bohnen und keinen Reis und das Wetter ist auch nicht gut. Das macht diese Jungs kaputt."

Ein Verein, der dieses Problem erkannt und perfekt gelöst hat, sei Bayer Leverkusen, so Lösch. "Andere Vereine verpflichten einen Brasilianer für zehn Millionen Euro, aber wollen keine 10.000 Euro für die Betreuung ausgeben - das ist der große Fehler."

Wichtiger Bestandteil der Förderung: Kraftaufbauacademiatraffic.com

Die Formel ist relativ simpel: Spürt ein Brasilianer, dass er gemocht wird, dann zahlt er es mit famosen Leistungen zurück. Wird nicht mit ihm geredet, zerbricht er daran. Kaum ein Verein kann mit brasilianischen Spielern solche Erfolge aufweisen wie Bayer.

Henrique, der vor zwei Jahren für Leverkusen spielte, hatte immer ein siebenköpfiges Team um sich - dementsprechend wohl fühlte er sich, dementsprechend stark waren seine Leistungen.

Abspielplattform für Talente

Damit die Geschichte eines jungen Brasilianers, der sich in Europa auf Anhieb durchsetzt, in der Zukunft zum Normalfall wird, hat "TRAFFIC Sports Marketing" den portugiesischen Zweitligsten GD Estoril Praia gekauft. Momentan belegt die Mannschaft den zweiten Platz und strebt den Aufstieg in die erste Liga an.

Der Verein ist eine sogenannte "Abspielplattform" für die jungen Talente, die dort erste europäische Erfahrungen sammeln. Da auch in Brasilien portugiesisch gesprochen wird, fällt den Spielern die Akklimatisierung deutlich leichter. Natürlich denkt "TRAFFIC Sports Marketing" nicht nur an die sprachlichen Parallelen, sondern darüber hinaus: Die Kontakte zum europäischen Markt sind automatisch hergestellt.

Partnerschaft mit Manchester

So besteht seit einiger Zeit eine Partnerschaft mit Manchester United. Auf einige der Talente besitzt Manchester bereits eine Option - allerdings erst, wenn sie das 18. Lebensjahr erreicht haben. Noch steht kein ehemaliger Spieler von "Desportivo Brasil" im Kader des Champions-League-Siegers von 2008, aber in den kommenden Jahren wird sich das ändern - davon ist Lösch überzeugt: "Es wird passieren, denn die Qualität unserer 16-jährigen Spieler ist einmalig."

Taktische Fortbildung für die Talente im Hörsaalacademiatraffic.com

Das sehen auch die Verantwortlichen der Red Devils so - nicht umsonst wird der Austausch zwischen Manchester und Desportivo so intensiv betrieben. Regelmäßig befinden sich Mitarbeiter aus der Jugendabteilung der Engländer im Trainingszentrum, um die Brasilianer mit neuen Methoden oder Erkenntnissen zu versorgen. Oder aber, um auf dem Rückflug nach Manchester Talente im Gepäck zu haben, die eine Trainingswoche bei den Red Devils absolvieren.

Transfers und ihr Scheinproblem

Um nicht nur auf die Partnerschaft mit Manchester angewiesen zu sein, nimmt der Verein auch an internationalen Turnieren in Europa teil. So steht der "MIC Cup" in Barcelona jedes Jahr auf dem Terminplan von Desportivo. Dieses Jahr kam die U 20 bis ins Finale, wo sie sich mit 0:1 gegen die brasilianische Nationalmannschaft geschlagen geben musste.

Den dahinterstehende Plan von "TRAFFIC Sports Marketing", Spieler auf der ganzen Welt zu verteilen, kann man durchaus als gelungen bezeichnen: Portugal, USA, Belgien, Norwegen und Holland - überall sind Spieler aktiv, die einst als Schüler an der Akademie waren.

Ein Spieler und fünf Firmen

Investment und Fußball - eine Kombination, die heutzutage immer häufiger anzutreffen ist und ebenso häufig wird die Frage der Legalität und Seriosität dieser Verbindung gestellt. Jochen Lösch selbst beschreibt das Geschäft in Brasilien häufig als "völlig chaotisch". Nicht selten gibt es fünf Firmen, die sich die Transferrechte eines Spielers teilen.

Doch nüchtern betrachtet, so Lösch, ist es juristisch legal. Auch die auftretenden Probleme bei abgewickelten Transfers zwischen deutschen und brasilianischen Vereinen wie im Fall Thiago Neves, der vor zwei Jahren von Fluminense zum Hamburger SV wechselte, kann er nicht nachvollziehen.

"Wenn der Spieler acht Millionen Euro kostet, dann überweise ich das Geld an Fluminense, was der Verein dann mit dem Geld macht, ist nicht mehr das Problem des deutschen Vereins. Es ist ein Scheinproblem, wenn gesagt wird, dass mit mehreren Parteien verhandelt werden muss."

Neokoloniale Ausbeutung und Sklaverei?

Begriffe wie "neokoloniale Ausbeutung" fallen im Zusammenhang mit Transfers junger Talente immer wieder. Sepp Blatter bezeichnete die Vorgänge vor einiger Zeit sogar als "Sklaverei". Natürlich gibt es im Fußballgeschäft halbseidene Agenten, die afrikanische oder südamerikanische Talente mit absurden Versprechungen nach Europa locken und dort ihrem Schicksal überlassen.

Jochen Lösch aber verteidigt sein Projekt. "Wir machen das Gegenteil. Wir bieten jungen Talenten eine exzellente Infrastruktur, bilden sie auch außerhalb des Platzes aus. Wer in diesem Zusammenhang das Wort 'Sklaverei' in den Mund nimmt, weiß schlicht nicht, wovon er redet."

Als Beweis dafür nennt er Bruno: Aus armen Verhältnissen stammend wechselte er im Alter von 18 Jahren von Desportivo Brasil zu Twente Enschede. Er verdient knapp 25.000 Euro im Monat und damit mehr, als er sich jemals hat erträumen lassen. Er hat es geschafft. Der Traum "Europa" ist für ihn zur Realität geworden. Das gern benutzte Klischee vom "Talent kommt nach Europa, Agent verlässt ihn, er endet in Armut" trifft somit nicht immer zu.

Trotz all dieser Beispiele und Beteuerungen scheinen aber gewisse Vorbehalte weiterhin angebracht zu sein.

Anleger-Fonds kauft Transferrechte