Fulminant geht Thomas Kistner seine Auflistung an, fulminant hält er sie durch, fulminant endet ein Werk, das getrost jetzt schon zum Sachbuch des Jahres gewählt werden kann.
Beinahe atemlos rauscht Kistner durch die Affären der FIFA, der Leser hat keine Zeit, mal kurz zu verschnaufen. Das will er auch nicht. Man will immer mehr wissen von diesem endlos scheinenden Indizienfeuerwerk, das Wochen nach Erscheinung von Kistners Buch mittlerweile auch die darin minutiös aufgeführten Umstände der ISL-Schmiergeldzahlungen aktenkundig machen musste.
Alles kommt ans Tageslicht
Zu viel weiß der Autor nach über zwanzig Jahren der Recherchen über den Fußballweltverband und seinen Herrscher Sepp Blatter. Kistner kramt jede noch so kleine Notiz hervor, hat sich über die Jahre eingedeckt mit internen Papieren, Akten, Notizen, Memos aus dem inneren Zirkel der FIFA und bringt nun alles ans Tageslicht. Nichts bleibt verschont.
Kistner erzählt von der Gründung des Netzwerks, wie alles mit dem ehemaligen Adidas-Boss Horst Dassler begann, wie der seinen Ziehsohn Blatter großmachte und dieser seither in verschiedenen Ämtern jeden noch so offenkundigen Skandal dreist übersteht.
"FIFA Mafia" erläutert die Geschäftspraktiken der Zürcher Gemeinde und ihrer Helfershelfer, Tochterunternehmen, sogar Verwandten. Es geht um Kickbackzahlungen im großen Stil, schmutzige Wahlkämpfe, das Gemauschel um einer Reihe von WM-Vergaben.
Fernseh- und Vermarkungsrechte von Weltmeisterschaften werden für einen lächerlichen US-Dollar an FIFA-Exekutivmitglieder verscherbelt, die wiederum dann in ihren Einzugsgebieten den großen Reibach damit machen.
Eine Palette organisierter Kriminalität
Es gäbe unzählige andere Anekdoten und Tricksereien, alle unter dem Mantel der gestellten Nächstenliebe in der großen Fußballfamilie begangen und bis heute nicht strafrechtlich sanktioniert.
Es geht um Korruption, Schmiergelder, Bestechung, Gier, Eigeninteressen, geheime Absprachen, Mobbing, Morddrohungen, bunte Scheine in braunen Briefkuverts. Fast die ganze Palette organisierter Kriminalität. Nicht umsonst hat Kistner seinem Werk den sehr eingängigen Titel verpasst.
Verschleiert wird das alles von einer Organisation, die als Verein firmiert, ihre Monopolstellung bis zum letzten Cent ausquetscht und jährlich Milliarden-Umsätze generiert. Alles zum Wohle des Fußballs und überhaupt der ganzen Welt natürlich.
Auch andere in der Pflicht
Selbst Kistner bleibt da manchmal nurmehr beißender Zynismus. Der Leser oszilliert zwischen dem Gefühl der kompletten Fassungslosigkeit und - man mag es kaum zugeben - einer gewissen Bewunderung für den Sonnenkönig Blatter, wie der es nur immer wieder schafft, ungeschoren und milde lächelnd davonzukommen.
Kistner hätte man nach mehr als zwei Jahrzehnten des Hinterherrennens mehr Subjektivität zugetraut. Er bleibt aber fast immer sachlich, nüchtern, an den Fakten orientiert - ohne dabei langweilig oder -atmig zu werden. Sein Schreibstil transportiert den brisanten Inhalt perfekt.
Kistner nimmt zu Recht auch andere in die Pflicht: Die viel zu unkritischen Medien - besonders den Sportjournalismus - die Politik, die Fans, die Sponsoren. Das alles ergibt in der Komposition eine einzigartige Melange, in sich schlüssig, detailreich und lebendig erzählt.
Der Hamburger Band Tocotronic wurde einst beschieden, jede ihrer Liedzeilen sei eine Überschrift. Im Kontext würde dann "FIFA Mafia" auf jeder Seite einen weiteren Skandal beschreiben. Und das Buch hat über 400 Seiten. Dass da etwas ganz und gar nicht sauber läuft beim Weltverband, durfte man schon seit Jahrzehnten vermuten. Dass der Filz aber derart wuchert und immer weiter auswächst, ist erschütternd.
"FIFA Mafia" zeigt nicht nur auf, wie der Fußball funktioniert, sondern wie die Welt an sich im 21. Jahrhundert funktioniert. Ein Muss für jeden, der noch ein Mindestmaß an eigener Meinungsbildung besitzt. Das Buch ist ein Sprengsatz und Kistner hat die Lunte gezündet. Jetzt sind andere an der Reihe.
"FIFA Mafia - Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball"
Verlag Droemer Knaur, Euro 19,99
Thomas Kistner, Jahrgang 1958, ist Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" und dort zuständig für Sportpolitik und Doping. Unter anderem war Kistner 2006 "Sportjournalist des Jahres" und wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Kistner gilt in Deutschland als einer der renommiertesten Investigativjournalisten für den Bereich Sportpolitik und organisierte Kriminalität im Sport. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit den Machenschaften der FIFA und deren Präsident Joseph S. Blatter.