"Sammer und ich? Da hätte es richtig gekracht"

Von Interview: Jochen Tittmar
Peter Neururer hofft derzeit, seine 14. Trainerstation im Profigeschäft angehen zu können
© Imago

Vor vier Monaten wäre Peter Neururer aufgrund eines Herzinfarktes beinahe ums Leben gekommen. Seitdem sind die Zigaretten Geschichte. Neururer im Interview über das Paradoxon "Stress aufgrund von Nicht-Arbeit", seine Bitte an den Fußball-Gott, 65 Tage bei Hertha BSC, den Blödsinn mit den jungen Trainern, seine Probleme mit Philipp Lahm - und unter welchen Voraussetzungen er als Trainer aufhören will.

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SPOX: Herr Neururer, die Frage, die Ihnen derzeit wohl am häufigsten gestellt wird, gleich zu Beginn: Wie geht es Ihnen derzeit, vier Monate nach dem Herzinfarkt?

Peter Neururer: Sehr gut. Ich war schon einen Monat danach auf dem besten Wege. Momentan ist mein körperlicher Zustand so gut wie nie, die Werte sind überragend. Es könnte mir nicht besser gehen.

SPOX: Wie kann es sein, dass es Ihnen jetzt besser geht als zuvor?

Neururer: Ich hatte unterm Strich einfach ein Riesenglück. Ich hatte Glück, dass ich im Krankenhaus und später in der Reha sofort in die richtigen Hände gekommen bin. Ich hatte Glück, dass ich direkt reanimiert wurde. Ich hatte Glück, dass die Sauerstoffversorgung gut war. Und ich hatte und habe Glück, dass ich eine derartige körperliche Konstitution habe.

SPOX: Sie haben als Konsequenz mit dem Rauchen aufhören müssen und kontrollieren per Handy-App, wie viele Sekunden Sie schon ausgehalten haben. Wo steht die Uhr derzeit?

Neururer: Ich habe ehrlich gesagt schon eine Weile nicht mehr draufgeschaut. Es waren mal neun Millionen Sekunden (lacht).

SPOX: Ist es Ihnen leicht gefallen, dieses Laster so einfach zur Seite zu legen?

Neururer: Ja. Meine Ausdauerwerte waren gut, das Gewicht immer gleich, die Ernährung ausgewogen - alles passte zu 100 Prozent, so dass ich eigentlich alles, aber eben keinen Herzinfarkt hätte bekommen müssen. So blieb das Rauchen der einzige Indikator für den Infarkt. Da ich den aber glücklicherweise überlebt habe und dies die schwerste Situation meines Lebens war, habe ich nun eine zu große Angst, dass es wegen den Zigaretten noch einmal passiert. Und daher lasse ich die aus Selbstschutz nun einfach weg. Damit habe ich keine Probleme.

SPOX: Sie sind seit Oktober 2009 ohne Trainer-Job und der Meinung, dass der Herzinfarkt nicht passiert wäre, wenn Sie irgendwo an der Seitenlinie gestanden hätten. Wurde Ihnen das in irgendeiner Form medizinisch bestätigt?

Neururer: Nein, die Vermutung basiert natürlich auf Hypothesen. Stressfaktoren können eine Rolle spielen und ich empfinde Stress eben vor allem dann, wenn ich nicht arbeite. Ich fand auch im Job die Sommer- und Winterpause schon immer am schlimmsten, weil man da auch immer ein paar Tage lang nichts zu tun hatte. Die Arbeit als Trainer bedeutet für mich ausschließlich Entspannung, Freude und Spaß. Es kann also durchaus sein, dass der sogenannte Freizeitstress dazu geführt hat.

SPOX: Wieso empfinden Sie denn Ihre Freizeit überhaupt als Stress?

Neururer: Das ist es ja: Wenn mich jemand fragt, was ich denn so mache und ich ihm dann erzähle, dass ich mit meiner Harley durch New Mexico fahre, drei Wochen später nach Marbella fliege und danach noch auf Mallorca zum Golfen bin, dann sagt ja jeder normale Mitteleuropäer: Welch ein tolles Leben. Das sage ich auch, aber maximal zwei Wochen lang. Danach geht es mir auf den Geist.

SPOX: Mit Verlaub, aber "normal" wäre ja eigentlich das Gegenteil: Stress aufgrund von Arbeit.

Neururer: Richtig. Bei mir heißt es aber: Stress aufgrund von Nicht-Arbeit.

SPOX: Sie haben mal gesagt, dass Sie nicht ans Schicksal glauben. Hat sich das seit Ihrem Herzinfarkt geändert?

Neururer: Die Wahrscheinlichkeit, dass man bei der Sache stirbt, die ich durchlebt habe, liegt bei fast 100 Prozent. Ich bin jetzt quasi gestärkt daraus hervorgegangen. Das ist irgendwo von wem auch immer bestimmt. Wenn der Herr da oben Fußball-Gott heißt, dann hat er hoffentlich noch einen Job für mich.

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SPOX: Sie haben kürzlich damit überrascht, als Trainer am Saisonende aufhören zu wollen, sollte es bis dahin kein reizvolles Angebot aus der 1. oder 2. Liga geben. Wieso?

Neururer: Ich wäre dann drei Jahre aus dem operativen Geschäft heraus. Da wäre die Nähe, die ich brauche, um auch vermitteln und motivieren zu können, einfach nicht mehr gegeben. Es sei denn, der VfL Bochum, Schalke 04 oder der 1. FC Köln würden anrufen. Ist das nicht der Fall, konzentriere ich mich voll und ganz auf meinen Job beim TV-Sender "Sport1". Das ist der Plan.

SPOX: Woraus haben Sie denn in den vergangenen Jahren wählen können, wenn da nie etwas Reizvolles dabei gewesen ist?

Neururer: Ich hatte unter anderem Angebote aus der Türkei und Griechenland oder welche als Nationaltrainer. Daran habe ich aber kein Interesse, das ist nicht mein Ding. Das soll nicht despektierlich klingen. Aber ich kann mir den Luxus erlauben, nicht alles unterschreiben zu müssen. Da setze ich schon Prioritäten.

SPOX: Denken Sie, dass es mit der Zeit einigen Vereinen zu riskant geworden ist, Sie zu verpflichten? Oft reduziert man Sie auf den Sprücheklopfer und Feuerwehrmann.

Neururer: Ich stecke seit mehr als zwanzig Jahren in dieser Schublade drin und komme da auch nicht mehr raus. Das interessiert mich aber auch nicht. Wichtig ist für mich die Meinung derjenigen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Ich hatte bis zuletzt Anfragen und Angebote, auch aus Deutschland. Ich muss aber nicht in Aktionismus verfallen oder irgendwelchen Leuten gerecht werden, die dies und jenes über mich behaupten.

SPOX: Was wäre denn Ihr Traumjob derzeit?

Neururer: Es muss einfach realistisch sein. Die Zielsetzungen und Arbeitsbedingungen, aber auch die Vereinsführung und Mannschaft müssen stimmen. Dann habe ich riesengroßes Interesse. Ist das nicht der Fall, lehne ich ab.

SPOX: Haben Sie früher einmal ein Angebot angenommen, hinter dem Sie nicht zu 100 Prozent standen?

Neururer: Ja, das war 1991 bei Hertha BSC. Mit dieser Entscheidung bin ich fürchterlich auf die Nase gefallen, das war ein Riesenfehler. Da war meine Motivation aber auch eine andere.

SPOX: Erzählen Sie.

Neururer: Ich war damals Trainer auf Schalke in der 2. Liga. Wir standen punktgleich mit dem Tabellenführer auf Rang zwei und somit vor dem Aufstieg in die Bundesliga. Den Weg dorthin hat mir aber Präsident Günter Eichberg - warum auch immer - verbaut, ich wurde entlassen. Ich habe dann zu ihm gesagt, dass ich vor ihm in der 1. Liga sein werde. Dann kam der Anruf von Hertha BSC und ich habe ohne einen Funken zu überlegen sofort zugesagt. Es war aber schnell klar, dass wir absolut chancenlos waren, die Liga zu halten. Ich habe dort Arbeitsbedingungen vorgefunden, die findet man heute vielleicht in der Verbandsliga. Wir haben dann zwölf Spiele in Serie nicht gewonnen, nach 65 Tagen war diese Nummer schon wieder Geschichte.

SPOX: Beschäftigt es einen auch auf einer anderen persönlichen Ebene, wenn man auf die Misserfolge der Berufskollegen angewiesen ist?

Neururer: Seit es die Bundesliga gibt, ist das eben in diesem Geschäft so. Für den einen geht die Tür auf, die für den anderen gerade geschlossen wurde. Das heißt aber nicht, dass man Kollegen Pech wünscht und blutrünstig zuhause sitzt und darauf hofft, dass es für ein strauchelndes Team eine weitere Niederlage setzt.

SPOX: Einige Vereine geben vermehrt jüngeren Trainern eine Chance: Markus Weinzierl in Augsburg oder Sascha Lewandowski wären Beispiele in der Bundesliga dafür. Ist das ein Trend?

Neururer: Das ist für mich absoluter Blödsinn. Früher hießen die Jungen Neururer oder Christoph Daum, heute sind es Weinzierl oder auch Thomas Tuchel. Das gibt es in jeder Epoche, es gibt und gab immer junge und ältere Trainer. Die Altersstruktur der Trainer hat sich seither für mich überhaupt nicht verändert. An diesem Gerüst wird sich in den nächsten 40 Jahren auch nichts ändern. Im Gegenteil: Es hat sich kaum etwas geändert, wenn ein Verein in der Bredouille steckt. Dann wird immer ein älterer Trainer geholt, der neben allen Qualitäten auch eine Erfahrung mitbringt, die man als junger Coach gar nicht haben kann.

SPOX: Viel diskutiert wird das Modell beim FC Bayern, wo Sportvorstand Matthias Sammer bei jeder Trainingseinheit anwesend ist, bei den Spielen auf der Bank sitzt und zuletzt auch mit öffentlicher Kritik hervorgepreschte. Kann das im Zusammenspiel mit einem Trainer auf Dauer gutgehen?

Neururer: Mit einem Trainer wie Peter Neururer mit Sicherheit nicht. Da hätte es jetzt schon richtig gekracht. Ich hätte Matthias längst mitgeteilt: Intern ist das alles schön und gut, aber wenn du extern noch einen einzigen Satz in der Form sagst, dann stecke ich dich in meine Trainingsjacke und du kannst die Arbeit selbst machen. Ich weiß nicht, wie Jupp Heynckes darüber denkt, aber ich habe eine andere Vorstellung von Zusammenarbeit. Was mit der Mannschaft zu tun hat, muss für mich immer der Trainer nach außen kommentieren. Er trägt ja schließlich auch die Verantwortung. Wie es intern aussieht, ist wieder eine ganz andere Geschichte.

SPOX: Diskutiert wird auch das Innenleben der deutschen Nationalmannschaft, flache Hierarchie ist da das Stichwort. Uli Hoeneß forderte zuletzt, dass man wieder mehr zum "Ursprung" zurückkehren sollte - vor der Jahrhundertwende wäre ein Team ohne Leitwölfe und Routiniers ja absolut undenkbar gewesen.

Neururer: Ein Spielertyp wie Bastian Schweinsteiger wird in der Nationalelf schon das Sagen haben. Im hinteren Bereich wird es etwas problematischer sein, da Philipp Lahm als Kapitän vom Charaktertypus und Persönlichkeitsmerkmal her nicht gerade derjenige ist, der nach außen hin so wirkt, als ob er den Laden zusammenhalten könnte.

SPOX: Die Frage ist aber: Ist das überhaupt nötig?

Neururer: Das weiß ich nicht, da ich nicht sagen kann, wie er innerhalb der Mannschaft wirkt. Es gibt für mich generell zu viel Geschwafel um diese Hierarchien. Es muss in jeder Mannschaft eine Hierarchie mit zwei, drei Spielern an der Spitze geben, die auf dem Platz das Sagen haben. Sonst ist ein Team in einer Extremsituation irgendwann führungslos. Ich gebe Uli Hoeneß bei dieser Aussage absolut Recht.

SPOX: Apropos Hoeneß: Der ärgerte sich kürzlich schwarz darüber, dass er den Finaltag des Ryder Cups verpasst hat. Sie sind ja wie er passionierter Golfspieler. Haben Sie das Spektakel mitverfolgt?

Neururer: Selbstverständlich. Bis zum letzten Schlag von Martin Kaymer.

SPOX: Die Leistung von Team Europe am Sonntag war doch eines der größten Comebacks der Sportgeschichte, oder nicht?

Neururer: Das war für mich kein Comeback. So ein Ryder Cup geht über drei Tage, da ist dann gerade in einer solch unberechenbaren Sportart wie Golf trotz eines Rückstands auch am letzten Tag noch alles möglich. Ich fand es daher schon ziemlich despektierlich, wie man nach dem Samstag über die Europäer berichtet hat. Dass sie dann am Ende noch gewonnen haben, fand ich nach den miesen Kommentaren, die ich da teilweise in Zeitungen lesen musste, umso besser.

Peter Neururer im Steckbrief