Peter Pacult kennt den TSV 1860 München wie kaum ein anderer: Sowohl als Spieler, als auch als Trainer arbeitete er jahrelang für den Zweitligisten. Nach seiner Entlassung bei den Löwen führte ihn seine Karriere über Umwege zu RB Leipzig, wo ihn Ralf Rangnick vor die Tür setzte. Ein Gespräch über das Chaos bei den Löwen, warum diese sich den gehassten Stadtrivalen zum Vorbild nehmen können, den Sportdirektor Rangnick und eine Entlassung per SMS.
SPOX: Herr Pacult, Sie waren bei 1860 München sowohl als Spieler als auch Trainer aktiv. Wie haben Sie das chaotische Umfeld bei den Löwen erlebt?
Peter Pacult: Das ist schon extrem und der Verein ist nicht erst seit gestern im Chaos versunken, die ganze Katastrophe hat mit dem Abstieg 2004 angefangen. In den letzten zwölf Jahren ist der Verein wieder dort hingekommen, wo er vor den Zeiten mit Karl-Heinz Wildmoser war: Jeder will mitreden, aber keiner stellt etwas auf die Beine. Und genau so hat sich 1860 in den letzten Jahren präsentiert. Sie haben zwar einen Investor gefunden, der den Verein aufgefangen hat, aber das Bild wurde schon früher beschädigt und hat sich nicht gebessert.
SPOX: Inwiefern?
Pacult: Das erkläre ich am besten mit einem Beispiel. 2006 gab es bereits Meldungen, dass Sechzig keine Lizenz für die 2. Liga erhält. Damals hat man von den Bayern elf Millionen Euro bekommen, um doch in der Liga bleiben zu dürfen. Das Lustige ist, dass der Präsident weiter auf Bayern geschimpft hat. Das verstehe ich einfach nicht: Bayern München hat 1860 immer wieder geholfen und trotzdem teilen die Löwen ständig gegen Bayern aus.
SPOX: Welche Rolle spielt Hasan Ismaik in diesem Geflecht?
Pacult: Seitdem der Investor da ist, herrscht eine noch größere Unruhe im Verein. Seit seinem Amtsantritt hatte 1860 schon fünf verschiedene Präsidenten und jeder von ihnen ist abhängig von Ismaik. Wie will man da etwas bewegen? So lange der TSV in dieser Schiene ist, wird der Verein nie aus dem Schlamassel herauskommen. Jeder Präsident bringt seine eigenen Leute mit und die reden auch wieder mit.
SPOX: Sie haben den Verein als Spieler und Trainer in einer stabileren Situation erlebt. Was lief damals besser?
Pacult: Man hat immer über Karl-Heinz geschimpft, aber damals lief es noch richtig: Einer hat dirigiert und zusammen mit einem starken Trainer richtige Entscheidungen getroffen. Karl-Heinz war zwar nicht der große Fußball-Fachmann, aber hat den Verein hinter den Kulissen in seiner Entwicklung vorangetrieben. Das Duo hat einfach perfekt harmoniert. Da kann sich 1860 heutzutage von Bayern eine Scheibe abschneiden.
SPOX: Weil die Bayern mehr Konstanz in Ihrer Führungsriege haben?
Pacult: Ja, es geht einfach harmonischer zur Sache. Sie haben mit Uli Hoeneß oder jetzt gerade eben Karl Hopfner, außergewöhnliche Personen am Ruder, die mit fachlich extrem kompetenten Leuten zusammenarbeiten. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Carlo Ancelotti von Anfang an wohl fühlt.
SPOX: Sie haben die vielen Personalwechsel auf der Führungsebene beim TSV angesprochen. Wäre eine Trennung von Ismaik eine mögliche Lösung?
Pacult: Ohne Ismaik würde es Sechzig nicht geben. Die Frage ist aber, inwieweit er in das Tagesgeschäft eingreift. Die Lösung heißt aber wie so oft Ergebnisse. Es steht und fällt alles mit dem sportlichen Erfolg, aber es passt sportlich einfach nicht zusammen. Gute Ergebnisse würden auch wieder für Ruhe sorgen. Im Verein schlummert unheimlich viel Potenzial: Im letzten Spiel der abgelaufenen Saison waren 50.000 Zuschauer im Stadion.
SPOX: Ist Kosta Runjaic der richtige Trainer, um für Konstanz zu sorgen?
Pacult: Als ich Leipzig-Trainer war habe ich ihn mal bei einem Trainingslager kennengelernt, aber ich kenne ihn zu wenig, um das seriös beantworten zu können. Das wäre vermessen. Generell kann man kaum sagen, wann die Löwen mal wieder um den Aufstieg mitspielen. Uns hätte es 1993/94 auch keiner zugetraut und plötzlich war der Durchmarsch perfekt. Mit Runjaic kehrt jetzt hoffentlich Ruhe ein. Der Aufstieg wäre dem Verein zu wünschen.
SPOX: Ein anderer Ex-Verein von Ihnen hat genau diesen Sprung geschafft: RB Leipzig. Haben Sie bereits in der Anfangszeit mit einer so rasanten Entwicklung gerechnet?
Pacult: Nach der Gründung 2009 gab es eigentlich nur eine Frage: Wie schnell kommst du aus dieser tückischen 4. Liga heraus? Die Liga war extrem stark und es gab keinen Absteiger, deshalb war die Meisterschaft komisch. Aber damals war schon klar: Diesen Verein kann niemand stoppen.
SPOX: Wie weit geht die Reise?
Pacult: RBL wird sich immer weiterentwickeln. Aber wenn jemand behauptet, sie würden zum Konkurrenten von Bayern aufsteigen, ist das vermessen. Das geht nicht! Leipzig muss sich in der Bundesliga etablieren, nichts anderes.
SPOX: Mit Naby Keita und Timo Werner hat RBL bereits zwei teure Transfers realisiert. Das sind nicht die Dimensionen eines gewöhnlichen Aufsteigers...
Pacult: Leipzig hat in der 3. Liga schon Schritte gemacht, die sich mancher Zweitligist nicht leisten konnte. Wenn dann über eine Gehaltsobergrenze gesprochen wird muss ich schon schmunzeln. Welcher Zweitligist kann sich eine Granate wie Davie Selke leisten? Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Junge, teure Spieler gehören zur Philosophie von Ralf Rangnick und diese Philosophie hat bis jetzt Früchte getragen.
SPOX: Als nächstes soll Ralph Hasenhüttl diese Philosophie vorantreiben. Wie groß ist die Umstellung vom FC Ingolstadt zu RB Leipzig?
Pacult: Ich kenne Ralph persönlich und für ihn ist es nach dem VfR Aalen und dem FC Ingolstadt der richtige Schritt. Bei der Spielweise muss er sich aber noch etwas anpassen: Rangnick will, dass seine Teams den Gegner tief in der eigenen Hälfte attackieren und das hat Ralph Hasenhüttl mit Ingolstadt nur teilweise gemacht. In Leipzig hat er jetzt das passende Spielermaterial, mit dem er etwas Großes schaffen kann.
SPOX: Dieser Ergebnisdruck in Leipzig fordert auch seine Opfer. So hat sich der Verein nach weniger als einem Jahr von Ihnen getrennt.
Pacult: Das hatte aber auch andere Gründe: Salzburg stand nach dem überraschenden Rücktritt von Ricardo Moniz ohne Trainer da und Dietrich Mateschitz wollte mich langfristig nach Salzburg abziehen. Erst durch diese neue Situation wurde Ralf Rangnick als Trainer ein Thema. In den weiteren Gesprächen hat Rangnick signalisiert, dass er sich vorstellen kann, für beide Seiten als Sportdirektor zu arbeiten. Aber er wollte sein Team selbst zusammenstellen, bis dahin war soweit auch alles in Ordnung.
SPOX: Und was war nicht in Ordnung?
Pacult: Rangnick hat mir die Entlassung nicht persönlich mitgeteilt, ich musste es über Herrn Mateschitz erfahren. Zumal Herr Mateschitz auch gewollt hätte, dass Rangnick und ich uns erstmal austauschen, aber ich wurde von Rangnick überhaupt nicht kontaktiert. Es gibt kein böses Blut zwischen Rangnick und mir, aber das zeugte auch nicht unbedingt von Rangnicks Größe. Die Entscheidung ist zwar nachvollziehbar, das Vorgehen aber nicht in Ordnung.
SPOX: Auch bei Ihrem letzten Arbeitgeber, dem NK Zavrc aus Slowenien, lief der Abschied unglücklich. Sie wurden nach nur zwei Wochen entlassen. Was war da los?
Pacult: Der Präsident des Vereins ist an und für sich ein netter Kerl, aber ihm gehört alles und deshalb lebt er dort als Alleinherrscher und charakterlich hat im Verein einiges nicht gepasst. Mein Vorgänger ist mit den Spielern total hart umgegangen und der Präsident wollte von mir auch, dass ich die Peitsche auspacke. Er hat sich immer eingemischt und wollte mir erklären, wer auf welcher Position spielen kann. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich meine Spieler sicher nicht so behandeln werde. Ich arbeite seit 19 Jahren als Trainer und habe selbst ein bisschen Ahnung. Entscheidend war aber das Pokalhinspiel gegen NK Drava ...
SPOX: ...das 1:1 endete.
Pacult: Wir waren haushoch überlegen und unser Gegner hatte nur zwei Schüsse, einer ging zehn Meter über das Tor, der andere war drin. Am nächsten Tag saß ich beim Frühstück und plötzlich habe ich eine SMS bekommen, in der stand: "Hallo Peter, Katastrophe! Wir hätten 4:0 gewinnen müssen, diese Leute haben mich jahrelang beschimpft. Es ist besser, wenn wir uns trennen. Die Spieler sind verunsichert." Also wirklich: So einen Blödsinn habe ich selten gelesen. Die Spieler waren froh, dass sie endlich mal Fußball spielen durften. Die Spieler verdienen dort 1500 bis maximal 2000 Euro, die Umstände waren miserabel, die Trainingsplätze standen knöcheltief unter Wasser, aber die Jungs hatten Spaß. Ich würde so etwas sofort wieder machen. Es lief letztlich für mich natürlich scheiße, aber die 14 Tage haben schon Spaß gemacht.
SPOX: Seitdem trainieren Sie keinen Verein. Könnten Sie sich auch vorstellen, einen anderen Posten als den des Cheftrainers zu übernehmen?
Pacult: Ich bin nicht als Sportdirektor oder ähnliches geeignet, ich möchte lieber mit der Mannschaft arbeiten. Aber ich habe keinen langfristigen Plan. Ich hoffe, nochmal eine Chance als Trainer zu bekommen. Das ist in der heutigen Zeit aber nicht so einfach: Es gibt immer mehr Trainer, die Anzahl der Jobs bleibt aber gleich.
SPOX: Welche Kriterien müsste ein neuer Arbeitgeber erfüllen?
Pacult: Da bin ich völlig offen. Wenn mich Kambodscha anruft, dann gehe ich nach Kambodscha. Bei Zavrc wurde ich zum Beispiel angerufen und innerhalb von einem Tag war die Nummer erledigt. Ich bin nach Slowenien gefahren und der Präsident wollte mich direkt dabehalten. Ich bin nur nochmal nach Deutschland, um meine Zahnbürste und Kleidung zu holen. Der gute Mann hat auch nicht verstanden, dass ich noch mein Trainingsprogramm mitbringen will. Der dachte wohl, dass ich mich auf den Platz stelle, drei Mal klatsche und dann alles gut ist. (lacht) Generell habe ich vor keiner Aufgabe Scheu, es muss einfach interessant sein.
SPOX: Wäre auch eine Rückkehr zu den Löwen vorstellbar?
Pacult: Auf jeden Fall. Viele wissen zu schätzen, was ich in München geleistet habe und wie der Verein unter mir da stand. Mir wurde nicht zugetraut, die großen Fußstapfen von Werner Lorant zu füllen, aber mir ist es gelungen, besser abzuschneiden als einige Nachfolger von mir.
Peter Pacult im Steckbrief