"Auch beim BVB lieben sie Typen wie Amoroso"

Jochen Rabe
02. November 201620:42
Christoph Metzelder ist derzeit unter anderem als TV-Experte tätiggetty
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Christoph Metzelder ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben Aufgaben in seiner Stiftung oder bei seinem Heimatverein TuS Haltern sitzt er neuerdings auch im Aufsichtsrat des SC Preußen Münster. Im Interview spricht der ehemalige Nationalspieler über seinen nicht vorhandenen Alltag, seine Zukunft im Management, kommunikative Schwierigkeiten für Vereine und Spieler in der digitalisierten Welt und mögliche Regeländerungen.

SPOX: Herr Metzelder, durch Ihre Tätigkeiten bei Ihrem Heimatverein TuS Haltern, als Geschäftsführer bei Jung von Matt/sports, in Ihrer Stiftung und als TV-Experte war Ihr Terminplan ohnehin voll. Nun kommt ein Posten im Aufsichtsrat bei Preußen Münster hinzu. Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Christoph Metzelder: Das Schöne ist, dass es Alltag für mich nicht gibt, weil jeder Tag völlig unterschiedlich ist. Mal bin ich in der Stauseekampfbahn, dann bin ich für die Stiftung unterwegs oder in Hamburg bei der Agentur. Samstags bin ich als sky-Experte in den verschiedenen Stadien, sonntags bei den Spielen der U19 des TuS Haltern. Das ist manchmal anspruchsvoll, insbesondere die Rückreisen aus München, Hamburg oder Berlin so zu timen, dass ich sonntags rechtzeitig zum Anstoß um 11 Uhr zurück bin. Aber auf der anderen Seite macht es extrem viel Spaß, vor allem weil der TuS Haltern und meine Stiftung meine Herzensprojekte sind.

SPOX: Ihr jüngstes Engagement ist das im Aufsichtsrat von Preußen Münster. Wie kam da der Kontakt zustande?

Metzelder: Wenn mich jemand 1996 gefragt hätte, wie hoch meine Chancen sind, Profi zu werden, hätte ich das mit 0 Prozent beziffert. In den vier Jahren bei Preußen Münster habe ich diesen Sprung geschafft. Das habe ich nie vergessen und diese Verbundenheit durch meine Mitgliedschaft, aber auch vereinzelte Aktionen für den SCP dokumentiert. Aufgrund der aktuellen sportlichen Situation und der Tatsache, dass es mit Walther Seinsch einen personellen Wechsel mit spannenden Ideen gibt, war der Zeitpunkt da, ein Bekenntnis abzugeben und Verantwortung zu übernehmen. Ich habe aber deutlich gesagt, dass ich aus zeitlichen Gründen nicht operativ, sondern nur beratend einsteigen kann.

SPOX: Wie muss man sich die beratende Funktion vorstellen?

Metzelder: Ich sehe mich als Anspielstation, gerade was sportliche Fragen, aber auch Marketing und Kommunikation angeht. Der Aufsichtsrat soll zukünftig auch Impulsgeber sein. Neben meiner persönlichen Beziehung zu den Preußen sehe ich das auch als weiteren Baustein eines Lernprozesses, der mich mittelfristig in den Profifußball zurückführen wird. Themen wie Stadionneubau oder Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft sind relevante Fragestellungen vieler Profivereine.

SPOX: Sie sprechen Ihr Ziel, eines Tages ins Management zu gehen, an. Zuletzt waren Sie als Bruchhagen-Nachfolger bei Eintracht Frankfurt im Gespräch. Können Sie nachzeichnen, wie das ablief?

Metzelder: Es ist so, dass sich immer mehr Vereine bei Personalentscheidungen mit neuen Namen beschäftigen. Es gab ein Treffen mit Eintracht Frankfurt. Aber auch da habe ich dann klar kommuniziert, dass meine Lebens- und Berufsplanung aktuell eine andere ist.

SPOX-Redakteur Jochen Rabe traf Christoph Metzelder in der Stauseekampfbahn in Haltern am See zum Interviewspox

SPOX: Muss man sich dieses erste Treffen wie ein freies Sondierungsgespräch bei einer Tasse Kaffee vorstellen oder haben Sie ein ausgearbeitetes Konzept vorgelegt?

Metzelder: Das war ein Assessment Center, bei dem explizit nach strategischen Dingen gefragt wurde. Gerade deswegen war es eine lehrreiche Erfahrung. Und natürlich verfolgt man die Entwicklung eines Vereins nach einem solchen Gespräch anders. Ich finde, dass sich Eintracht Frankfurt mit einem überschaubaren Budget, in einem sehr ambitionierten Umfeld und einer veränderten Wettbewerbslage in dieser Saison bislang ganz fantastisch schlägt.

SPOX: Findet man es dann im Nachhinein befremdlich, dass diese Sondierungsgespräche an die Öffentlichkeit durchgesickert sind?

Metzelder: Ich bewege mich seit 15 Jahren im Profifußball. Da ich nicht an einen Verein gebunden bin, fand ich das ehrlich gesagt nicht tragisch. Grundsätzlich gilt, je mehr Personen in Prozesse eingebunden sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand darüber spricht, auch im privaten Umfeld. Da steckt auch nicht immer zwingend eine politische oder bösartige Absicht hinter.

SPOX: Aber es verändert schon Ihren Status auf dem Markt, dass Sie nicht grundsätzlich abgeneigt sind.

Metzelder: Ich habe nach meinem Karriereende immer signalisiert, dass ich mir einen Trainerjob nicht vorstellen kann, sondern mittelfristig in das Management eines Vereins gehen möchte. Natürlich merke ich, dass die Einschüsse näher kommen und immer wieder Vereine an mich herantreten. Ich wäge einfach Jahr für Jahr ab, was mich mehr bewegt. Mir sind der TuS Haltern und meine Stiftung wichtig, diese Projekte müssen weitergehen. Aber irgendwann wird der Weg zurück in den Profifußball führen.

SPOX: Lassen Sie uns vom Dringen einer Information an die Öffentlichkeit zur bewussten Steuerung der Öffentlichkeit durch Medienpräsenz und Social Media kommen. Wie wichtig ist es in der heutigen Zeit für einen Verein, sich als Marke zu etablieren?

Metzelder: Marketing bestand lange daraus, samstags um 15.30 Uhr gute Ergebnisse zu liefern. Gewinne ich, verkaufe ich mein Produkt, verliere ich, verkaufe ich es nicht ganz so gut. Die Vereine bewegen sich auf einem brutalen Verdrängungsmarkt, in dem viele Player um Aufmerksamkeit und letztlich Geschäftsanteile kämpfen. Und das nicht nur national. Ein 13-Jähriger ist heute auch Messi-, Ronaldo- oder Real-Madrid-Fan und kauft sich Trikots von europäischen Mannschaften. Darüber hinaus gibt es ein digitales Freizeitangebot, das es vor zehn Jahren noch nicht gab. In diesem Umfeld müssen sich Vereine als Marke positionieren. Im Leistungssport geht es darum, besser zu sein als mein Gegner. Dafür muss ich auf den bekannten Territorien kämpfen, aber auch neue Felder auftun.

SPOX: Image ist auch für den einzelnen Fußballer wichtig. Einerseits um den Verein zu repräsentieren, andererseits ist jeder auch ein Einzelkämpfer, der sich selbst promotet. Sehen Sie da einen Interessenskonflikt?

Metzelder: Total. Die Vereine haben den Zugriff auf den Spieler als Medium verloren. Die Spieler sind durch Social Media eigene Medienkanäle geworden. Sie senden über Facebook, Twitter und Instagram eigene Botschaften und sind dadurch ganz selbstverständlich Marken, die auch unabhängig von ihren Vereinen wahrgenommen wedren. Ein Cristiano Ronaldo - auch wenn er vielleicht nicht repräsentativ ist - hat mehr Follower als sein Verein.

SPOX: Und der ist immerhin Real Madrid...

Metzelder: Ganz genau. Eigentlich müsste ein Verein für ein kommunikatives Grundrauschen sorgen, indem die eigenen Partner und Inhalte auch über die sozialen Kanäle der Spieler mitkommuniziert werden. Das ist analoge, klassische Pressearbeit. Im Zentrum standen der Verein und Partner des Vereins, dann kamen die persönlichen Belange des Spielers. Da sehe ich einen Interessenskonflikt. Aus Sicht der Vereine müsste man eigentlich versuchen, da wieder mehr Zugriff zu bekommen.

SPOX: Ist das möglich?

Metzelder: Das ist schwierig. Auch fürstlich entlohnte Angestellte wie Fußballprofis haben eine Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte, auch wenn sie diese streng genommen an die Vereine im Arbeitsvertrag abtreten. Aus meiner Sicht könnte das bei jungen Spielern ein Ansatz sein, durch die Einbindung ihrer Profile in das große Netzwerk des Vereins schnell signifikante Reichweiten aufzubauen und damit auch direkt einen Mehrwert für sich zu sehen.

SPOX: Für den Spieler hat die hohe Präsenz in sozialen Medien nicht nur Vorteile. Er macht sich zwar nahbarer, aber auch angreifbarer. Ist dadurch die psychische Belastung heutzutage noch höher?

Metzelder: Man muss den Protagonisten im Fußball schon mal erklären, dass die Tatsache, dass sie zehnmal so viel Geld verdienen wie vor zehn Jahren, nicht damit zusammenhängt, dass sie zehnmal so gut spielen, sondern dass die Relevanz dieser Sportart über alle Medien hinweg um das Zehnfache zugenommen hat. Gerade Social Media war und ist eine riesige Triebfeder. Ich kann also nicht auf der einen Seite den positiven Aspekt der massiven persönlichen Einkommenssteigerung als gegeben ansehen, und gleichzeitig massives, direktes und leider oft auch ungefiltertes Feedback beklagen. Insofern sehe ich das relativ leidenschaftslos. Die Frage ist, wie man als Verein und als Spieler damit umgeht und versucht, einfache Fehler zu vermeiden.

SPOX: Die Ausmaße, die direktes Feedback in sozialen Medien annehmen kann, sah man kürzlich bei der Werbeaktion von Oliver Kahn für seine neue Firma, für die er heftigen Gegenwind aus der Fanszene bekam. Was überwiegt in so einem Fall? "Any promotion is good promotion" oder ein angekratztes Ansehen? SPOX

Metzelder: Es geht brutal um Reichweiten. Wenn Kevin-Prince Boateng über seine Zeit bei Schalke 04 sagt, er hätte dort größere Fußstapfen hinterlassen als jeder andere Spieler zuvor, ist die Reichweite gerade über die sozialen Netzwerke gigantisch - unabhängig davon, ob das nun tendenziell positiv oder negativ bewertet wird. Und egal ob das die Leute bei Oliver Kahn gut fanden oder nicht, kann er mit der Reichweite der Ankündigung seiner unternehmerischen Tätigkeit zufrieden sein. Kurzfristig war das wahrscheinlich sogar ein PR-Erfolg. Mittel- und langfristig ist es dann eine Frage der Glaubwürdigkeit in der Zielgruppe, die er adressiert. Aber diese Reichweite hätte er mit einer einfachen Pressemitteilung nicht bekommen.

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SPOX: Also der Ansatz Reichweite über Stimmungsbild?

Metzelder: Man sieht ja, dass Fachmedien das erst einmal zerreißen. Für mich stellt sich aber die Frage, ob die Fans, die Oliver Kahn in den sozialen Netzwerken kritisieren, auch die Zielgruppe für seine unternehmerische Tätigkeit sind. Wahrscheinlich eher nicht. Insofern ist das weniger tragisch. Und auf eines kann man sich verlassen: Die digitale Welt versandet noch viel schneller als die analoge. Wenn er in zwei Monaten erste Erfolge vermeldet, interessiert der Start maximal noch das Fachpublikum.

SPOX: Wenn wir beim Thema Reputation bleiben: Auch Borussia Dortmunds Trainer Thomas Tuchel ist ein ambivalenter Fall. Auf der einen Seite wird er für seinen Sachverstand und seine Expertise gefeiert, andererseits sieht es das emotionale Publikum in Dortmund kritisch, dass er sich nicht in der Kurve feiern lässt wie sein Vorgänger Jürgen Klopp und er so unemotional ist. Wie ordnen Sie sein Auftreten ein?

Metzelder: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass im Sport einzig und alleine der Erfolg zählt. Ich habe noch keine Sitzblockade bei einer Meisterfeier gesehen. Erfolg ist der Kern des Leistungssports. Dem sportlichen Erfolg ordnet Thomas Tuchel alles unter, auch seine persönlichen Beliebtheitswerte. Ich halte ihn für einen herausragenden Fußballlehrer, der eine besondere sprachliche Begabung hat, die weniger emotional ist, aber komplizierte Sachverhalte wunderbar erklärt. Dass er nicht verlieren kann, unterscheidet ihn übrigens nicht vom Rest seiner Kollegen.

SPOX: Aber wird mir ein schlechtes Spiel nicht eher verziehen, wenn ich ein Publikumsliebling bin? Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Metzelder: Klar ist das so. Aber ich denke, dass die Fans intelligent und empathisch genug sind, mangelnde Glaubwürdigkeit zu erkennen. Publikumslieblinge werden nicht von Agenturen gemacht, sondern von den Fans: weil sie sich auf dem Platz zerreißen, eine große Nähe zum Publikum haben, besonders extrovertiert oder einfach herausragende Sportler sind. Alles Aufgesetzte entlarven die Fans relativ schnell.

SPOX: Wobei es ja schon ein Unterschied ist, ob ich Publikumsliebling bei Dortmund oder bei Bayern sein möchte, oder?

Metzelder: Ja schon, aber auch beim BVB lieben sie Typen wie Marcio Amoroso oder Aubameyang dafür, dass sie 25 Tore schießen. Gleichzeitig feiern wir in einer galaktisch anmutenden Nationalmannschaft eine Jahrhundertgrätsche von Benedikt Höwedes. Die Leute wollen exzellente Leistungen sehen. Sie wollen sehen, was sie selber nicht können.

SPOX: Kürzlich hat Tuchel eine Diskussion angefacht, dass eben diese Leistung gegen seine Mannschaft zu häufig mit unfairen Mitteln verhindert wird. Wie sehen Sie die Thematik?

Metzelder: Ich halte Thomas Tuchel für viel zu intelligent, als dass er sich nicht bewusst war, was im Anschluss medial daraus gemacht wird. Ich gehe auch schwer davon aus, dass er als Trainer von Mainz 05 vor Gastspielen in München oder Dortmund zu seiner Mannschaft gesagt hat: Wir müssen aggressiv sein, eklig spielen, den Spielfluss unterbrechen und ihnen den Spaß am Fußball nehmen. Das ist doch die einzige Chance einer Mannschaft, die qualitativ limitierter ist. Eigentlich ist es ein Kompliment an die Arbeit des BVB, dass man versucht, ihr Spiel zu zerstören. In letzter Konsequenz ist es dann die Aufgabe der Schiedsrichter zu bewerten und zu sanktionieren, wenn es über einen gewissen Punkt hinausgeht. SPOXspox

SPOX: Aber nicht nur die Heftigkeit oder die Häufigkeit wird häufig kritisiert. Es gibt durchaus Stimmen, die gerade taktische Fouls anprangern.

Metzelder: Die Regelauslegung ist innerhalb der aktuell gesteckten Grenzen doch klar. Wenn das nicht reicht, brauchen wir eine andere Form der Bestrafung, wie zum Beispiel Zeitstrafen. Manchmal unterbinden Defensivspieler einen Konter in dem Wissen, dass der eigene Mitspieler nah genug dran ist, um nicht Rot zu kriegen. Nicht bewertet wird aber eine daraus resultierende Torchance im Überzahlspiel, weil weitere Gegenspieler mit dem folgenden Pass frei vor dem Tor wären. Damit sind ein Freistoß aus 30 Metern und eine Gelbe Karte keine angemessene Strafe. Eine fünfminütige Zeitstrafe wäre eine neue Option. Aber solange das nicht der Fall ist, ist es legitim, die Regeln auszureizen. Das nutzen ja auch Dortmund und Bayern zu ihrem Vorteil.

Christoph Metzelder im Steckbrief