Nach seinen Jahren als Nachwuchscoach beim FC Ingolstadt 04 ging Tomislav Stipic den Weg in den Profibereich zum FC Erzgebirge Aue. Doch sowohl dort als auch am Ende der darauffolgenden Station bei den Stuttgarter Kickers stieg Stipic ab - jeweils aufgrund eines einzigen fehlenden Tores. Im Interview spricht der 37-Jährige über den Umgang mit den bislang gemachten Erfahrungen, seine Weiterbildungsmaßnahmen und die erste Entlassung.
SPOX: Herr Stipic, Sie sind in der vergangenen Drittligasaison am letzten Spieltag in buchstäblich letzter Sekunde mit den Stuttgarter Kickers abgestiegen. Auch schon im Jahr zuvor fehlte Ihnen mit Erzgebirge Aue ein Törchen zum Klassenerhalt. Derzeit sind Sie auf Vereinssuche. Wie groß war die Enttäuschung im Mai, erneut so knapp abgestiegen zu sein?
Tomislav Stipic: Wir im Trainerteam haben alles für den Klassenerhalt gegeben. Am Ende tat es mir für alle Beteiligten sehr leid, denn es fehlte wie Sie sagen zum wiederholten Male ein einziges Tor, um uns alle zu belohnen.
Stipic im SPOX-Interview: "Wer zum Teufel ist dieser Stipic?"
SPOX: Zumal die Hoffnung auch in Stuttgart ja berechtigt war, die Klasse zu halten. Unter Ihnen holten die Kickers in 22 Spielen 27 ihrer insgesamt 43 Punkte.
Stipic: Das stimmt. Enorm viel Arbeit, noch mehr Gespräche und die Bedeutsamkeit der kleinsten Details mündeten in einer tollen Aufholjagd und in einer unter dem Strich sehr guten Rückrunde. Daher hat es mich erst recht geärgert.
SPOX: Wieso ging es bei den Kickers nicht mehr weiter?
Stipic: Ich hatte nur einen für die 3. Liga gültigen Vertrag. Damit aber etwas Erfolgreiches wachsen kann, bedarf es eines gesunden Nährbodens. Durch den Abstieg gab es diesen nicht mehr.
SPOX: Was sagen Sie zu den Vorwürfen des aussortierten Enzo Marchese, der nach seinem Wechsel nach Spanien die meiste Schuld am Abstieg Sportdirektor Zeyer zuschob?
spoxStipic: Als Kapitän ist man Führungskraft, genauso ist es natürlich auch als Trainer. Ich mache mir in erster Linie darüber Gedanken, was ich in meiner Funktion anders und besser hätte machen können, um der Mannschaft zu mehr Erfolg zu verhelfen. Die Analyse meiner Handlungen und der meiner Mannschaft lautet die Aufgabe, das Urteilen über die sportliche Leitung gehört nicht dazu. Ich bin der Überzeugung: Wenn sich jeder an solch klare Strukturen hält und vor allem seiner jeweiligen Verantwortung nachkommt, dann steigt auch die Chance auf gemeinsamen Erfolg.
SPOX: Wie haben Sie seitdem Ihre freie Zeit verbracht?
Stipic: Fußballtrainer ist kein Job, es ist ein Leben. Wenn man ohne Verein dasteht geht die Arbeit jeden Tag weiter - nur leider nicht auf dem Platz. Dieser Beruf ist ein Privileg, man lebt ihn mit allen Sinnen. Auch an den dunkleren Tagen.
SPOX: Wie zeigt sich das genau im Moment?
Stipic: Ich schaue weiterhin Spiele und sichte in Stadien in unterschiedlichen Ligen. Treffen und der Austausch mit Kollegen stehen jetzt auf der Tagesordnung. Dazu mache ich Hospitationen bei anderen Vereinen, besuche Vorträge oder halte selbst welche, um mich immer wieder weiter zu entwickeln.
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SPOX: Können Sie das bitte etwas konkretisieren?
Stipic: Ende Oktober folge ich einer Einladung von Ajax Amsterdam zur Hospitation. Nebenbei absolviere ich einen Englisch-Intensivkurs, um mit der Sprache Wissen und Emotionen zu verschiedenen Menschen noch besser transportieren zu können.
SPOX: Kürzlich waren Sie als Redner von der TU München eingeladen worden.
Stipic: Genau. Man kam auf mich zu und fragte, ob ich nicht vor Führungskräften aus der Industrie zum Thema "Führung und Motivation" sprechen könne. Es war eine tolle Erfahrung mit vielen interessanten Menschen und es war ein schönes Gefühl, den Teilnehmern etwas mitgeben zu können.
SPOX: Sie haben lange Jahre beim FC Ingolstadt 04 erfolgreich in der Nachwuchsabteilung gearbeitet. Wäre das als Wiedereinstieg auch eine Option für Sie?
Stipic: Der Jugendbereich war auch mein Ausbildungsbereich. Man hatte es mit vielen unterschiedlichen Charakteren und deren unterschiedlichen Geschichten zu tun, was definitiv für noch mehr Empathie bei mir gesorgt hat. Diese Jungs hatten alle meine absolute Aufmerksamkeit verdient. Diese Werte habe ich mitgenommen in den Profibereich. Der ist es auch, der meinen totalen Hunger nach Fußball und Erfolg stillen kann. Da möchte ich wieder hin.
SPOX: Welche Lehren haben Sie aus Ihren zwei Profistationen gezogen?
Stipic: Fußball bleibt Fußball. In allen Ligen und Altersbereichen muss man lehren, bewegen, motivieren, unterhalten und kommunizieren. Der größte Lerneffekt ergab sich sicherlich aus dem öffentlichen Fokus, den ich zuvor in dieser Form ja noch nicht kannte.
SPOX: Was genau haben Sie daraus gelernt?
Stipic: Die Medien sind ein ganz wichtiger Bestandteil des Profigeschäfts. Mit dem Herzen berührt man die eigene Mannschaft, mit Fakten und Erfolgen die Öffentlichkeit.
SPOX: Wie sehr zehrt denn monatelanger Abstiegskampf an den körperlichen wie geistigen Kräften von Mannschaft und Trainer?
Stipic: Abstiegskampf ist eine sehr intensive Erfahrung. Die sportliche Arbeit bleibt die gleiche, aber die Umstände drum herum sind anders. Da gibt es Existenzängste, Unzufriedenheit, Zweifel, negative Presse und daraus resultierend dann eine schwierigere Grundstimmung im Umfeld. In einer solchen Phase braucht es Energie und Kraft. Ein Trainer muss dann liefern und führen.
SPOX: Sie haben Aue und die Kickers in einer Phase übernommen, als beide Teams sportlich vollkommen am Boden lagen. Wäre es nach der reinen "Stipic-Tabelle" gegangen, dann hätten Sie den Klassenerhalt in beiden Fällen souverän geschafft. Ihr Gesamtpunkteschnitt beträgt 1,41. Würden Sie also noch einmal während der Saison einen akut abstiegsgefährdeten Verein übernehmen?
Stipic: Selbstverständlich. Es kommt immer auf das Potenzial der Gemeinschaft an und wie realistisch die Chancen sind, die Zielvorgaben des Vereins auch erreichen zu können. Ich kann voller Überzeugung sagen, dass es natürlich noch hilfreicher wäre, könnte ich die eigenen Vorstellungen in die Kaderplanung und Vorbereitungszeit mit einbringen. Doch diesen Luxus werde ich mir in Zukunft noch erarbeiten.
SPOX: Aber es war jeweils schon besonders heikel für Sie, in Aue und Stuttgart zwei seit mehreren Partien sieglose Teams zu übernehmen?
Stipic: Lieber stelle ich mir ein außerordentlich großes Ziel vor und verfehle dieses knapp, bevor ich ein kleines formuliere und dieses leicht übertreffe.
SPOX: Seit Ihrem Aus in Stuttgart wurden Sie bei anderen Klubs immer mal wieder im Dunstkreis möglicher Kandidaten genannt. Was fehlte bislang zu einer Einigung?
Stipic: Die Aufgabe muss für beide Seiten passen. Vereine stehen für Werte und ich als Mensch selbstverständlich auch. Passen diese zusammen, dann unterhält man sich mehr und mehr über die so wichtigen Details. Die Anzahl an Fußballlehrern ist letztlich groß, der Bedarf dagegen nicht immer so sehr. Das Besondere setzt sich durch.
SPOX: Es gibt also auch gewisse Einschränkungen für Sie?
Stipic: Grundsätzlich bin ich vom Naturell her ein offener und neugieriger Mensch, der Herausforderungen liebt. In Gesprächen findet man normalerweise relativ schnell heraus, ob Gleichgesinnte am Tisch sitzen.
SPOX: Inwiefern beschäftigt einen der Gedanke, nach zwei Anläufen im Profibereich, an deren Ende jeweils ein Abstieg stand, möglicherweise nicht mehr überall ganz oben auf der Liste der Kandidaten zu stehen?
Stipic: Stempeln mich zwei Abstiege wirklich ab für dieses Geschäft? Daran glaube ich nicht. Ich denke, die jeweilige Punktausbeute unter mir misst im Verhältnis zum vorhandenen Potenzial der Konkurrenz am objektivsten und fairsten, welche Leistung man tatsächlich erbracht hat. Zumal die Menschen, die in den Klubs die Entscheidungen treffen, auch meistens genauer hinschauen. Vereine suchen Trainer, die die Vereinsidentität auf den Platz bringen und viele Punkte versprechen.
SPOX: Sie wirken seit jeher selbstbewusst und positiv gestimmt. Wie schaffen Sie es, diese Grundstimmung aufrecht zu erhalten, obwohl Sie derzeit ohne Verein dastehen?
Stipic: Der Rückblick und die Analyse meiner bisherigen Arbeit geben mir dieses positive Gefühl. Ebenso die Gespräche mit den Verantwortlichen meiner bisherigen Vereine. Man hat mir in schwierigen Situationen das Heft des Handelns anvertraut und auch bis zum Ende offenbar nie das Gefühl gehabt, dass ein anderer Trainer mehr hätte herausholen können. Die Reißleine wurde ja nie gezogen.
SPOX: Immerhin können Sie so auch sagen, bisher noch nie entlassen worden zu sein.
Stipic: Genau, das wird sicherlich auch irgendwann passieren. (lacht) Aber dafür muss ich erst einmal im Job sein.
Tomislav Stipic im Steckbrief