Malte Metzelder ist seit 1. April Sportdirektor und Geschäftsstellenleiter beim SC Preußen Münster. Im Interview spricht der 35-Jährige über seine Zeit bei Borussia Dortmund unter Matthias Sammer und die Schwierigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung wegen der Vergleiche zu seinem prominenten Bruder Christoph. Zudem erklärt Metzelder, was ihn an zehn Jahren beim FC Ingolstadt beeindruckt hat und wieso die Ausgliederung der Profiabteilung für Münster unausweichlich ist.
SPOX: Herr Metzelder, Sie sind aus der Autostadt Ingolstadt in die Fahrradstadt Münster gezogen. Haben Sie sich schon eine Leeze hergerichtet?
Malte Metzelder: Ich habe zum Glück noch eine. Insofern brauche ich mich da nicht groß umstellen. (lacht)
SPOX: Gehört es zu so einer Stadt dazu, auch mal mit dem Rad zur Arbeit zu fahren?
Metzelder: Ich habe mir darüber ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht. Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Allerdings ist es beim Standort meiner Wohnung schon sinnvoller, mit dem Auto zu fahren.
SPOX: Die Rückkehr nach Münster war für Sie eine Rückkehr zu Ihren fußballerischen Wurzeln. Vor 14 Jahren haben Sie den SC Preußen verlassen. Wie haben sich die Stadt und der Verein seitdem entwickelt?
Metzelder: Die Stadt ist weiter gewachsen und hat sich unheimlich verändert, sei es in der Gastronomie, bei den Sehenswürdigkeiten, bei den Mietpreisen. Natürlich hat sich auch der Verein entwickelt, es sind ja einige Jahre vergangen. Was jedoch gleich geblieben ist, ist die Stadionsubstanz. Die ist alt-ehrwürdig geblieben. Im Moment bin ich aber ohnehin noch täglich dabei, den Verein aufzusaugen. Deshalb ist es noch zu früh für ein erstes Fazit.
SPOX: Als Aktiver sind Sie damals vom Regionalligisten Preußen in die Bundesliga zu Borussia Dortmund gewechselt. Wie schwierig war der Sprung zu einem der größten Klubs Deutschlands?
Metzelder: Das war ein wahnsinnig großer Schritt. Allerdings habe ich einen sehr guten Einstieg bekommen. Mein Bruder war da, ich kannte den einen oder anderen Spieler schon. Deshalb gab es keinerlei Berührungsängste. Die Qualität war aber eine ganz andere. Es war schon damals so, dass auf jeder Position zwei Nationalspieler im Kader waren. Die Trainingseinheiten waren enorm gewinnbringend.
SPOX: Fällt der Schritt leichter, wenn man aus der Gegend stammt?
Metzelder: Sicher spielt das eine Rolle. Es gab zu dieser Zeit auch eine Anfrage eines anderen Vereins. Aber das Gesamtpaket beim BVB hatte einen enormen Reiz für mich, so dass ich mich letztendlich dafür entschieden habe.
SPOX: Im ersten halben Jahr haben Sie noch einige Spiele in der Bundesliga und auch im UEFA Cup gemacht, haben danach allerdings anderthalb Jahre lang keine Rolle mehr gespielt. Wie kam es dazu?
Metzelder: Matthias Sammer war in meinem ersten Jahr Trainer. Bei ihm hatte ich das Gefühl, dass er mich protegiert. Ich habe mich durch die intensive Trainingsarbeit in allen Bereichen verbessert und das hat er mit Spielzeiten belohnt. In dieser Phase hatten wir auch viel Verletzungspech...
SPOX: Unter anderem hat Ihr Bruder Christoph die ganze Saison verletzungsbedingt verpasst.
Metzelder: Genau. Dadurch kamen die Einsatzmöglichkeiten, die ich mir aber auch erarbeitet und verdient hatte. Somit konnte ich nach meiner ersten Saison ein positives Resümee ziehen.
SPOX: Was ist dann passiert?
Metzelder: Im Sommer gab es den Trainerwechsel zu Bert van Marwijk. Bei ihm habe ich in den Trainingseinheiten weiterhin voll mitgemischt und war am Wochenende auch immer im Kader, jedoch ohne weitere Spielminuten. Auf Rückfragen hat er mir stets ein positives Feedback gegeben, allerdings immer mit der klaren Aussage, dass ich nicht unter den ersten 13, 14 Spielern stehe. Also wollte ich durch Leistung überzeugen und habe im Training Gas gegeben. Doch dann hatte ich eine schwere Knieverletzung und mein Vertrag ist ausgelaufen.
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SPOX: Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Metzelder: Borussia Dortmund ist und bleibt eine entscheidende Station meiner Karriere. Ich habe Bundesliga gespielt und internationale Erfahrungen gemacht. Besonders geprägt hat mich dann aber die erste schlimme Verletzung. Ich musste lernen, geduldig zu sein. Ich war ein sehr ehrgeiziger Typ und manchmal ein bisschen drüber.
SPOX: Sie haben die Förderung durch Matthias Sammer angesprochen. Er war ein sehr junger Trainer. Was haben Sie sich von seinem Führungsstil abschauen können?
Metzelder: Sammer hat hohe Anforderungen an die Spieler gestellt, so wie er sie an sich selbst gestellt hatte. Er hat Werte wie Professionalität und Akribie vorgelebt. Ich glaube, dass seine Arbeitsweise ebenfalls einen Anstoß für die Weiterentwicklung in diesem Sport gegeben hat. Darüber hinaus war er sehr mutig. Wenn jemand fleißig gearbeitet hat, hat er auch seine Chance bekommen - egal, ob er 18 war, 20 oder 35. Das habe ich sehr geschätzt.
SPOX: Als Sie 2003 nach Dortmund wechselten, war Ihr Bruder bereits gestandener Nationalspieler und Kapitän beim BVB. War diese Tatsache ein erschwerender Faktor für die öffentliche Wahrnehmung Ihrer Leistungen?
Metzelder: Die Erwartungshaltung war schon enorm. Wenn der Bruder auf einem hohen Niveau und der gleichen Position spielt, ist es beinahe ein Automatismus, dass der Nachrücker mit dem Ist-Zustand verglichen wird. Dazu kam, dass ich mir selbst Druck aufgebaut hatte. Ich wollte aus Christophs Fußstapfen heraustreten. Ich war auch gut und hatte meine Qualitäten. Das wollte ich beweisen.
SPOX: Wie schwierig war es für Sie, damit umzugehen?
Metzelder: In der Anfangszeit hatte ich Probleme, das gebe ich offen zu. Mit den Jahren bin ich besser damit klar gekommen. Nichtsdestotrotz war das ein Anstoß für mich, einen Schritt aus Dortmund heraus zu gehen. Mit den Stationen in Süddeutschland bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Ich bin ein anderer Typ und wer sich mit meiner Vita beschäftigt, wird das auch so sehen. Insofern stehe ich über den Vergleichen.
SPOX: Der Schritt vom BVB zurück zum Regionalligisten VfR Aalen klingt allerdings auf den ersten Blick nach einem Abstieg.
Metzelder: Klar, für den einen oder anderen sah es aus wie eine Niederlage. Die Situation war schwierig. Ich war verletzt, mein Vertrag lief aus und ich habe über den nächsten Schritt nachgedacht. Dann war diese Anfrage da. Der Verein hatte ambitionierte Ziele und wollte eine schlagkräftige Mannschaft aufbauen. Außerdem bin ich dort als ganz anderer Spieler wahrgenommen worden. Ich wurde von vornherein als Führungsspieler verpflichtet. Deshalb habe ich den Wechsel als Chance für einen Neustart gesehen, um mich bestmöglich zu entfalten.
SPOX: Das hat geklappt. Im zweiten Jahr waren Sie direkt Kapitän.
Metzelder: Ich musste Verantwortung übernehmen und bin dadurch als Spielertyp gereift. Insofern war der Wechsel eine sehr gute Entscheidung.
SPOX: Eine der wichtigsten Entscheidungen Ihrer Karriere haben Sie beim Transfer zum FC Ingolstadt getroffen.
Metzelder: Das kann man so formulieren. Ich hatte dort gute Gespräche mit dem damaligen Präsidenten. Er hat mir von seinen Plänen erzählt und ich habe ihm jedes Wort geglaubt. Viele haben ihn für verrückt gehalten, auch innerorts, aber im Grunde ist alles so eingetroffen, wie er es gesagt hat.
SPOX: Fielen damals bereits Worte wie Bundesliga?
Metzelder: Ja, innerhalb einer zeitlich vorgegebenen Periode war der Aufstieg in die Bundesliga ein Ziel. Aber auch darüber hinaus folgte die Entwicklung des Vereines einem klaren Plan: neues Stadion, Ausgliederung - Themen, die mich hier in Münster wieder begleiten. Ich habe gemerkt, dass er ein Visionär ist und kein Spinner. Er ist als Geschäftsmann erfolgreich und hat ein Händchen für richtige Entscheidungen.
SPOX: Sie waren zehn Jahre in einem Verein, den es erst seit 13 Jahren in dieser Form gibt. Welche Entwicklungen haben Sie am meisten beeindruckt?
Metzelder: Der Verein hat bei null angefangen. Das Stadion war eine Bruchbude, die Strukturen de facto nicht vorhanden. Alles ist sukzessive verbessert und vergrößert worden - natürlich begünstigt durch den sportlichen Erfolg. Der Verein hat innerhalb kürzester Zeit Dinge auf den Weg gebracht, für die andere 100 bis 150 Jahre gebraucht haben. Ich bin stolz darauf, diesen Weg mitgestaltet zu haben. Daher war es am Ende eine schwierige Entscheidung, etwas zu hinterlassen, wo eine Menge Herzblut drinsteckt, wo mein Meniskus noch irgendwo auf dem Rasen liegt. (lacht)
SPOX: Durch die angesprochene schwere Knieverletzung hat Ihre aktive Karriere nicht das erfreulichste Ende genommen. Wie früh haben Sie angefangen, sich damit zu befassen, wie es nach der Karriere weitergehen wird?
Metzelder: Grundsätzlich habe ich von meinem Elternhaus immer mitbekommen, dass ich neben dem Leistungssport versuchen sollte, mich breiter aufzustellen. Die Zeit dafür ist ja da. Die Gefühlslage während der schweren Knieverletzung können Außenstehende aber nur schwer nachvollziehen. Es ist ja nicht nur ein Beruf. Es ist Hobby, Passion - da wollte ich nicht so einfach aufhören. Ich bin eine Zeit lang zweigleisig gefahren.
SPOX: Wie sah das aus?
Metzelder: Es gab während meiner Rehazeit die Möglichkeit, ein Praktikum beim FCI zu machen. Ich habe dadurch einen schleichenden Einstieg genommen. Allerdings hatte ich lange noch den Biss und den Glauben, dass ich auf den Platz zurückkommen werde. Ich hatte viele Ups and Downs, bin noch einmal nachoperiert worden und hatte abschließend eine Umstellungsosteotomie. Die wünsche ich keinem...
SPOX: Warum?
Metzelder: Bei diesem Eingriff wird die Beinachse verändert. Das heißt, man schneidet beispielsweise den Unterschenkel durch, schneidet einen Keil raus und setzt es wieder zusammen.
SPOX: Au weia.
Metzelder: Ich habe also wirklich alles versucht. (lacht) Danach wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr über den Freizeitsport hinaus kommen werde. Also habe ich das Praktikum weiter forciert und 2014 schließlich gesagt: "Schalter umlegen, Abfahrt."
SPOX: Wie muss man sich die Ausbildung vorstellen, in der Sie bei den Schanzern Trainee waren und nebenher studierten?
Metzelder: Mein Wunsch war es, in die Management-Ebene zu gehen und nicht in die Trainerschiene. Ich war aber sogar eine Saison lang im Trainerteam der U16 dabei. Wenn ich in der Geschäftsführung mitarbeite, macht es Sinn, jeden Bereich und dessen Abläufe zu kennen. Ich wusste, wie ein Spieler tickt, aber ich wollte auch lernen, wie ein Trainer tickt, wie Mitarbeitergespräche ablaufen, wie die kaufmännische Seite funktioniert. Für mich war klar, dass ich dieses Masterstudium machen wollte. Also haben wir gemeinsam abgestimmt, dass ich parallel dazu Erfahrungen in den einzelnen Bereichen sammle.
SPOX: Sie haben eng mit dem Geschäftsführer Sport und Kommunikation zusammengearbeitet.
Metzelder: Es ging um alle sportlichen Themen, aber auch um Budgetpläne und die strategische Ausrichtung. Darüber hinaus gab es einen engen Austausch mit dem Sportdirektor. Das Vertragswesen ist zudem bei mir zusammengelaufen. Eine sehr vertrauensvolle Aufgabe, wie ich finde.
SPOX: Über Ihr Engagement bei Preußen Münster gab es schon länger Gerüchte. Das lässt zumindest vermuten, dass schon eine Weile Kontakt bestand.
Metzelder: Ich habe den Verein im Laufe der Jahre weiter verfolgt, weil es die Station war, in der ich Profi wurde. Der Kontakt ist durch den Anruf eines Aufsichtsratsmitgliedes entstanden. Als es dann konkreter wurde, habe ich meinem Klub ganz transparent eröffnet, dass es eine ernst zu nehmende Anfrage gibt und es sehr schnell ernst werden könnte. Ich denke, die Schanzer haben geahnt, dass dieser Tag kommen wird. Sie haben noch einmal alles probiert, aber sie konnten mich nicht mehr umstimmen.
SPOX: Seit Ihrem Amtsantritt am 1. April sind Sie Sportdirektor und Leiter der Geschäftsstelle. Das klingt nach einem 24/7-Job.
Metzelder: Aktuell wird mir jedenfalls nicht langweilig. (lacht)
SPOX: Der Verein ist beinahe 100 Jahre älter als der FC Ingolstadt. Ist diese gewachsene Tradition nur Vorteil oder kann sie auch Nachteile haben?
Metzelder: Ingolstadt hat jedenfalls den Vorteil, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit von anderen Vereinen gelernt haben und sie nicht wiederholen. Sie können Ihre Geschichte jetzt erzählen. Der Vorteil hier ist, dass das Münsterland als Region unheimlich viel Potential und der Verein eine sehr gute Fußballkultur hat. Es gibt eine großartige Fanbasis. Wenn man hier Erfolg hat, nimmt man das unmittelbar wahr. Aber man hat ein bisschen diesen Mut verloren.
SPOX: Inwiefern?
Metzelder: Es fehlt der Mut zu sagen: "Wir sind modern und gehen neue Wege, ohne dabei die Tradition und unsere Werte aufzugeben Wir dürfen nicht den Anschluss verlieren." Wir sind im Moment an dem Punkt, an dem wir uns fragen müssen, ob wir wettbewerbsfähig bleiben oder einfach nur in Erinnerungen schwelgen wollen. Dann wird die Reise aber nach unten gehen.
SPOX: Damit sind wir bei der angestrebten Ausgliederung der Profiabteilung. Ist bei dieser Thematik ein zu traditionalistisches Denken hinderlich?
Metzelder: Zuallererst ist wichtig, gut aufzuklären und zu informieren. Wir müssen die Leute mitnehmen und ihnen klar machen, dass wir dem Verein nichts Böses wollen, sondern ihn wieder auf die Gleise bringen möchten. In dieser Situation geht es um Vertrauen in die verantwortlichen Leute. Ich habe erwähnt, dass mir in Ingolstadt ein Visionär begegnet ist. Hier hatte ich in den Gesprächen genau die gleichen Gefühle wie damals. Es war wie ein Deja-vu. Deshalb wollte ich da unbedingt dabei sein.
SPOX: Demnächst soll in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung über die Ausgliederung entschieden werden. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es gelingen wird?
Metzelder: Es gab Informationsveranstaltungen für die Mitglieder, Gespräche mit der Stadt, Treffen mit Sponsoren. Vom Austausch mit den Mitgliedern war ich positiv überrascht, auch über die vielen Fragen, die absolut verständlich sind und auch kommen müssen. Es bringt meines Erachtens nichts, Parolen zu dreschen. Wir gehen den Weg der Information. Wir möchten Strukturen schaffen, in denen die Wahrscheinlichkeit steigt, sportlichen Erfolg zu haben. Um nichts anderes geht es in diesem Job.