Herr Krasniqi, um sich Ihrer bewegenden Karriere zu nähern, beginnen wir ganz am Anfang. Im Jahr 2003 gingen Sie im Alter von elf Jahren zum Sichtungstag des TSV 1860 München. Ihr ursprüngliches Vorhaben war jedoch ein anderes, als dort vorzuspielen.
Liridon Krasniqi: Meine Jungs und ich wollten hingehen, um zu schauen, ob wir etwas aus den Kabinen klauen können. Ich bin davor nochmal schnell heim und habe mir zur Sicherheit meine Fußballschuhe geschnappt. Am Gelände, die anderen waren schon in den Kabinen, stieß ich auf meinen alten Trainer von Wacker München. Er wollte wissen, was ich hier tue. Die Wahrheit konnte ich ihm natürlich nicht sagen und meinte daher nur, dass ich zuschauen will. Er sagte mir dann, dass er mit seinen beiden Söhnen Tomislav und Ivan da sei, Tomi aber trotz Anmeldung doch nicht teilnehmen könne, weil er krank sei.
Das brachte Sie auf eine Idee.
Krasniqi: Es war, als hätte sich ein Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ich rannte zum Empfang und sagte, dass ich zu spät gekommen sei - mein Name sei Tomislav Bakovic. (lacht) Zum Glück hatte ich meine Schuhe dabei. Meine Jungs sahen mich und dachten nur: Was tut der da? Ich bin dann auf den Platz, habe den Liridon-Schriftzug auf meinen Predators weggewischt und schon ging es mit ungefähr 30 Mann los. Zum Schluss hieß es: 'Es tut uns leid, es hat nur einer geschafft: Tomislav Bakovic. Bei dir melden wir uns.'
Liridon Krasniqi klaute beim TSV 1860 München dem Trainer der Amateure die Schuhe
Wie ging es weiter?
Krasniqi: Nach zwei Wochen hatte sich immer noch niemand gemeldet. Mein älterer Bruder Hasan riet mir daher: 'Geh einfach hin und sag denen genau, was du gemacht hast, vielleicht gefällt denen ja die Story.' Ich habe dann bei Jugend-Koordinator Jürgen Jung angerufen und alles erzählt. Er hat die ganze Zeit nur zugehört und dann gesagt, dass er so etwas Krankes noch nie gehört habe. Ich solle aber einfach mal vorbeikommen, anscheinend wäre ich ja talentiert. Am nächsten Tag ging ich dort direkt zum Training. Danach sagten sie: 'Wir nehmen dich.'
Sie spielten drei Jahre von der U12 bis zur U14 bei den Löwen. Stimmt es, dass Ihre Zeit endete, weil Sie rausgeworfen wurden?
Krasniqi: Nein. Was stimmt ist, dass ich Schuhe geklaut habe. Und zwar die von Wolfgang Schellenberg, dem damaligen Trainer der Amateure. Ich wurde dabei gesehen und verpfiffen. Von Berthold Nickl, bis heute einer meiner engen Vertrauten, habe ich eine zünftige Ansage bekommen: Wenn so etwas nochmal passiert, schmeißen sie mich raus. Ich habe dann aber selbst per Einschreiben gekündigt, weil ich von heute auf morgen einfach keinen Bock mehr auf 1860 hatte.
Warum haben Sie es damals nicht geschafft, die nötige Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen, um die Chance bei einem Klub wie 1860 auch zu nutzen?
Krasniqi: Heute finde ich es natürlich auch sinnlos, gekündigt zu haben. Eigentlich war alles super und die Akademie sehr gut. Ich habe wohl einfach die Straße zu sehr geliebt. Durch die Schule und das Training hatte ich kaum Freizeit. Ich wollte mehr mit meinen Jungs rumhängen, mit ihnen auf der Straße Fußball spielen.
Zum Beispiel bei "Buntkicktgut", einer interkulturellen Straßenfußball-Liga in München. Warum war dort der Reiz für Sie größer als bei 1860?
Krasniqi: Rüdiger Heid, der das Projekt leitet, haben wir alle bestimmt 80 Prozent von dem zu verdanken, was wir heute sind. Er hat uns von der Straße geholt. "Buntkicktgut" war unser Leben, dafür habe ich 1860 aufgegeben. Ich wollte dort immer dabei sein. Da konnte ich einfach nur spielen, bei 1860 musste ich mir Vorwürfe anhören und erklären, warum ich so bin, wie ich bin. Rüdiger wusste, wie wir sind. Er wusste, dass wir die Trikots wieder geklaut hatten, in denen wir dort gespielt haben.
Diebstähle scheinen Ihr damaliges Leben stetig begleitet zu haben ...
Krasniqi: Wir waren einfach Ganoven, bei uns war Klauen ein Hobby. Jedes Wochenende haben wir Kabinen ausgeräumt und die Beute geteilt. Wenn es finanziell mal eng wurde, sind wir in irgendein Sportgeschäft spaziert, haben 20 Trikots geklaut und anschließend für den halben Preis verkauft. Das war aber nur in der größten Not, weil es sehr riskant war.
Ähnliches könnte man auch über Ihre Ausflüge in den VIP-Bereich der Allianz Arena sagen. Dort haben Sie Menschen in teuren Autos, die das Spiel frühzeitig verlassen haben, vor der VIP-Ausfahrt angehalten und nach den Tickets gefragt.
Krasniqi: Das habe ich jedes Wochenende gemacht, mit den Tickets konnte man mehrfach raus und wieder rein. Ich hatte meine Mittel und Wege, um mich dann in den VIP-Bereich zu schleichen. Mehrfach saß ich da mit 13 oder 14 mit den großen Bossen zusammen. Die dachten sich wohl, dass ich ein Kind von jemandem bin.
Nach Ihrer Zeit bei den Löwen spielten Sie in der Jugend des FC Bayern. Wie kam der Wechsel zur U16 zustande?
Krasniqi: Ein halbes Jahr zuvor war ich beim FC Pipinsried, da haben viele meiner Jungs gespielt. Ich wollte dort fit bleiben. Irgendwann habe ich Berthold angerufen. Bei ihm habe ich mich immer gemeldet, wenn es mir nicht gutging - aber nie, wenn es mir gutging. Wenn ich Stress hatte, auch mit der Polizei, hat er mir immer sehr geholfen. Mir war es in Pipinsried zu langweilig. Daher habe ich zu Berthold gesagt: 'Ich will zum FC Bayern und es ist mir ist scheißegal, wie.' Er versprach, sich zu melden. Im Sommer bekam ich einen Anruf, dass ich am nächsten Tag zum Probetraining kommen könnte. Ich bin vor Freude in der Wohnung herumgehüpft, auch mein Vater hat sich als absoluter Bayern-Fan extrem gefreut.
Lange hielt die Freude jedoch nicht: Nach erfolgreich absolviertem Probetraining fand auch Ihre Zeit beim FCB ein schnelles Ende.
Krasniqi: Man wusste dort vom ersten Tag an, was ich für einer war. Nach dem Probetraining saß ich im Büro mit Berthold und Nachwuchsleiter Werner Kern. Sie haben mir gesagt, dass sie mein fußballerisches Talent sähen, mich aber auf die Sportschule schicken wollten, um mich unter Kontrolle zu haben. Und wenn ich von der Schule fliegen würde, passiere dasselbe beim FC Bayern.
"Ich hasse Regeln, damit bin ich nie klargekommen"
Wieso kam es dazu?
Krasniqi: Ich wusste gar nicht, was eine Sportschule ist. Schule bis 17 Uhr, hieß es. Darauf hatte ich eigentlich gar keinen Bock. Berthold hat mich aber überzeugt und bei Bayern zu sein war so ein geiles Gefühl. Leider habe ich auch dort zu viel Mist gemacht. Nach einem Monat bin ich geflogen. Das war aber ein Missverständnis und so unnötig: Ich wollte eine S-Bahn erwischen und bin deshalb fünf Minuten vor Unterrichtsschluss gegangen. Man hat kein Pardon mit mir gezeigt. Es war ja auch so abgesprochen - ein Fehler und ich bin raus.
Auch bei Bayern war das Klauen wieder ein Thema bei Ihnen.
Krasniqi: Nicht nur. Ich habe bei meinen Schuhen immer das Adidas-Zeichen leicht abgemacht. Und da man bei Bayern ja nicht mit kaputten Schuhen spielen kann, durfte ich mir immer wieder neue holen. Die alten Treter durfte man aber trotzdem wieder mitnehmen. Zu Hause habe ich dann das Zeichen wieder angeklebt und hatte plötzlich 30 Paar Schuhe. Zum Teil habe ich welche davon auch verkauft. Als es dann für mich dort endgültig vorbei war, durfte man sich aussuchen, was man möchte. Ich bin dann in den Keller runter, da waren die ganzen Klamotten und Trainingssachen. Für die ganze Nachbarschaft habe ich eingepackt - vier Taschen voll.
Bereuen Sie heute Ihr Verhalten? Schließlich haben Sie so die Chance beim größten deutschen Klub verspielt.
Krasniqi: Auf jeden Fall. Ich war quasi an der Quelle und habe versucht, mich anzupassen, es aber nicht ausgenutzt. Das ist traurig. Ich hätte das mehr wahr- und ernst nehmen müssen.
Womit hatten Sie damals als Mensch die meisten Probleme?
Krasniqi: Mit Vorgaben von anderen. Ich hasse Regeln, damit bin ich nie klargekommen. Mir hat auch schlicht und ergreifend die deutsche Mentalität nicht gepasst. Ich habe so viele Probleme gemacht, viel Stress mit dem Gesetz gehabt. Ich zog einfach mein eigenes Ding durch. Fast immer, wenn ich vor dem Jugendgericht gelandet bin, hatte ich dieselbe Richterin. Die hat mir bald Spitznamen verpasst. Dann hieß es nur noch: 'Ah, der Fußballer wieder.'
Wie erging es Ihren Eltern mit Ihnen?
Krasniqi: Mein Vater musste fünf Kinder großziehen. Ich habe drei Schwestern, die zwei, vier und 14 Jahre älter sind als ich. Dazu einen acht Jahre älteren Bruder. Ich war damals nicht die Priorität. Nicht, weil sie es nicht wollten, sondern nicht konnten. Natürlich waren sie sehr enttäuscht, wenn ich Mist gebaut habe und von der Polizei verhaftet wurde.
Nachdem es bei Bayern nicht mehr weiterging, absolvierten Sie unter anderem ein zweitägiges Probetraining beim BVB. Wie lief das?
Krasniqi: Berthold hatte das eingefädelt. Am nächsten Tag stand ich alleine am Flughafen und bestieg zum ersten Mal ein Flugzeug. Als ich in Dortmund in die Kabine kam, hat mich niemand beachtet. Nur Mario Götze kam auf mich zu und sagte: 'Setz dich ruhig hier hin. Welche Klamotten brauchst du?' Er war ein richtig korrekter Typ. Am ersten Tag lief es super. Ich habe auf der Sechs und der Acht gespielt und das so gut, dass sie mich eigentlich haben wollten. Am zweiten Tag habe ich es aber vergeigt. Ich musste als Innenverteidiger gegen Mario ran. Da lief's überhaupt nicht rund. Am Ende hieß es, dass es nicht reicht.
Wie haben Sie gerade in der Zeit, in der Sie nach neuen Vereinen Ausschau hielten, Ihre Freizeit verbracht?
Krasniqi: Ich war immer auf der Straße unterwegs und habe versucht, irgendwo Geld zu machen. Acht, neun Jahre lang war ich so etwas wie ein festangestellter Bechersammler im Olympiastadion, nur dass ich mich natürlich selbst eingestellt habe. (lacht) Ich habe auch Karten vor dem Stadion verkauft, das war im Grunde mein Hauptberuf. Damit habe ich schon als Zehnjähriger mein Geld verdient und jedes Wochenende 400, 500 Euro gemacht.
Wie nah war grundsätzlich für Sie die Gefahr, richtig auf die schiefe Bahn abzurutschen?
Krasniqi: Es gibt ja verschiedene schiefe Bahnen. Ich war ja schon auf einer, nur nicht auf der, bei der man dann davon spricht, richtig abgerutscht zu sein. Ich habe Becher geklaut und war generell ein Dieb. Drogen zu nehmen oder zu verkaufen, zu viel Alkohol zu trinken - so weit ist es nie gekommen. Ich würde sagen, mich hat der Fußball davor gerettet. Ohne ihn hätte es viel schlimmer kommen können.
Nächster Stopp war für Sie der 1. FC Nürnberg. Den Wechsel in die dortige Jugendabteilung hat Ihnen erneut Berthold Nickl ermöglicht.
Krasniqi: Genau. Und das, obwohl dort Wolfgang Schellenberg Trainer war. Dem hatte ich ja bei 1860 die Schuhe geklaut. Ich bin ins Internat gekommen und war das erste Mal von zu Hause weg. Gleich zu Saisonbeginn haben wir gegen Bayern gespielt, das war fast meine komplette Mannschaft von früher. Ich wurde eingewechselt und habe das Siegtor geschossen. Beim Jubel bin ich ein bisschen vor der Trainerbank herumgetanzt. Das hat mich eigentlich sehr angespornt, ich wollte die Chance beim FCN nutzen. Fünf Monate später bin ich aber auch dort wegen der üblichen Geschichten rausgeflogen.
Dies bei 1860, Bayern und Nürnberg, den drei großen bayerischen Vereinen, zu schaffen, ist schon ein Kunststück. Wie erklären Sie sich das heute rückblickend?
Krasniqi: Ich glaube, wenn man von dort kommt, woher ich komme und diesen Weg macht, den ich gemacht habe, dann spielt Wertschätzung eine große Rolle. Ich selbst kannte sie aber nicht und das war das Problem. Ich war zu jung und zu wild und nicht mit dem zufrieden, was ich hatte. Ich dachte immer, ich habe doch noch Zeit - wenn es hier nicht klappt, dann klappt es eben dort.
Nicht nur nach Nürnberg, auch zuvor schon haben Sie immer wieder auch auf Baustellen gearbeitet. Wie kam das zustande?
Krasniqi: Ich wollte zu diesem Zeitpunkt - da war ich 17 - endlich aufhören, nur Scheiße zu bauen. Ich habe versucht, auf ehrliche Weise zu leben und nicht mehr zu klauen. Mein Schwager hat mich dann zu Abrissarbeiten in München mitgenommen, bei denen ich mit Schwarzarbeit acht Euro die Stunde verdient habe. Zur gleichen Zeit fand ich dank meiner togolesischen Kumpels zum Islam. Die haben jeden Tag fünfmal gebetet, auch während wir bei "Buntkicktgut" waren. Davon habe ich mich inspirieren lassen. Für mich war das wie eine Erlösung. Ab da habe ich das Leben und den Fußball richtig wertgeschätzt.
Liridon Krasniqi: Die Stationen seiner Karriere als Profi
Zeitraum | Verein |
2011-2013 | FK Mladá Boleslav |
2013-2015 | Ankaraspor |
2013-2014 | Fethiyespor (Leihe) |
2014-2015 | Osmanlispor (Leihe) |
2015-2019 | Kedah Darul Aman FC |
2019 | Melaka United FC |
2019-2023 | Johor Darul Ta'zim FC |
2021 | Newcastle United Jets (Leihe) |
2021-2022 | Odisha FC (Leihe) |
2022 | Khon Kaen United (Leihe) |
2023 | Terengganu FC (Leihe) |
Liridon Krasniqi: Zwischen Junkies im Internat und dem ersten Profivertrag für 400 Euro bei Slavia Prag
Schließlich setzten Sie sich eines Tages haben hin, um rund 100 E-Mails mit der Bitte um ein Probetraining an verschiedene Vereine auf der ganzen Welt zu senden. Wie kamen Sie auf die Idee?
Liridon Krasniqi: Ich wusste, dass ich etwas drauf habe und mein Geld mit Fußball verdienen muss. Selbst Nationalmannschaften wie der von Albanien habe ich geschrieben. Keiner hat geantwortet, niemand. Nur von Slavia Prag kam etwas zurück: Sie würden sich melden. Das hat mir gereicht, um einfach mit dem Zug dorthin zu fahren. Das hatte ich zuvor schon bei Sampdoria Genua probiert. Meine Hoffnung war, dass über Roberto Soriano, den ich aus der Bayern-Jugend kannte, etwas gehen könnte. Ich durfte aber nicht einmal mittrainieren.
Wie lief der Trip nach Prag?
Krasniqi: Ich bin direkt zwei Wochen geblieben! Die waren schon am ersten Tag von mir überzeugt, das war in deren A-Jugend. Ich kam die ersten fünf Tage in einem Hotel unter, bis ich in ein abgefucktes Junkie-Studenten-Internat gekommen bin. Das war der Horror! Da wurden Drogen konsumiert, auf den Toiletten lagen überall Spritzen. Noch in der ersten Woche habe ich aber meinen ersten Profivertrag unterschrieben, da war mir alles egal. Das war ein sogenannter Jungprofi-Vertrag. 400 Euro monatlich habe ich bekommen und durfte nach der ersten Saison auch auf ein besseres Internat. In Prag lernte ich in drei Monaten Englisch, was ich zuvor in zehn Jahren Schule nicht hingekriegt hatte.
Wie oft haben Sie noch in der Heimat vorbeigeschaut?
Krasniqi: Da musste ich erfinderisch sein, weil ich das Geld für das Zugticket natürlich nicht hatte. Das hätte 200 Euro gekostet. Daher fuhr ich oft schwarz. Ich wusste immer genau, wann die Schaffner kommen und an den Toiletten vorbeigehen würden. Dort habe ich mich oft versteckt. Drei-, viermal wurde ich erwischt, hochgerechnet habe ich mir aber ein paar Tausend Euro erspart. Ich musste aber auch deshalb nach Hause, weil es mit dem Essen nicht gereicht hat.
Inwiefern?
Krasniqi: Zu Hause wurde ich versorgt, aber in Prag musste ich im ersten Jahr noch betrügen. Ich war sehr oft in asiatischen Restaurants, weil ich wusste, dass man dort nicht mit Karte zahlen kann. Also bin ich rein und habe mich vollgefressen. Dann habe ich gesagt, dass ich kein Bargeld dabei habe und schnell zum Geldautomaten muss. Als Pfand ließ ich immer eine Nike-Tasche oder einen Rucksack zurück - und bin nie wiedergekommen. Der Trick funktionierte über 100-mal. Ansonsten ernährte ich mich nur von Eiern und Fünf-Minuten-Terrinen. Teilweise ging ich am Wochenende zum Spiel und wurde vom Trainer gefragt, weshalb ich so blass sei. Manchmal hat er mit etwas zugesteckt, um Essen kaufen zu können. Letztlich war mir das alles egal: Ich habe gebetet und Fußball gespielt, alles andere war unwichtig. Im zweiten Jahr bekam ich immerhin 600 Euro.
Warum haben Sie ausgerechnet in Prag das hingekriegt, was Ihnen in der Heimat in München nicht gelang - sich ohne Eskapaden längere Zeit bei einem ambitionierten Verein zu halten?
Krasniqi: Ich würde es gerade auf meine Erfahrungen in München zurückführen, auf die "Bayern-Schule" sozusagen. Mit all dem Deutschen bin ich zwar nie klargekommen, doch ich habe davon profitiert, was man mir bei 1860 und Bayern mitgegeben hat. Die Disziplin und Professionalität konnte ich in Prag irgendwie besser umsetzen. Ich bin dort wirklich für viele zu einem Vorbild geworden. Man gab mir die Nummer 10, ich wurde Kapitän und habe alle Spiele absolviert.
Nach zwei Jahren bei Slavia wechselten Sie zu Mlada Boleslav. Dort erhielten Sie einen Dreijahresvertrag und feierten Ihr Profidebüt. Mit welchen Gefühlen?
Krasniqi: Es war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Im ersten Jahr lief es auch gut und ich habe gespielt, aber nur 800 Euro verdient. Meine Wohnung musste ich selbst zahlen, da waren schon 250 Euro weg. Im zweiten Jahr wären es 1200 und im dritten 1600 gewesen, doch dazu kam es nicht mehr.
Was war der Grund?
Krasniqi: Der Verein hatte finanzielle Probleme. Nachdem ich zwei, drei Monate nicht bezahlt wurde, bin ich einfach nach Hause gefahren. Ich hatte auch Heimweh, aber dachte mir vor allem: Ich scheiß auf die, wenn die nicht zahlen. Auch dort war mein Geld immer knapp und ich wollte wirklich nicht mehr den Asiaten-Trick auspacken oder klauen gehen.
Sie wurden daraufhin von der FIFA wegen Vertragsbruchs gesperrt. Ein neuer Verein hätte 20.000 Euro für Sie zahlen müssen oder Sie hätten erst wechseln können, wenn Ihr Vertrag in Boleslav ausgelaufen wäre. Haben Sie die Sperre bewusst in Kauf genommen?
Krasniqi: Nein, ich hatte ja keine Ahnung, dass das dann passiert. Ich dachte, dass ich nach meinem Profidebüt sofort wieder irgendwo einen Platz finde. Am Ende habe ich wieder vier Monate lang auf der Baustelle gearbeitet.
Wie haben Sie sich in dieser Phase gefühlt?
Krasniqi: Sehr schlecht, fast depressiv. Ich habe mich zwei, drei Wochen lang in meinem Zimmer eingesperrt. Meine Mutter hat das Essen gebracht. Nachts bin ich alleine trainieren gegangen, nur damit ich keine Menschen sehen muss. Meine Eltern haben sich Sorgen gemacht. Nicht nur sie sagten zu mir, dass ich den Fußball hinter mir lassen und eine Ausbildung beginnen soll. Für mich war das aber keine Option. Ich bin auch abends nach der Baustelle auf den Platz und habe für mich alleine trainiert, später auch bei verschiedenen Vereinen in München. Ich wusste, der Moment würde kommen und ich wollte darauf vorbereitet sein. Das ging rund eineinhalb Jahre, bis ich einen Anruf aus der Türkei bekam.
Den erhielten Sie von Serdar Fafal, einem türkischen Berater aus München. Er vermittelte Ihnen ein zweitägiges Probetraining bei Ankaraspor. Der Verein verpflichtete Sie schließlich für die 20.000 Euro Ablöse und verlieh Sie direkt in die 3. Liga zu Fethiyespor. Dort lief es mit 33 Saisonspielen gut für Sie. Doch eine Saison später endete Ihre Zeit in Ankara schon wieder. Warum?
Krasniqi: Sie haben kein Gehalt mehr gezahlt. Es hieß vier Monate lang immer 'nächster Monat, nächster Monat'. Daher wollte ich meinen Vertrag auflösen. Das Fußballgeschäft in der Türkei ist der größte Scheiß. Die sind dort so dreckig, da gibt es so viele unehrliche Menschen. Man kommt sich wie auf dem Strich vor. Das fußballerische Niveau ist sehr gut, ich hatte auch viel Spaß. Probleme bei den Gehaltszahlungen sind dort aber nicht unüblich. Ich sehe das ganz simpel: Ich bringe meine Leistung, also erwarte ich das auch vom Verein. Jeden Monat will ich pünktlich mein Gehalt sehen. In anderen Berufen ist das ja auch der Fall. Warum sollte das also im Fußball anders sein?
Ließ Sie der Verein sofort ziehen?
Krasniqi: Nein, anfangs nicht. Die wollten eine Million Euro Ablöse für mich. Es dauerte ein halbes Jahr, bis mein Vertrag aufgelöst wurde. Da war ich längst wieder in München. Ich wäre gern in Europa, auch in der Türkei, geblieben. Ich hatte dann Angebote aus Tschechien, aber es hat sich nichts Konkretes ergeben.
Kurz darauf folgte im April 2015 der Wechsel nach Malaysia. Schon zuvor waren Sie sechs Wochen zu Probetrainings in Vietnam und warteten dort auf Angebote. Wie lief das genau ab?
Krasniqi: Das kam über einen Kontakt von ehemaligen Mannschaftskollegen aus der Türkei zustande. Dadurch lernte ich dann Frank van Eijs kennen, er war früher auch Profi. Letztlich habe ich in Vietnam nur zwei Wochen trainiert, sollte aber noch vier Wochen dort bleiben, weil erst dann das Transferfenster in Malaysia öffnete. Das Trainingsgelände war sehr schlimm, im Hotel konnte niemand Englisch - irgendwann habe ich mich sehr fremd und unwohl gefühlt. Auch die Angebote, die zwischenzeitlich eingetrudelt sind, haben mir einfach nicht gefallen.
Der Prinz von Malaysia half bei der schnellen Einbürgerung
Wie kam es also, dass Sie schließlich beim Kedah Darul Aman FC in Malaysia gelandet sind?
Krasniqi: Das war unglaubliches Glück! Ich wollte nur noch weg aus Vietnam, daher habe ich auf eigene Faust einen Rückflug gebucht. Einen Tag vor dem Flug war ich mit meinem Mofa unterwegs und musste tanken. Da ich kein Geld, aber meinen Ausweis dabei hatte, musste ich den an der Tankstelle als Pfand zurücklassen. Ich habe gesagt, dass ich ihn am nächsten Tag abholen würde. Erst als ich dann am nächsten Morgen auf dem Weg zum Flughafen war, merkte ich, dass ich meinen Ausweis nicht dabei hatte. Also bin ich auf schnellstem Weg zurück zur Tanke - doch die hatte auf einmal geschlossen. Daher habe ich den Flug verpasst. Der wäre um acht Uhr gegangen. Um elf Uhr klingelte dann mein Handy. Frank, der von all dem nichts wusste, war dran und sagte: 'Wir fliegen nach Malaysia!' Hätte ich den Rückflug nicht verpasst, ich wäre nie wiedergekommen.
In Malaysia sind Sie zu einem landesweiten Star geworden. Sie bekamen zweimal die Auszeichnung zum besten Spieler der Liga, wurden einmal zum populärsten Spieler des Landes gekürt, standen achtmal im Pokalfinale und gewannen sechs Titel. 22 Vorlagen in einer Saison hatte auch noch niemand geschafft. Wie ist Ihnen das gelungen?
Krasniqi: Ich denke, dass ich dem Volk und dem Fußball dort sehr viel gegeben habe. Ich habe dem Fußball etwas hinzugefügt, was es zuvor noch nicht gab: Einfach diesen Spaß zu vermitteln, für Entertainment zu sorgen und eine Persönlichkeit zu zeigen, die neu für die Menschen war. Es gab dort viele vor mir, aber keinen wie mich - und den Leuten hat genau das gefallen. Die Trophäen und individuellen Erfolge halfen dabei natürlich auch.
Der Hype um Sie ging so weit, dass man Sie in der malaysischen Nationalmannschaft gefordert hat. Die Einbürgerungsbestimmungen sind eigentlich sehr streng, zehn der vergangenen zwölf Jahre muss man dort gelebt haben. Wieso klappte es bei Ihnen schon nach fünf?
Krasniqi: Nicht nur das Volk, auch Politiker und der Prinz von Malaysia haben sich für mich ausgesprochen. Dann geht das mit der Staatsbürgerschaft natürlich schneller. (lacht)
Sogar sechs Kinder sollen nach Ihnen benannt worden sein.
Krasniqi: Ja, das stimmt. Ich wurde sofort darüber informiert. Alle sechs habe ich schon besucht und auch weiterhin Kontakt mit ihnen. In Malaysia ist es einfach so: Wenn du einmal mit den Fans das Eis gebrochen hast, musst du echt etwas Schlimmes tun, bevor sie wieder von dir abrücken würden. Ansonsten hält dein Standing über Jahre. Das hat mich an Deutschland immer gestört, dort ist die Wertschätzung sehr gering. Dafür muss man schon sehr viel erreichen. Selbst Spieler wie Mesut Özil, denen das gelungen ist, werden wieder fallen gelassen.
Apropos Ex-Spieler: Sie haben Ronaldinho im Urlaub in Dubai getroffen und das gemeinsame Bild mit ihm auf Instagram mit "When Legend Meets Legend" untertitelt.
Krasniqi: Das war krass, wie im Traum. Es fühlt sich bis heute so an, als wäre das nie passiert. Ronaldinho ging einfach mit einem Bier in der Hand an mir vorbei. Ich habe mich dann schnell zu ihm gesetzt. Da ich Spanisch spreche, haben wir uns kurz unterhalten. Das Foto war für mich eine sehr emotionale Sache. Er hat meine Kindheit geprägt und ist mein Idol. Bis heute schaue ich mir vor Spielen Highlight-Videos von ihm an.
Seit Jahresbeginn sind Sie nun vereinslos, kurzzeitig waren Sie auch in der Baller League aktiv. Wie geht es weiter?
Krasniqi: Im Moment trainiere ich bei drei spanischen Vereinen, einem Zweitligisten und zwei Drittligisten. Wahrscheinlich unterschreibe ich dort. Vielleicht werde ich ja auch in Spanien zur Legende.
Insgesamt haben Sie bislang in sieben verschiedenen Ländern Fußball gespielt. Haben Sie sich nicht auch manchmal eine größere Beständigkeit gewünscht?
Krasniqi: Nein. Ich will die Welt sehen, herumkommen und verschiedene Charaktere sowie Kulturen kennenlernen. Es hat sicherlich etwas Gutes, längere Zeit beim selben Verein zu spielen. Das ist aber nicht mein Ding. Zwei bis drei Jahre reichen, dann kann man weiterziehen.
Was glauben Sie: Wie wäre Ihre Karriere verlaufen, wenn Sie von Anfang an eine größere Seriosität an den Tag gelegt hätten?
Krasniqi: Ich wäre Bayern-Profi geworden. Das sage ich mit voller Überzeugung.
Krasniqi: Viele Profis haben einfach keinen Stil und laufen herum wie Falschgeld
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Krasniqi: Ich will auf jeden Fall im Sportbusiness bleiben. Ich kann mir vorstellen, Spielerberater zu werden, weil ich weiß, wie es geht, worum man sich bei Spielern kümmern muss und ich sechs Sprachen spreche. Dazu habe ich ein großes Netzwerk. Sonst würde ich gerne nach Europa zurückziehen, aber nur für vielleicht sechs Monate im Jahr und die restliche Zeit woanders verbringen.
Aber nicht in Deutschland?
Krasniqi: Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe Deutschland, seine Städte und das Essen. Deutschland hat mir alles gegeben, was ich heute habe. Was ich hasse, ist die deutsche Politik, die vielen Regeln, die Gesellschaft und ihren Neid. Die ganze Lebenseinstellung ist mir zu hasserfüllt. Diese Gesellschaft packe ich einfach nicht.
Sie haben einmal gesagt, würden Sie in Deutschland in der 2. Liga spielen, Sie liefen herum wie Falschgeld. Wie war das gemeint?
Krasniqi: Ich kenne sehr viele Spieler aus den beiden ersten Ligen. Ich finde, die haben einfach keinen Stil und laufen herum wie Falschgeld. Vielleicht verdienen sie mehr, als ich es je tun werde. Was sie aber nicht haben, ist Ansehen. Davon habe ich weitaus mehr als sie, obwohl ich in einem sehr fernen Land gespielt habe. Egal wo ich in Europa bin, werde ich erkannt und Leute wollen Fotos mit mir. Ich will einfach nur als Fußballer respektiert werden. In Deutschland aber darf man kein Star sein.
Sie wollen Ihren Werdegang als Buch veröffentlichen. Was ist Ihr Ziel dabei?
Krasniqi: Ich will vor allem der Jugend zeigen, dass sie nicht limitiert denken soll. Die Welt ist viel größer als nur Deutschland, sie hat viel mehr zu bieten. Du kannst überall jemand werden und groß herauskommen. Wenn es in Deutschland nicht klappt, dann mach weiter, geh woanders hin, probiere dich aus und interessiere dich! Meine Story hat Gewicht, ich will mit ihr für Inspiration und Motivation sorgen.