Kennen Sie noch Fernando Pereira P. Nando, kurz Nando? Der Brasilianer kickte zwischen 1989 und 1992 für den Hamburger SV. In 65 Spielen erzielte der Angreifer immerhin 17 Treffer für den HSV.
Von Nandos Toren spricht in Hamburg allerdings längst keiner mehr, eine Anekdote über den Brasilianer erzählen sie sich in der Hansestadt aber noch heute. Aus Angst vor der brasilianischen Steuerbehörde und fehlendem Vertrauen in die deutschen Banken, mauerte Nando einst 100.000 Dollar in seine Hauswand ein. Das Geld verschimmelte freilich bis zur Unkenntlichkeit.
Renato Augusto bester Neuzugang der Liga
Man mag Schmunzeln ob dieser Geschichte, andererseits belegt sie doch auch, wie schwer sich Brasilianer bisweilen taten und noch immer tun, in Deutschland zurechtzukommen.
Kommt ein Brasilianer allerdings zu Bayer Leverkusen, ist das häufig anders. In Leverkusen klappt's mit den Südamerikanern meist ohne große Anlaufzeit. Abseits und demzufolge auch auf dem Platz. Aktuelles Beispiel: Renato Augusto.
Der "Kicker" führt den 20-Jährigen nach der Hinrunde auf Platz sechs der besten Feldspieler mit einem Notendurchschnitt von 2,79. Der Brasilianer ist damit stärkster Neuzugang der Liga. Weit vor Landsleuten wie Thiago Neves vom HSV, Hertha-Verteidiger Kaka oder Hoffenheims Wellington.
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Calmund: "Leverkusen ist weit voraus"
Ein Bayer-Brasilianer also als echter Volltreffer. Wieder mal. Warum? Ganz einfach: Hinter Leverkusens Scouting am Zuckerhut steckt Methode. Bayer arbeitet zielgerichteter, intensiver und professioneller als jeder andere Bundesligist.
"Leverkusen ist den meisten Klubs bezüglich der Integration weit voraus. In der Beziehung sind sie bis heute vorbildlich", sagt Reiner Calmund im Gespräch mit SPOX.Zum kompletten Calmund-Interview
Tita erster Brasilianer in Leverkusen
Vor über 20 Jahren war Leverkusens Ex-Manager einer der Initiatoren für Bayers Aktivitäten in Brasilien. Durch einen Zufall lernte Calmund den Fotografen und Reporter Heinz Prellwitz kennen. Der lebte damals schon seit 30 Jahren am Zuckerhut und war hauptverantwortlich für den Transfer von Tita, Leverkusens erstem Brasilianer.
Fortan intensivierte Bayer seine Aktivitäten, baute Stück für Stück ein Netzwerk auf und machte Norbert Ziegler zum Chefscout. Der 55-Jährige ist seitdem rund drei Monate pro Jahr in Brasilien, hat sich dort ein festes Büro eingerichtet und sagt: "Kein Europäer war öfter im Maracana als ich."
Säule eins: Sichtung der Medien
Insgesamt 18 Brasilianer hat Ziegler mit seinen Mitarbeitern mittlerweile schon von seinen Reisen nach Leverkusen mitgebracht. Eingeschlagen haben davon längst nicht alle, deutlich mehr allerdings, als bei vielen anderen Klubs.
Der Grund: Leverkusen hat ein "Vier-Säulen-System des Scoutings" entwickelt, wie Calmund es nennt. Punkt eins, der erste Schritt, ist die Sichtung der Medien. "Wir haben die Entwicklung der Spieler intensiv durch die Bewertung in den hiesigen Medien beobachtet. Das war unsere Erstinformation", so Calmund.
Netzwerk von Informanten
Säule zwei ist ein weit verzweigtes Netzwerk an Informanten, "ähnlich wie es der FC Valencia in den 80er Jahren in Argentinien machte", sagt Ziegler, zu dessen Zuarbeitern diesbezüglich Trainer, Spieler, Berater und Journalisten aus Brasilien zählen.
"Durch dieses Netzwerk können wir Spieler über einen langen Zeitraum intensiv beobachten", erklärt Ziegler. Der Konkurrenz ist Bayer dadurch mindestens einen Schritt voraus, wie das Beispiel Renato Augusto belegt.
Leverkusen hatte den Mittelfeldspieler durch zahlreiche Informanten seit über drei Jahren beobachtet. Als der 20-Jährige vor dieser Saison dann auf den Markt kam, konnte Bayer sofort reagieren. "Anders hätten wir keine Chance gehabt", sagt Ziegler.
Vor-Ort-Scouting und Datenerfassung
Neben den Informationen seiner Mitarbeiter überzeugt sich Zieglers Scouting-Team auch regelmäßig selbst vor Ort von den Qualitäten der Samba-Kicker und hält alle Beobachtungen detailliert fest: die dritte Säule.
Über 10.000 Namen umfasst die Datenbank bereits, die Ziegler und seine Kollegen im Laufe der Zeit erstellt haben. "So kann ich binnen 24 Stunden ein aussagekräftiges Profil erstellen."
Alle Spieler werden dabei in verschiedenen Kategorien von null bis zehn Punkten bewertet. Neben den sportlichen Aspekten fließen in diese Beurteilung auch Charaktereigenschaften und soziale Gesichtspunkte ein. "Wer bei Willensstärke schlechter als 8,5 abschneidet, der wird es in Europa schwer haben", erklärt Ziegler.
Und weiter: "Es können Kleinigkeiten bis hin zur Körpersprache sein, die entscheiden, ob der Spieler nach Europa passt. Was drüben toll ist, kann hier schiefgehen."
Viele Gespräche und Integration
Damit es in Deutschland eben nicht schief geht, hat Leverkusen eine vierte Säule etabliert. In Gesprächen mit den Spielern, deren Klubs und Umfeld baut Bayer ein Vertrauensverhältnis auf und versucht zu ergründen, wie die Spieler ticken.
Entscheidender Faktor war dabei jahrelang Heinz Prellwitz, der vor Ort an allen Gesprächen beteiligt war und nach einem erfolgreichen Transfer mit nach Deutschland kam, um sich rund um die Uhr um die Spieler und deren Familien zu kümmern.
"Er kannte beide Mentalitäten und war dadurch für die Integration enorm wichtig", sagt Calmund. "Prellwitz hat die Rolle des Großvaters oder des Onkels der Familie eingenommen. Das ging sogar soweit, dass er mit den Frauen bis in den Kreißsaal gegangen ist."
Nach Prellwitz' Tod haben in Leverkusen mit Jonas Boldt und Frank Ditgens gleich zwei Leute dessen Aufgaben übernommen. "Brasilianer machen nur aus zwei Gründen Schwierigkeiten: Wenn sie nicht spielen oder wenn sie keine Geborgenheit verspüren", sagt Ziegler. Und dann mauern sie auch mal ganz schnell 100.000 Dollar in eine Hauswand ein.