Fünf Spieltage vor Saisonende hat der FC Bayern München die Reißleine gezogen und Trainer Jürgen Klinsmann entlassen. Jupp Heynckes und Hermann Gerland werden die Mannschaft bis Saisonende betreuen. Klinsmann ist letztendlich an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert. Am Ende hatte er keine Chance.
Die Bosse hatten es eilig. Punkt 14 Uhr trat der Vorstand des FC Bayern München geschlossen vor die Presse, um die Gründe für die Entlassung von Trainer Jürgen Klinsmann darzulegen. Knapp 60 Journalisten spitzten die Ohren, als Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge das Wort ergriff.
"Durch die Ergebnisse der letzten Wochen, ich darf da an das 0:4 in Barcelona oder das 1:5 in Wolfsburg erinnern, haben wir uns große Sorgen gemacht, ob wir die sportlichen Ziele, mindestens die Teilnahme an der Champions League, noch erreichen können. Der Schritt war nicht einfach. Aber wir sahen uns gezwungen, die psychologische Barriere bei Seite zu räumen. Es war ein Befreiungsschlag in Form einer Trennung."
Manager Uli Hoeneß sagte, der Verein habe alles gegeben, um das Ding mit Klinsmann durchziehen. "Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man zweifelt", so Hoeneß.
Bayern entlässt Klinsmann - der Tag im Live-Ticker zum Nachlesen
Hoeneß: "Vielleicht mussten wir Klinsmann schützen"
Gezweifelt haben sie schon länger. "Wir sitzen seit längerem jeden Sonntag zusammen und haben stets entschieden, Jürgen das Vertrauen auszusprechen. Er hat wohl geglaubt, dass er auch nach dem Sieg unserer Freunde aus Cottbus gegen Wolfsburg weitermachen darf. Aber da haben wir uns gesagt: 'Nein, jetzt erst recht'", sagte Hoeneß.
Das klang gehässig und wie ein süßer Triumph über den vor allem bei den Fans ungeliebten Trainer. "Klinsmann raus"-Rufe führen die Charts der Gesänge im Fanblock seit Monaten unangefochten an, die die Grenze des Erträglichen für Klinsmann überschritten. "Ich habe Jürgen bewundert, wie er damit umgegangen ist. Vielleicht mussten wir ihn auch schützen", sagte Hoeneß.
Hoeneß und Rummenigge betonten unisono ihre große Hoffnung, dass das Gespann Jupp Heynckes/Hermann Gerland noch die Kurve kriegt - sprich mindestens Platz zwei erreicht.
Klinsmanns Plan ging nicht auf
Klinsmann haben sie das nicht mehr zugetraut. Stundenlang rauchten am Sonntag die Vorstandsköpfe bei einer Krisensitzung nach der Heimpleite gegen Schalke 04, während Klinsmann beim Auslaufen über den Rasen federte, als gäbe es keinerlei Druck.
Klinsmann hat diesen stets scheinbar mühelos ausgehalten. Selbst nach so beschämenden Auftritten wie in Barcelona, Wolfsburg oder im DFB-Pokal gegen Leverkusen zauberte der Coach noch ein Lächeln in die Fernsehkameras. Klinsmann, der fast schon krankhafte Optimist, glaubte bis zum Schluss, dass sein Plan aufgeht. "Wir haben den Grundstein für die Zukunft gelegt", sagte Klinsmann nach seiner Entlassung.
Mannschaft im Lähmungszustand
Diese These ist jedoch widerlegbar. Sei es durch den subjektiven Eindruck des Zerfalls der Mannschaft in den letzten Wochen oder durch nackte Fakten.
Die Mannschaft befindet sich im Lähmungszustand, Konstanz oder spielerischer Wiedererkennungswert sind nicht vorhanden. Klinsmann hatte angekündigt, jeden Spieler jeden Tag besser machen zu wollen. Was er zuletzt serviert bekam, war eindimensionaler Fußball ohne Überraschungseffekt. Nicht die möglicherweise titellose Saison machte Klinsmann angreifbar, sondern die schwachen Leistungen seiner Mannschaft in den letzten Wochen. Franz Beckenbauer fällte nach dem 0:1 gegen Schalke ein vernichtendes Urteil: "Fußball hat auch etwas mit Hirn zu tun."
Die Bayern legten unter Klinsmann den schlechtesten Bundesliga-Start seit 30 Jahren hin. Zwei Niederlagen in der Liga mit mindestens fünf Gegentoren (2:5 gegen Bremen und 1:5 in Wolfsburg) kassierten die Bayern zuletzt in der Saison 1977/78. Der Gegentorschnitt (1,38 pro Spiel) ist der schlechteste seit der Horrorsaison 1991/92, die die Bayern auf Platz zehn beendeten.
"Vor einem Jahr waren wir 34 Spieltage lang Tabellenführer. In diesem Jahr waren wir noch nicht einmal Tabellenführer. Das ist einfach zu wenig", sagte Hoeneß.
Hoeneß: "Wir haben alle wichtigen Spiele verloren"
Gewiss war nicht alles, was Klinsmann erneuert, probiert und geleistet hat, schlecht. Rummenigge sprach das neue Leistungszentrum an, um das die Bayern in Europa beneidet werden.
Nach einem holprigen Start und ersten Unmutsäußerungen der Fans bekam Klinsmann vorübergehend die Kurve. Die Bosse bekamen in der Hinrunde das, was sie immer wollten: spektakulären Fußball, der auch noch erfolgreich ist. Punktgleich mit Hoffenheim schlossen die Bayern die erste Saisonhälfte als Tabellen-Zweiter ab und wiesen die beste Bilanz aller 32 Champions-League-Teilnehmer in der Gruppenphase auf.
Doch in der Rückrunde habe der FC Bayern "alle wichtigen Spiele verloren", so Hoeneß, ein Freund des Trends. "Wenn man die Entwicklung seit Weihnachten betrachtet, mussten wir so handeln."
Bis zuletzt hatte Klinsmann behauptet, dass die "Chemie intern stimmt". Doch er konnte der Mannschaft nichts mehr vermitteln. Ze Roberto berichtete nach dem Schalke-Spiel von einer eigentümlichen Halbzeitansprache. Klinsmann habe in der Pause gesagt: "Wir müssen ein Tor schießen - mehr nicht", so der Brasilianer.
Kein guter Draht zu den Spielern
Klinsmann fand keinen Draht zur Mannschaft mehr. Doch hatte er diesen überhaupt jemals?
Das Verhältnis zu Kapitän Mark van Bommel glich früh einem Pulverfass. Nach wenigen Saisonspielen hatte Klinsmann den Niederländer auf die Bank verbannt, und ihn erst nach Intervention der Mannschaft "begnadigt".
Mit dem Versprechen, er werde sein Kapitän, hatte Klinsmann einen Wechsel von Philipp Lahm zum FC Barcelona verhindert. Michael Rensing wurde ausgerechnet vor dem Spiel in Barcelona aus dem Tor genommen. Daniel van Buyten bekam trotz Dauerlobes von Klinsmann nie eine echte Chance.
Bei der deutschen Nationalmannschaft hatte Klinsmann mit Joachim Löw einen anerkannten Fachmann an seiner Seite. In München beschäftigte Klinsmann sieben eher profillose Co- und Fitnesstrainer. Einer wie Löw war nicht dabei. Auch daran ist Klinsmann gescheitert. Martin Vasquez, Nick Theslof und Oliver Schmidtlein wurden ebenfalls beurlaubt.
Klinsmann hatte keine Chance
Klinsmann verstrickte sich zudem immer mehr in Widersprüche. Zu Saisonbeginn gab er das Ziel aus, den FC Bayern wieder an die europäische Spitze führen zu wollen. Nach der 1:5-Pleite in Wolfsburg verlangte er von seinen Spielern ein Umdenken, schließlich "muss der FC Bayern deutscher Meister werden".
Nach dem Champions-League-Aus sprach Klinsmann dann davon, sämtliche Saisonziele bereits erreicht zu haben. Das verwunderte auch den Kaiser.
"Ich weiß nicht, was er damit meint. Es ist so, dass man in den letzten Jahren zumindest Meister oder Pokalsieger wurde oder - wie letztes Jahr - beides. Das Double war in den letzten Jahren fast immer da. Bis jetzt haben wir gar nichts", sagte Beckenbauer.
Letztendlich hatte Klinsmann keine Chance. Die Fans waren gegen ihn, die Mannschaft holte nicht die geforderten Ergebnisse und "die Art und Weise, wie diese zustande kamen, zwangen uns, aus Verantwortung dem Klub gegenüber zu handeln", sagte Rummenigge.
Klinsmanns Situation bei den Bayern war am Ende vergleichbar mit einem Auto, dass nach mehreren Unfällen zwar noch fahrtüchtig ist, aber keine Chance hat, die nächste TÜV-Plakette zu bekommen.
Jetzt sollen Heynckes und Gerland die Karre aus dem Dreck ziehen, bevor in der nächsten Saison ein neuer Mann neue Ideen einfließen lassen soll. Doch Zeit wird auch der Neue nicht bekommen.