Andreas Bergmann: "Ska-Musik finde ich gut"

Von Interview: Haruka Gruber
Andreas Bergmann bekleidet seit Ende August das Amt des Cheftrainers von Hannover 96
© Getty

So offen Andreas Bergmann bei der Musik-Wahl ist, so aufgeschlossen interpretiert er die Trainer-Rolle. Der 50-jährige 96-Coach über Scooter, Politik, gemeinsame Schulstunden mit Felix Magath - und den drohenden Abstiegskampf mit Hannover.

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SPOX: Nach sechs sieglosen Spielen in Serie zum Abschluss der Hinrunde hatten Sie bei Ihrer Mannschaft eine "mentale Müdigkeit" diagnostiziert. Waren Sie ebenfalls mental müde?

Andreas Bergmann: Natürlich. Zumal zur mentalen auch die körperliche Müdigkeit dazukommt. Es waren sehr intensive Wochen. Und es waren nicht die schönsten Wochen. Diese Kombination aus dauernder Anspannung und der Notwendigkeit, gleichzeitig Dinge wie Robert Enkes Tod zu verarbeiten, kostet ungemein viel Kraft. Daher tut die Winterpause, auch wenn sie kurz ist, uns allen gut.

SPOX: Die überraschende Berufung zum Cheftrainer, Robert Enkes Selbstmord und zuletzt das Abrutschen Ihrer Mannschaft in die Abstiegsregion: Sie haben ein extremes erstes Halbjahr erlebt.

Bergmann: Es hat mir dabei sicherlich geholfen, dass ich mit 50 Jahren relativ spät in die Bundesliga eingestiegen bin. Wenn man ein gewisses Alter erreicht und Erfahrungen gesammelt hat, verarbeitet man die Dinge anders als jüngere Menschen, die womöglich erstmals mit solchen Extremsituationen konfrontiert werden.

SPOX: Trotz des Abwärtstrends wirken Sie ruhig. Täuscht der Eindruck?

Bergmann: Ruhig ja. Aber ruhig heißt nicht zufrieden. Spätestens nach dem Bochum-Spiel zum Abschluss der Hinrunde, als wir eine 2:0-Führung dumm hergegeben und noch 2:3 verloren haben, sind wir enttäuscht über das Abschneiden. Wenn wir 20 statt wie jetzt 17 Punkte auf dem Konto haben würden, wäre es nun vielleicht auch im Umfeld ruhiger. So müssen wir uns selbst an die Nase fassen.

SPOX: Auffällig war, dass die Defensive nach gutem Saisonstart wieder ähnlich wackelte wie vergangene Saison...

Bergmann: Der Grund dafür ist schwer auszumachen. Wir waren auf einem guten Weg, und auch nach der Tragödie um Robert hat die Mannschaft eigentlich weiter gut gespielt. Auf Schalke haben wir gut ausgesehen und Leverkusen haben wir beinahe besiegt. Und dann kam plötzlich der Bruch. Vor allem im Spiel gegen den Ball sah es plötzlich unsicher aus.

SPOX: Welche Rolle spielt in Ihren Augen Enkes Tod?

Bergmann: Fakt ist, dass der Tod auf die Spieler einwirkt. Und Fakt ist, dass sich die Mannschaft über einen gewissen Zeitraum extrem fokussiert hat und in den letzten Wochen die Konzentration nicht mehr so da war. Aber inwiefern es wirklich miteinander zusammenhängt, ist schwierig zu sagen, weil jeder anders damit umgeht.

SPOX: Einerseits macht die Tragödie klar, dass es Wichtigeres gibt als Fußball. Andererseits ist der Verein knallhart auf Ergebnisse angewiesen. Wie gehen Sie als Trainer mit diesem schwierigen Widerspruch um?

Bergmann: Zu Beginn ging es vor allem darum, sensibel zu sein und auch für sich herauszufinden, was der richtige Weg ist. Das haben wir ganz gut hinbekommen. Dennoch muss uns spätestens seit dem Bochum-Spiel klar sein, dass wir sportlich zurück in die Spur finden müssen. Es ist wieder an der Zeit, sich den Gesetzmäßigkeiten der Bundesliga zu stellen und sich klarzumachen, dass wir Erfolg brauchen - ohne natürlich die Tragödie zu verdrängen.

SPOX: Wird sich Hannover dafür im Winter verstärken? Im Gespräch sind Namen wie Schalkes Gerald Asamoah oder Lars Stindl vom Karlsruher SC.

Bergmann: Zunächst einmal setzen wir darauf, dass wir nicht erneut so extrem viele Verletzte haben werden wie in der Hinrunde, als phasenweise acht Stammspieler gefehlt haben. Jan Schlaudraff und Mike Hanke haben gegen Bochum erstmals wieder 90 Minuten durchgespielt, auch Leon Andreasen kehrt zurück. Mit einer gesunden Personaldecke wird es im neuen Jahr wesentlich entspannter für uns.

SPOX: Aber Sie haben immerhin sehr offen von einzelnen Spielern geschwärmt wie Alexander Baumjohann, der von den Bayern jedoch zu Schalke ging.

Bergmann: Wir werden generell die eine oder andere Überlegung anstellen. Das Wichtigste ist, dass ein möglicher Neuzugang Potenzial für einen weiteren Leistungssprung erkennen lässt, zu Hannover passt und eine hohe Einsatzbereitschaft mitbringt. Und es stellt sich die Frage, ob wir für den Winter oder für den Sommer planen.

SPOX: Ihr eigener Vertrag als Profi-Trainer läuft nur bis zum Sommer. Denken Sie dennoch schon über die Zeit hinaus?

Bergmann: Ich bin sehr gelassen. Ich glaube, diese Gelassenheit macht mich auch stark. Der Beruf des Bundesliga-Trainers ist ein Traumjob, aber er ist nicht alles im Leben. Natürlich verspüre ich auch den Druck und die Ergebnisorientiertheit der Branche, aber bei aller Schnelllebigkeit möchte ich, wie schon im Nachwuchsbereich, Dinge weiterentwickeln - egal wie lange mein Vertrag als Profi-Trainer datiert ist. Zumal ich nicht vor dem Nichts stehe, wenn es mit der ersten Mannschaft nicht weitergeht. Bei 96 bin ich ja bis 2014 vertraglich angestellt.

SPOX: Sie sprechen Ihre Vergangenheit als Nachwuchstrainer an. Welche Philosophie haben Sie versucht, den Talenten mit auf den Weg zu geben?

Bergmann: Ich bevorzuge es, wenn meine Mannschaft agiert und das Heft in die Hand nimmt. Ob jetzt 4-4-2, 4-2-3-1 oder ein 4-1-4-1 gespielt wird, ist eher sekundär. Genauso dieses Schubladendenken in moderne und konservative Trainer. Vielmehr stehe ich für beide Ansätze und ich möchte einen Stil vermitteln, der hohe fußballerische Qualität und eine vernünftige Ordnung mit hoher Einsatzbereitschaft paart.

SPOX: Sie haben mit Felix Magath die Ausbildung zum Fußballlehrer absolviert. Es wirkt, als ob man als Trainer nicht gegensätzlicher sein könnte als Sie beide. Wie haben Sie sich damals verstanden?

Bergmann: Zunächst einmal: Es war für mich eine unglaublich spannende Zeit, weil ich damals erst mit dem Studium fertig war und plötzlich mit Leuten wie Felix Magath oder Ewald Lienen auf der Schulbank saß. Ich habe sehr davon profitiert, die unterschiedlichsten Charaktere im Profibereich kennenzulernen und daraus meine Schlüsse zu ziehen. Felix Magath hat seine Art und Weise, um Erfolg zu haben. Damit habe ich mich genauso auseinandergesetzt wie mit allen anderen Ansätzen.

SPOX: Magath gilt als Schleifer, Sie als der etwas andere Trainer, weil Sie auf Anti-Nazi-Demonstrationen gehen, mit dem Fahrrad zum Training fahren oder Dostojewski lesen...

Bergmann: Da haben wir wieder die Sache mit den Schubladen. Dabei ist es doch völlig normal und nicht wirklich erwähnenswert, dass ich ein politischer Mensch bin, mich für Dinge außerhalb des Fußballs interessiere oder je nach Möglichkeit Fahrrad fahre. Und vielleicht werden Sie es mir nicht glauben, aber ich kenne auch andere Trainer-Kollegen, die anspruchsvolle Literatur lesen (lacht).

SPOX: Eine Sache macht Sie aber doch außergewöhnlich: Ihre Musik-Leidenschaft mit einer Sammlung von rund 800 LPs. Stimmt es, dass Neil Young Ihr musikalisches Idol ist?

Bergmann: Das stimmt. Von ihm habe ich quasi alles.

SPOX: Neil Young ist wie Coldplay, einer Ihrer anderen Favoriten, bekannt dafür, verschiedenste Stile auszuprobieren. Spiegelt es Ihren Charakter wider?

Bergmann: So habe ich es noch gar nicht betrachtet, aber das kann gut sein. Jeder Mensch sollte sich reflektieren. Was habe ich in der Vergangenheit gemacht? Was lerne ich aus meinen Erfahrungen? Es ist ungemein wichtig, diese Erkenntnisse in die Arbeit einfließen zu lassen, egal ob in der Musik oder im Fußball. Denn wenn man sich stetig weiterentwickelt, kann man nicht in eine Schublade gesteckt werden.

SPOX: Bei aller Offenheit: Scooter hören Sie aber nicht, oder?

Bergmann: Ich höre sehr, sehr viel Musik. Und ich höre mir alles an. Bei Ska-Musik dachte ich am Anfang auch: 'Was ist das denn?' Und dann fand ich es richtig gut. Ich bin niemand, der schon von vornherein ein Genre ablehnt. Da bin ich genauso unvoreingenommen wie beim Fußball.

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