SPOX: Was wäre denn die Alternative?
Hörwick: Dass Spieler gar keine Interviews mehr geben. So wie in England, Spanien oder Italien.
SPOX: Das geht ja aber auch nicht.
Hörwick: Stimmt. So denken wir Gott sei Dank noch in Deutschland. Aber die Medienlandschaft ist in den letzten Jahren explodiert. Wenn ein Spieler mit dem Interview, das er gegeben hat, falsch zitiert wird oder aber die Titelzeile mit dem Interview nichts mehr zu tun hat oder aus dem Kontext gerissen wurde, dann hat der Spieler am nächsten Tag Ärger. Gibt er das Interview nicht, dann hat er keinen Ärger.
SPOX: Klingt logisch.
Hörwick: Ist so. Aber das wollen wir Pressechefs den Journalisten doch ersparen. Dass die Spieler wie in England sagen, wir wollen keine Interviews geben, um Ärger zu vermeiden. Damit hätten die Medien ein Problem und aus unserer Sicht wäre es auch nicht prickelnd, sich der Öffentlichkeit zu verschließen. Daher wählen wir den Weg, dass wir den Spielern Sicherheit gewährleisten und dass ein Interview vor Veröffentlichung autorisiert wird.
SPOX: Altgediente Kollegen sagen, dass die Einführung der Pressesprecher den direkten Zugang zu den Spielern erschwert hat.
Hörwick: Das ist Unsinn. Genau das Gegenteil ist der Fall. Nicht die Spieler, die Pressesprecher oder die Klubs haben sich verändert, sondern ausschließlich die Medienlandschaft. Früher sind die Journalisten zu fünft auf einen Spieler zugegangen. Heute gehen auf denselben Spieler 35 Journalisten zu. Dazu noch fünf Kamerateams und zehn Fotografen. Das ist der Unterschied. Nicht der Klub oder die Bereitschaft der Spieler zu Medienarbeit haben sich geändert, sondern die Medienlandschaft selbst. Deshalb muss es - damit alle vernünftig arbeiten können - ein paar Regularien geben.
SPOX: Doch auch das schützt nicht vor gleichlautenden Antworten durch von Medientraining geschulten Spielern.
Hörwick: Die These vom Medientraining stimmt nicht. Nehmen wir mal unseren Youngster Thomas Müller. Den hat vor einem halben Jahr noch kein Mensch gekannt. Der ist 20 Jahre alt. Vor 10, 15 Jahren hätte der vielleicht fünf Interviews gegeben. Heute haben wir 20 Anfragen pro Tag für ihn. Was soll denn der junge Kerl immer wieder Neues sagen?
SPOX: Das kommt darauf an, wie viele Interviews er schlussendlich pro Woche gibt.
Hörwick: Sagen wir zehn.
SPOX: Sie meinen damit, dass sich die Fragen an ihn ständig wiederholen und die Bereitschaft, mal einen knackigen Spruch raus zu hauen, sinkt.
Hörwick: Ja.
SPOX: Und das hat nichts mit den Pressesprechern zu tun?
Hörwick: Nein. Es ist vielleicht die einfachste Erklärung, wenn man sagt: Die Pressesprecher sind schuld. Es ist andersrum: Wenn es uns nicht gäbe, würde heilloses Chaos ausbrechen. Dann würden nämlich 30, 40 Leute auf den Müller, den van Bommel, den Ribery zustürmen und die hätten nach drei Tagen vom heillosen Durcheinander die Schnauze voll. Wir sind doch diejenigen, die euch helfen. Wir trennen die Wichtigen von den weniger Wichtigen. Von den 40 Anfragen an Müller bleiben vielleicht noch 20 übrig. Wir halten den Spielern die Zeit und Energie frei, die wichtigen Dinge anzugehen.
SPOX: Nachvollziehbar.
Hörwick: Sehen Sie, dass professionelle Strukturen auch mal langweilige Antworten zu Tage fördern, ist auch eine Reaktion auf das, was die Medien machen. Wenn einer mal ein freches Interview gibt, dann hatte dies das entsprechende Medium exklusiv. Heute wird ein solches Interview zu eigenen PR-Zwecken gnadenlos noch am selben Tag über alle Kanäle vorangekündigt und von allen anderen übernommen. Dann wird ein einzelner Satz aus dem Interview herausgenommen und plötzlich hat man eine Riesengeschichte. Die Medienlandschaft ist aggressiver geworden und wir müssen darauf reagieren, um nicht zum Spielball zu werden.
SPOX: Für diese Aggressivität steht auch das Internet. Was hat sich seit dessen Einführung an Ihrem Job verändert?
Hörwick: Durch das Internet ist eine Medien-Revolution entstanden. Alles ist viel schneller geworden. Früher hat man am Abend um 20 Uhr die Andrucke von verschiedenen Zeitungen bekommen. So wusste man, was die Themen des nächsten Tages sind. Heute muss man bereits nachmittags um 14 Uhr ins Internet gehen. Und um 16 und 18 Uhr wieder. Und bevor du abends um 23 Uhr das Handy ausmachst, guckst du auch noch einmal hinein.
SPOX: Zum Abschluss ein paar allgemeine Fragen. Inwieweit gehören Notlügen zum Alltag eines Pressesprechers?
Hörwick: Das habe ich nicht nötig. In der deutschen Sprache gibt es so viele Möglichkeiten, auch mal um den heißen Brei herumzureden. Da muss man nicht lügen (lacht).
SPOX: Was war Ihre schwerste Stunde als Pressesprecher?
Hörwick: Sicherlich die Niederlage 1999 im Champions-League-Finale in Barcelona. Schwer fällt es aber auch, wenn sich von Trainern getrennt wird oder private Themen wie damals bei Oliver Kahn aufkommen. Da bist du dann im Prinzip 20, 24 Stunden im Einsatz.
SPOX: Nach dem Finale 1999 sind Sie dort in den Katakomben Zeuge einer Umarmung zwischen Ottmar Hitzfeld und Sir Alex Ferguson geworden. Können Sie diese Situation nochmals genauer beschreiben?
Hörwick: Wir waren nach dieser bis heute unfassbaren Niederlage total niedergeschlagen. Eine Viertelstunde nach dem Spiel waren ungefähr 40 Leute in der Kabine. Da machte keiner einen Mucks. Es bestand beinahe die Gefahr, dass der, der als erstes etwas sagt, von den anderen umgebracht wird (schmunzelt). Irgendwann mussten wir aber dann zur internationalen Pressekonferenz gehen.
SPOX: Und auf dem Weg dorthin sind sich die beiden Trainer über den Weg gelaufen?
Hörwick: Nein, danach. Hitzfeld und ich sind von der Kabine aus mit einem Golfcar ins Pressezentrum gefahren, das lag außerhalb des Stadions. Den Weg zurück wollten wir dann laufen. Wir sind durch die unendlich langen Katakomben des Camp Nou gegangen und haben ein wenig geredet. 80 Meter entfernt sahen wir schemenhaft zwei Leute, die kamen auf uns zu. Das war wie bei John Wayne oder "High Noon". Plötzlich merkten wir, dass es sich um Alex Ferguson und seinen Pressechef handelt. Als wir uns näherkamen, sind wir Pressechefs wie auf Kommando stehen geblieben. Dann standen sich beide Trainer gegenüber.
SPOX: Was haben Sie aus Ihren Gesichtern lesen können?
Hörwick: Der eine wusste nicht, warum er Champions-League-Sieger geworden war und der andere nicht, warum er verloren hatte. Kurz darauf sind sich beide in die Arme gefallen. Aus diesem Moment entstand eine tiefe Freundschaft zwischen beiden. Als sich im Viertelfinale der Champions League 2001 die Mannschaften warmliefen, waren wir bei Ferguson in der Kabine und haben Rotwein getrunken (lacht).
SPOX: Was war Ihr bester Moment in Ihrer langen Karriere?
Hörwick: Auch wieder etwas Unfassbares. Die 94. Minute 2001 in Hamburg, als wir die Meisterschaft schon verloren hatten und wussten, dass die Schalker seit vier Minuten den Titel feiern. Und dann kam Patrick Anderssons Freistoß. Bayern war Meister. Vier Tage später sind wir Champions-League-Sieger geworden.