In Wolfsburg wird dieser Tage heftig geschwitzt - nicht nur wegen des Wetters. Seit knapp zwei Wochen scheucht der erste englische Trainer der Bundesliga, Steve McClaren, die VfL-Profis über den Trainingsplatz. "Kondition ist Teil des Erfolgs", ist eines seiner Credos. Deswegen geht es für die Profis auch öfter auf den "Mount Magath", den Sprinthügel.
Die Spieler ziehen voll mit, sind von der Methodik des Engländers beeindruckt. "Er legt viel Wert auf Disziplin, gibt sich gleichzeitig aber recht locker", berichtet Sascha Riether. Wolfsburg geht jetzt schon gut vorbereitet in die Saison.
Das Grundgerüst der Mannschaft steht, die wichtigsten Transfers sind eingetütet, zudem hat McClaren schon klare taktische Vorstellungen. 4-4-2 mit Raute war gestern, der Engländer setzt auf ein aggressives 4-2-3-1 und lässt das System in penibler Kleinarbeit einstudieren.
Coach McClaren schwärmt von Kjaer
McClaren weiß, wo er den Hebel nach einer enttäuschenden Saison ansetzen muss. "Die Mannschaft hat viele Gegentreffer kassiert. Das ist sicherlich ein Problem, an dem wir arbeiten müssen", sagte der 49-Jährige schon vor Trainingsstart. Sein Auftrag ist klar: "Ich bin hier, um den Verein wieder zurück ins internationale Geschäft zu bringen."
Dabei helfen soll vor allem die neue Mitte, die in der Bundesliga durchaus Maßstäbe setzen könnte: Diego Benaglio im Tor, davor Arne Friedrich und Simon Kjaer. Friedrich kommt nach einer sensationellen WM mit viel Selbstvertrauen, hinter dem 21-jährigen Dänen Kjaer war halb Europa her. Dann kam jedoch die WM - Kjaer ging leicht angeschlagen ins Turnier, spielte nur zwei Spiele. Vorbei war's mit dem großen Interesse der Top-Klubs.
Doch weil Wolfsburg schon seit Winter Kontakt zu dem Abwehrspieler hielt, entschied er sich für den VfL - 12 Millionen Euro gingen an US Palermo. "In Italien hat er sich in einer sehr starken Liga behauptet und ist dort gereift. Er bringt nicht nur das Talent eines starken Verteidigers mit, sondern darüber hinaus auch das eines guten Organisators", schwärmte McClaren bereits.
Ein junger Leader neben dem erfahrenen Friedrich (Ablöse: 2,5 Millionen Euro) - die Innenverteidigung steht und soll weniger Gegentore zulassen als die grausamen 58 der letzten Saison. "Das Potenzial des Klubs ist groß, wir werden eine starke Mannschaft haben", ließ Friedrich aus Südafrika ausrichten und formulierte einen kessen Wunsch: "Mein persönliches Ziel ist es, mit dem VfL wieder in der Champions League zu spielen."
Barzagli vor dem Absprung?
Bleibt nur noch die Frage, was mit dem angestammten Innenverteidiger-Personal passiert. Man werde keinen "mit Gewalt" verkaufen, sagt Geschäftsführer Dieter Hoeneß, "aber wenn ein Angebot kommt, können wir maximal einen noch abgeben."
Andrea Barzagli und Rever (Sporting Lissabon soll interessiert sein) gelten als Streichkandidaten, Jan Simunek (1. FC Kaiserslautern) hat bereits das Weite gesucht. Barzagli kam 2008 für 14 Millionen Euro aus Palermo, wurde dort pikanterweise bereits von Kjaer ersetzt.
Nun wieder? Barzagli wartet noch ab, sagt aber, dass er sich keinesfalls ein Jahr auf die Bank setzen werde. Mit 29 Jahren macht man so was nicht mehr. "Ich schließe nicht aus, dass ich schon jetzt zurück nach Italien gehe, das kommt ganz auf den Verein an", sagt der Weltmeister von 2006.
Auf den Außenverteidigerpositionen gibt es indes mit Marcel Schäfer, Fabian Johnson (links), sowie Sascha Riether und Peter Pekarik (rechts) keinen Bedarf. Dazu dient der junge Sergej Karimow als Backup links, Friedrich könnte im Notfall auch mal rechts aushelfen.
Harter Kampf im defensiven Mittelfeld
Im defensiven Mittelfeld wurde durch die Systemumstellung eine Stelle frei. Christian Gentner hätte dieses ausfüllen können, ging aber lieber zurück nach Stuttgart. Die WM-Fahrer Makoto Hasebe, Jonathan Santana und der bislang enttäuschende Thomas Kahlenberg bewerben sich neben Riether um den Job an der Seite von Kapitän Josue.
Einen kleinen Vorsprung hat sich derzeit allerdings der 31-jährige Sebastian Schindzielorz erarbeitet, der seit Trainingsstart voll angreift und seine Chance nutzen will. Und dann gibt es da noch den jungen Tolga Cigerci (18), der in den Testspielen einen ersten guten Eindruck hinterließ. "Tolga ist ein guter Junge. Wenn er auf dem Boden bleibt, wird er seinen Weg machen", lobt Hoeneß.
Oder kommt noch einer? "Wir müssen nicht zwingend etwas auf der Sechs machen. Aber wenn sich eine wirklich gute Chance ergibt, würden wir aktiv werden", hält sich Hoeneß alle Kanäle offen. Nach der Absage von Michael Ballack gilt Gojko Kacar als Wunschkandidat.
Cicero kommt, Ziani noch unentschlossen
Mit einem weiteren Berliner erzielte man am Dienstag bereits Einigung: Cicero wechselt auf Leihbasis zu Wolfsburg, der VfL überweist eine Gebühr an den brasilianischen Klub Tombense. Der 25-Jährige kann auf der Sechs oder links offensiv spielen.
Für die rechte Seite hat man Askhan Dejagah bis 2013 gebunden. Dazu wartet Karim Ziani - für das alte 4-4-2 wegen fehlender Defensivqualitäten unbrauchbar - weiter auf seinen Durchbruch. Für den algerischen Nationalspieler interessiert sich auch der AS St. Etienne.
"Ich bin im Urlaub und habe noch nicht entschieden, wie meine Zukunft aussehen soll", ist Ziani derzeit noch unentschlossen. Unklar ist noch, was mit den Leih-Rückgaben Daniel Adlung, Vlad Munteanu, Caiuby und Mahir Saglik passiert.
Misimovic und Dzeko wollen weg
Die Besetzung der Offensive steht und fällt indes mit den Abwanderungsgedanken der Meistermacher Zvjezdan Misimovic, Edin Dzeko und Grafite. Während Misimovic hörbar über einen Wechsel nachdenkt ("Ich bin jetzt 28, das ist das richtige Alter für etwas Neues") - angeblich sind Schalke, Atletico und Florenz interessiert - scheint Dzeko fest entschlossen, seine Zelte abzubrechen.
"Ich fühle, dass ich jetzt den nächsten Karriereschritt machen muss, es ist ganz wichtig, zu einem großen Verein zu gehen", wurde er erst am Mittwoch wieder von der "Daily Mail" zitiert. Nachsatz: "Ich bin mir sicher, dass mich der VfL gehen lassen wird." Das wird jedoch nicht unter einer Summe von 40 Millionen Euro passieren. "Irgendwann wird sich Dzekos Traum von einem Top-Klub erfüllen", sagt Hoeneß. "Aber den Zeitpunkt bestimmen wir."
Juventus Turin und Manchester City wollen für den Torschützenkönig Cash und Austauschware anbieten, Hoeneß sagt aber: "Bei den Vereinen, die aktuell Interesse haben, ist kein Spieler dabei, der uns momentan brennend interessiert."
Guter Einstand von Ben Khalifa
Nachgiebiger wäre man da schon bei Grafite. Der 31-Jährige fiel mit nur elf Saisontreffern zuletzt deutlich ab, im 4-2-3-1 wäre für ihn zudem nur noch auf einer der Außenpositionen Platz - und dafür ist Grafite zu offensiv. Bei 12 Millionen Euro würde Hoeneß dem Vernehmen nach "Ja!" sagen. Fenerbahce soll am WM-Teilnehmer interessiert sein.
Einen guten Trainingsstart hat derweil das neue VfL-Juwel Nassim Ben Khalifa hingelegt. Der 18-jährige Schweizer wurde in jedem der vier Testspiele bislang eingesetzt, erzielte drei Tore.
"Ich muss von Anfang an zeigen, dass ich spielen will", sagte er bei seiner Ankunft in Niedersachsen. Und: "Ich bin nicht als Tourist hier." Denn auch für einen hochgelobten U-17-Weltmeister gilt: Ohne Schweiß, kein Preis.