Was ist passiert?
Eine kurze Chronologie: Am 5. Juni verletzte sich Arjen Robben im Testspiel der Niederländer gegen Ungarn kurz vor Schluss am linken Oberschenkel. Untersuchungen im Erasmus-Krankenhaus in Rotterdam ergaben einen leichten Muskelfaserriss.
Robben damals: "Bei einer konservativen Therapie braucht die Muskulatur vier bis sechs Wochen, um zu heilen. Darum sind jetzt andere Mittel nötig. Ich hoffe, dass ich in zehn Tagen wieder spielen kann."
Robben begab sich in die Obhut von Dick van Toorn, einem 77-jährigen "Wunderheiler". Van Toorn behandelte schon Johan Cruyff und soll bahnbrechende Erfolge bei der Heilung von Muskelverletzungen erzielt haben. Robben gab an, von van Toorn mit einer "aggressiven Behandlung" fit gemacht worden zu sein.
Vor dem ersten WM-Spiel der Niederländer am 14. Juni gegen Dänemark sagte van Toorn: "Er kann spielen. Wenn Arjen keine Schmerzen mehr hat, dann ist er fit. Fit ist fit." Auch Robben sagte, er sei einsatzbereit. Trainer Bert van Marwijk verzichtete jedoch auf seinen Flügelspieler und wechselte ihn erst im dritten Spiel gegen Kamerun ein.
In der K.o.-Phase kam Robben regelmäßig zum Einsatz und hinterließ einen sehr spritzigen Eindruck. Eine körperliche Beeinträchtigung war nicht auszumachen.
"Ich habe fünf WM-Spiele gemacht und keine großen Schmerzen verspürt. Auch im Finale konnte ich 120 Minuten spielen und einige lange Sprints anziehen. Nach dem Endspiel fühlte ich mich schmerzfrei und bin in den Urlaub gegangen", sagte Robben am Dienstag.
"Ich bin geschockt"
Nach seiner Rückkehr nach München folgte die niederschmetternde Diagnose von Bayern-Arzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: Muskelbündelriss im linken Oberschenkel, mindestens acht Wochen Pause.
Robben: "Ich bin von der Diagnose genauso überrascht wie geschockt. Ich bin sehr enttäuscht, diese Zwangspause ist bitter für mich und die Mannschaft."
Wer trägt die Verantwortung?
Müller-Wohlfahrt erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ärzte der niederländischen Nationalmannschaft: "Es handelt sich um eine erhebliche Verletzung. Es ist unverantwortlich, dass man das bei der holländischen Nationalmannschaft nicht genauer diagnostiziert hat und ihn bei der WM spielen ließ. Ich hatte mehrmals meine Unterstützung angeboten, aber die wurde nicht in Anspruch genommen."
Ein Schuldeingeständnis der holländischen Ärzte ist kaum zu erwarten und auch nicht zu klären. Die Schuldfrage kann nicht zielsicher zugeordnet werden. Letztendlich drängte Robben selbst auf seine Einsätze. Infolgedessen übernahm er die Verantwortung.
Eine nachvollziehbare Reaktion. Die Chance, Weltmeister zu werden, kommt nicht oft. Van Marwijk wollte zu Beginn des Turniers kein Risiko eingehen und Robben nur in Notfällen bringen.
Wie reagiert der FC Bayern?
Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge war "enttäuscht und sehr verärgert".
"Wieder einmal müssen wir als Klub die Rechnung dafür bezahlen, dass sich ein Spieler bei einer Nationalmannschaft erheblich verletzt hat. Mit dem holländischen Fußballverband KNVB werden wir versuchen, eine gütliche Einigung in dieser Problematik anzustreben. Der Weltverband Fifa wurde über die Verletzung von Arjen Robben informiert und gebeten, gegebenenfalls als Mediator zu fungieren", so Rummenigge.
Heißt: Die Bayern wollen eine finanzielle Entschädigung und die Fifa als Vermittler einschalten.
Geringe Erfolgschancen
Die Erfolgschancen sind jedoch gering. Der FC Arsenal scheiterte im Dezember 2009 in einem ähnlichen Fall mit einer Klage gegen den holländischen Verband. Damals war Robin van Persie mit einer schweren Knöchelverletzung von der Nationalmannschaft nach London zurückgekehrt.
In der Begründung der Fifa hieß es damals: Entsprechend der Regularien ist die Freigabe der Spieler vorgeschrieben. Schadensersatzansprüche können auf Grundlage einer 2001 von den Vereinen unterschriebenen Vereinbarung nicht geltend gemacht werden. Diese Vereinbarung besagt, dass die Vereine für die Versicherung der Spieler verantwortlich sind. Zudem erklärten die Vereine darin ihren Verzicht auf juristische Maßnahmen.
Als Entschädigung bezahlte die Fifa 27,5 Millionen Euro an die Vereine für die Abstellung der Spieler für die WM in Südafrika. Für 2014 ist den Klubs eine Summe von 48 Millionen Euro garantiert.
Wer soll Robben ersetzen?
Der Niederländer ist fixer Bestandteil auf der rechten Außenbahn in van Gaals selbst dargestelltem 4-4-1-1. Durch permanenten Ballbesitz und der entsprechenden Geduld sollen Räume für die Flügelzange Robben/Ribery geschaffen werden, um sie ins direkte Duell mit dem Gegenspieler zu bringen.
Dieser Masterplan muss jetzt überarbeitet werden. Einen adäquaten Ersatz für Robben gibt es im aktuellen Bayern-Kader nicht. Weder Thomas Müller noch Toni Kroos oder Hamit Altintop haben Robbens Qualität im Eins-gegen-Eins. Dennoch wird einer dieser drei in Robbens Abwesenheit im rechten Mittelfeld spielen.
Gute Chancen für Altintop
Die vielleicht besten Chancen hat Hamit Altintop. Der Türke bereitet sich seit 21. Juni auf die neue Saison vor. Sein körperlicher Zustand ist intakt, auch wenn wegen Muskelproblemen nicht die gesamte Vorbereitung absolvieren konnte.
In der letzten Saison kam Altintop als Back-Up für Robben oder Ribery in wichtigen Spielen auf beiden Flügeln zum Einsatz und brachte - mit Ausnahme des Champions-League-Finals - gute Leistungen. Altintop hat seinen Vertrag bei Bayern um ein Jahr verlängert und will seine letzte Chance in München nutzen: "Ich bin geblieben, um Stammspieler zu werden."
Müller spielte für Deutschland bei der WM rechts im 4-2-3-1, wurde Torschützenkönig und als bester Nachwuchsspieler des Turniers ausgezeichnet.
Ein klassischer Außenspieler ist der 20-Jährige jedoch nicht. Bundestrainer Joachim Löw gab dem "Spieler zwischen den Linien" (van Gaal) die Freiheiten, sich überall auf dem Platz aufzuhalten und in die Räume zu stechen. Van Gaal plant mit Müller im Zentrum, Robbens Verletzung könnte ihn aber nach rechts spülen.
Kroos oder Müller oder beide?
Zumal van Gaal mit Rückkehrer Toni Kroos einen Spieler mit bis dato nicht vorhandenen Qualitäten im Kader hat. Der Coach sieht in Kroos den idealen Spielmacher und Passgeber im Zentrum.
Kroos oder Müller in der Zentrale? Dieses Problem könnte sich für van Gaal durch die Robben-Verletzung vorerst gelöst haben.
Robbens Verletzung ist ein schwerer Schlag für den FC Bayern. Frühestens Mitte Oktober wird der 26-Jährige wieder voll belastbar sein. Doch van Gaal hat reichlich Optionen, um die Lücke kurzfristig zu schließen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Bayern auf dem Transfermarkt aktiv werden.