Mauro Camoranesi spricht selten mit der Presse. Sehr selten. Umso aufsehenerregender sind seine spärlich gesäten Ausführungen. So wie vor etwas mehr als zwei Jahren im italienischen Fernsehen.
Wer denn der größere Fußballer gewesen sei, wurde er gefragt: Diego Maradona oder Michel Platini. Camoranesis Antwort: "Was ist das für eine Frage? Platini war gerade gut genug, Diego die Fußballtasche zu tragen".
Zur Erinnerung: Michel Platini ist eine Legende von Juventus Turin - dem Verein, der Camoranesi den Weg zur Welt-Karriere ebnete.
Camoranesi sagt, was er denkt
Stuttgarts Neuer ist ein starker Charakter. Einer "senza peli sulla lingua", wie man so schön im Italienischen sagt: Ein Mann, der kein Blatt vor den Mund nimmt.
Das klingt dann so: "Schlitzohrigkeit ist das Salz in der Fußball-Suppe. In den 50er Jahren ging es auf dem Rasen drunter und drüber und keiner hat etwas gesagt. Heute gibt es die Zeitlupen und TV-Beweise: ich würde beides sofort abschaffen."
Oder: "Was bleibt dir in diesem Ambiente, außer das Geld? Es stimmt nicht, dass du für immer in Erinnerung bleibst. Sobald ein anderer meinen Platz eingenommen hat, werden sie mich vergessen. So ergeht es allen."Camoranesi sagt, was er denkt. Auch wenn es unbequeme Wahrheiten sind.
So wie vor einigen Jahren, als ihm in Italien vorgeworfen wurde, dass er die Nationalhymne nicht mitsinge. "Ich akzeptiere Kritik, aber die Hymne singen im Fall der Fälle meine Kinder, die in Italien geboren sind. Ich kenne den Text nicht - nicht einmal von meiner." Damit meinte er die argentinische Hymne. Die Hymne seiner Heimat.
Ranieri: Mit Camoranesi auf dem Platz ändert sich alles
Denn trotz seines WM-Titels mit Italien fließt in Camoranesis Adern argentinisches Blut. Das merkt man Camo, wie er in Turin genannt wurde, auf dem Platz in jeder Sekunde an. Er ist der Prototyp des Fußball-Schlitzohrs.
"Wir Argentinier sind ausgebufft und clever, das charakterisiert unser Volk. Viele argentinische Fußballer haben ihre Fertigkeiten auf der Straße mit einem Ball aus Stofffetzen erlernt. Wenn du da nicht clever bist, machst du keine Karriere", unterstreicht Camoranesi.
Oder um es mit den Worten von Juve-Legende Franco Causio zu sagen: "Er hat den Vorteil, Argentinier zu sein. Das bedeutet, dass er clever, abgebrüht, opportunistisch, zäh, stolz und mit der nötigen Härte ausgestattet ist."
Diese Qualitäten machten aus dem großen Golf- und Musikfan - Camoranesi hat sich selbst das Bass-Gitarre-Spielen beigebracht - einen der besten Mittelfeldspieler Italiens der letzten Jahre. Egal ob auf dem rechten Flügel, hinter den Spitzen oder als Regisseur im zentralen Mittelfeld: Camoranesi gibt seinen Mannschaften Ordnung und im Spiel nach vorne diesen Tick Unberechenbarkeit.
"Mit ihm auf dem Platz ändert sich alles. Dank seiner Anwesenheit sind die Abläufe harmonischer", betonte der heutige Roma-Coach Claudio Ranieri, als er noch in Turin auf der Trainerbank saß. "Er ist taktisch sehr gut und bringt viel Erfahrung mit", sagt VfB-Coach Christian Gross.
"Wie ein argentinischer Tango"
Doch Camo ist älter und vor allen Dingen verletzungsanfälliger geworden. Ganze zwölf Spiele über 90 Minuten bestritt er in der vergangenen Saison für Juve, im Jahr zuvor waren es gar nur neun. Regelmäßig wurde er von Muskelproblemen geplagt.
Trotzdem: Ist er fit und motiviert, kann er vielen Mannschaften noch helfen. Nicht umsonst stand er in fünf der sechs Champions-League-Spiele von Juve in der vergangenen Saison die kompletten 90 Minuten auf dem Rasen.
Das Kapitel Turin ist nach acht Jahren beendet. Juve verabschiedete Camoranesi mit einer emotionalen Pressemitteilung. "Wie ein argentinischer Tango, voller Rhythmus, Improvisation und Leidenschaft: Das ist der Fußball von Mauro Camoranesi", hieß es da. Die Überschrift der Hommage: "Wenn Fußball Kunst ist."
Abseits des Fußballplatzes ist Camoranesi das genaue Gegenteil davon. Ein Anti-Star. Werbespots mit ihm? Fehlanzeige. Eine eigene Internetseite: hat er nicht. Camo versucht auf und nicht abseits des Platzes zu glänzen.
Camoranesi und die Nacht vor dem WM-Finale
Damit er auch in Zukunft vielleicht nochmal mit Argentiniens Volksheld Nummer eins in Kontakt kommt. So wie im Sommer 2006.
"In der Nacht vor dem WM-Finale in Berlin hat keiner geschlafen. Alle waren bis drei Uhr nachts wach und schlurften durch die Hotelgänge. Ich bin zu Ciro Ferrara ins Zimmer und er sagte zu mir: 'Ich habe Diego am Telefon'. Ich antwortete: 'Ja klar, grüß ihn von mir und sage ihm, dass ich mit ihm sprechen möchte'. Dann ging ich wieder", erzählte Camoranesi dem "Guerin Sportivo".
"Zehn Minuten später kam Ciro mit dem Handy in der Hand zu mir und reichte es mir. 'Bleib ruhig, morgen wirst du Weltmeister werden. Schlaf gut...' Da war wirklich Maradona dran, ich konnte es nicht fassen. Ich kannte Diego nicht persönlich, hatte noch nie mit ihm gesprochen. Das war mit das Emotionalste, was ich bisher erlebt habe."
Mauro Camoranesi im Steckbrief