"Matz ab" gehört zu den meistgelesenen und -kommentierten Blogs in Deutschland, seit dem Start im August 2009 zählt es mittlerweile 4,3 Millionen Besucher. Auch Spieler und Verantwortliche des HSV gehören zu den regelmäßigen Lesern. Der Autor ist längst auch außerhalb von Hamburg zu einer Kultfigur geworden.
Im Interview mit SPOX spricht Dieter Matz über das peinliche Gefühl beim Autogramme schreiben, den Ärger mit "primitiven" Usern und die wahre Geschichte hinter der Verpflichtung von Ruud van Nistelrooy.
SPOX: Dieter Matz, stimmt es, dass Sie eigene Autogrammkarten besitzen?
Dieter Matz: Ja, das ist richtig. Aber ich muss gleich sagen, das war nicht meine Idee.
SPOX: Aber man musste Sie auch nicht zwingen.
Matz: Fast war es so. Die Marketingabteilung des "Hamburger Abendblatt", wo mein Blog eingebunden ist, hat irgendwann entschieden, dass ich keine echten Fotos mehr verschicken darf. Das habe ich nämlich lange Zeit gemacht, wenn Leute Autogramme wollten. Nur im Laufe der Zeit wurde das ziemlich teuer. Deswegen wurde beschlossen: Der Matz bekommt Autogrammkarten.
SPOX: Was sagt eigentlich Ihre Frau dazu: 30 Jahre lang war Sie mit einem Reporter verheiratet - jetzt sind Sie plötzlich selbst ein Star...
Matz: Dass mich Leute ansprechen und vielleicht auf eine exklusive Information hoffen, das war schon immer der Fall. Nur mit dem Blog hat sich das Ganze noch gesteigert. Und was meine Frau betrifft, dazu eine kleine Geschichte: Vor über zehn Jahren kam mal jemand im Flugzeug zu mir und fragte nach einem Autogramm. Ich habe gesagt: "Nein"...
SPOX: Weil Sie nicht so wichtig sind?
Matz: Weil ich die Situation fürchterlich fand. Ich habe dem Mann damals gesagt, dass ich ein einfacher Schreiberling und kein Star bin. Dann hat der Mann sich wieder zwei Reihen hinter uns gesetzt und wirkte ziemlich zerknirscht. Daraufhin faltete meine Frau mich zusammen. Sie meinte, dass mein Verhalten so was von arrogant war. Ich würde mir schließlich keinen dabei abbrechen und der Mann wäre glücklich. Seitdem gebe ich Autogramme - auch wenn es mir immer noch peinlich ist. Vor allem, wenn Kollegen daneben stehen.
SPOX: Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen Ihr Blog täglich lesen?
Matz: Mir werden gelegentlich Zahlen zugetragen. Aber ehrlich gesagt, möchte ich die Daten gar nicht erfahren. Ehrlich. Jedes Mal, wenn jemand aus der Chefredaktion kommt und mit mir über die Zahlen staunen möchte, halte ich mir quasi die Ohren zu.
"Matz ab": Hier geht's zum Blog von Dieter Matz!
SPOX: Aber immerhin schreibt Ihr Blog gerade eine Erfolgsgeschichte...
Matz: Das mag sein. Nur ich möchte nicht quotengeil werden und am liebsten meine Arbeit einfach so weitermachen. Wissen Sie, ich habe knapp 30 Jahre ohne Page-Impressions gearbeitet und bin gut damit gefahren. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich meine Arbeit plötzlich mit ganz anderen Augen betrachte, wenn ich ständig von den Leserzahlen erfahre.
SPOX: Dann mal salopp gefragt: Warum ist "Matz ab" so durch die Decke gegangen?
Matz: Die HSV-Fans sind irgendwie hungriger als andere Fans. Um an Informationen zu kommen, ziehen mich die Leute bis auf die Unterhose aus. Im Bus, in der Bahn oder am Stadion, unheimlich viele Menschen können gar nicht genug über den HSV erfahren. Aktuell interessiert viele Anhänger, warum es bei Elia überhaupt nicht mehr läuft. Und dann fragen und bohren sie, bis ich irgendwann wirklich sämtliche Dinge erzählt habe. Das erklärt auch das Phänomen "Matz ab".
SPOX: Unter Ihren Blogs laufen rund 700 Kommentare pro Tag ein. Das ist viel, sehr viel sogar...
Matz: Wenn man überlegt, dass wir mit zehn, fünfzehn Kommentaren am Tag angefangen haben, und darüber glücklich waren, dass sich überhaupt Leute dafür interessierten - dann sind die Dimensionen heute in der Tat unglaublich. Wir bekommen Zuschriften und Kommentare aus Norwegen, Neuseeland, Amerika - ich staune jeden Tag.
SPOX: Es gab aber auch eine Phase, da wollten Sie mit dem Bloggen hinschmeißen.
Matz: Leider ja. Ich habe ja gedacht, dass sich im Blog HSV-Fans treffen und kritisch, aber anständig diskutieren. Aber dass dermaßen über die Spieler hergefallen wird, das konnte ich nicht begreifen. Irgendwann war meine Lust im Keller.
SPOX: Auch in Ihren jüngsten Blogs bezeichnen Sie einige User als "primitiv" und "erbärmlich". Aus Protest gegen die Polemik einiger User haben Sie am Samstag gar nicht geschrieben. Es ist also auch nicht alles goldig in der Blogwelt?
Matz: Auf keinen Fall. Es gibt immer Störer, die über Schwule und Lesben schreiben, Spieler aufs Übelste beleidigen und permanent unterhalb der Gürtellinie schießen. Solche Kommentare lösche ich logischerweise. Das ist eine tierische Arbeit. Andersrum liefern viele User hochinteressante Themenansätze.
SPOX: Dass einige User in der Anonymität des Internets gerne den starken Mann machen, alles besser wissen und vor allem nörgeln wollen, haben Sie als Autor auch persönlich oft erfahren müssen...
Matz: Im Blog hat mich das anfangs wirklich sehr genervt. Früher habe ich alle drei Monate einen vernichtenden Leserbrief erhalten. Heute kriege ich 20 Mails und mehr am Tag um die Ohren gepfeffert, und darunter sind auch Kandidaten, die gerne mal Fäkalsprache anwenden. Früher habe ich versucht, mit denen zu reden und auf viele Angriffe geantwortet. Doch mittlerweile bin ich gelassener und gehe nicht mehr auf jede primitive Anmache ein.
SPOX: Inwieweit unterscheidet sich der Blogger Matz nun vom Journalisten Matz?
Matz: Im Blog bin ich salopper. Ich bin zum Beispiel von den fußballerischen Qualitäten eines Piotr Trochowski total überzeugt, und das schreibe ich auch. Das mag für viele Leser zu sehr Fanbrille sein - aber das ist meine Meinung. Im "Abendblatt" könnte ich mich natürlich nicht so locker für einen Spieler positionieren. Im Grunde schreibe ich im Blog tatsächlich wie ein Fan.
SPOX: Der Grat zwischen Fanbrille und Nestbeschmutzung ist schmal. Im Grunde können Sie es nie allen HSV-Fans recht machen.
Matz: Das Problem gibt es nicht nur mit den Fans. Ich hätte es auch bei Armin Veh schwerer, wenn ich plötzlich über das Ziel hinausschießen würde. Das ist doch logisch. Jeder Journalist tanzt in dieser Hinsicht auf der Rasierklinge. Trotzdem versuche ich, meine Beobachtungen so niederzuschreiben, dass ich und die anderen Leute bestehen können. Ich vernichte niemanden, aber ich kritisiere auch. Das ist ein schmaler Grat.
SPOX: Für diejenigen, die die Geschichte mit Ruud van Nistelrooy nicht kennen - was lief vor dem Transfer-Coup ab? Das "Matz ab"-Blog spielte ja eine wichtige Rolle damals.
Matz: Das muss man wirklich sagen. Das war ein Highlight. Ein User rief mich an und sagte 'Dieter, ich habe aus sicherer Quelle erfahren, dass Ruud van Nistelrooy zum HSV kommt. Frag den Pressesprecher mal, was da dran ist'. Nachdem ich mich eine Weile über den Anruf gewundert habe, habe ich dann tatsächlich Jörn Wolf angerufen und nachgefragt, was an der Geschichte mit Ruud van Nistelrooy dran wäre.
SPOX: Das ist Ihr Job. Was hat er gesagt?
Matz: Er hat gesagt 'Bist du verrückt? Woher weißt du das?' Und dass ich die Information von gleich zwei Usern erhielt, wollte er mir natürlich nicht glauben. Aber so war es ja. Auf jeden Fall hat Jörn Wolf dann darum gebeten, dass ich die User zurückpfeife. Und so mussten sie noch zwei Tage lang schweigen.
SPOX: Und dann haben Sie über den Deal berichtet.
Matz: Als wieder ein User anrief und von einem Blogbeitrag aus Holland berichtete. Da hat Rafael van der Vaart gesagt, dass er Ruud van Nistelrooy bei der Wohnungssuche in Hamburg helfen möchte. Erst dann habe ich wieder bei Jörn Wolf angerufen und ihm von den Dingen aus Holland erzählt. Und ab dem Moment durften wir es auch in Hamburg öffentlich machen. Und wir waren die Ersten.
SPOX: HSV-Stadionsprecher Lotto King Karl klingelte Sie daraufhin aus dem Bett.
Matz: Das stimmt. Lotto rief mich nachts um halb Eins an und wollte wissen, ob das stimmt. Er hätte es nämlich von Arnd Zeigler (Stadionsprecher von Werder Bremen) erfahren. Beide wollten nun unbedingt wissen, ob die Geschichte mit Ruud van Nistelrooy stimmte. Die halbe Nacht saß ich am Telefon. Und Tage später kam Bruno Labbadia auf mich zu und bedankte sich bei mir und den Usern, die ruhig geblieben sind. Sonst wäre der Transfer vielleicht noch in eine andere Richtung gekippt.
SPOX: Wissen Sie inzwischen, warum die User derart starke Informationen hatten?
Matz: Das lief komplett über Spanien. Beide User wussten genau, wann Ruud van Nistelrooy die Medizinchecks bestanden hat und in welchen Flieger er wann und wo gestiegen ist.
SPOX: Schade für Sie: Andere Medien verzichteten bei der Ruud-van-Nistelrooy-Meldung darauf, Ihren Blog als Quelle zu nennen.
Matz: In der Tat. Im Videotext habe ich dann nachts gelesen, 'Laut Hamburger Morgenpost steht der Wechsel von Ruud van Nistelrooy zum Hamburger SV bevor'. Das war sicher nicht in Ordnung. Denn auch in der Folge ist "Matz ab" niemals genannt worden.
SPOX: Ist "Matz ab" denn inzwischen journalistisch angekommen?
Matz: Nein. Das Blog wird nach wie vor belächelt. Für die Zeitungsmacher ist die gedruckte Form einer Geschichte noch immer das Größte. Das Gros der Schreiber kann sich nur schwer vorstellen, was hinter "Matz ab" alles passiert. Aber ich bin niemandem böse, wenn er sagt, dass er das nicht ernst nimmt. Bevor ich angefangen habe zu bloggen, habe ich ja genauso gedacht.
SPOX: HSV-Vorstand Katja Kraus hat kürzlich in einer PR-Runde verraten, dass jeder Journalist einen Freund im Verein hat. Haben Sie auch einen Freund?
Matz: Ich bin jetzt über 30 Jahren beim HSV, da bleibt es nicht aus, dass Freundschaften entstehen. Und klar ist es dann auch so, dass wenn ich die richtigen Fragen stelle, ich auch die richtigen Antworten bekomme. Nur mit Spielern ist es inzwischen nicht mehr so einfach. Früher haben wir zusammen Geburtstage gefeiert. Ob die Spieler Geburtstag hatten oder ich, man hat sich damals schnell mal spontan zusammengesetzt und ein bisschen gefeiert.
SPOX: Mit wem haben Sie besonders gerne gefeiert?
Matz: Ich sag mal so, als Felix Magath noch Spieler war, haben wir schon schöne Zeiten verbracht.
SPOX: Haben Sie in der heutigen Mannschaft einen Lieblingsspieler?
Matz: David Jarolim. Er ist ein sensationell guter Mensch und er trägt die Raute zu einhundert Prozent im Herzen. Wie ich.