Das Jahr Schweinsteiger

Von Stefan Rommel
Bastian Schweinsteiger wurde mit Bayern München je fünf Mal Meister und DFB-Pokalsieger
© Getty
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27. Juni 2010: Bei der WM startet Deutschland nach einer durchwachsenen Vorrunde richtig durch. Das sagenhafte 4:1 gegen England gleicht einer Explosion. Schweinsteiger wird in der Heimat und im Ausland zum Kopf und zur zentralen Figur einer erfrischenden Jugendauswahl. "Teutonic supersonic - unter Schweinsteiges Kommando", schreibt die "L'Equipe".

01. Juli 2010: Pressekonferenz vor dem Viertelfinale gegen Argentinien. Schweinsteiger formuliert relativ harte Vorwürfe gegen die eigenwillige Art der argentinischen Mannschaft, die rund 50 argentinischen Journalisten im Saal sind leicht aufgebracht. Schweinsteiger erneuert seine Vorwürfe ungefragt noch zweimal, positioniert sich klar. In diesem Zusammenhang will er kein Diplomat sein, äußert frei seine Meinung und nimmt damit die Mannschaft mit in die Verantwortung.

03. Juli 2010: Zwei Tage später schlägt Deutschland Argentinien mit 4:0. Die Tore erzielen andere, Schweinsteiger aber macht sein bestes Spiel im DFB-Dress. "Nach Trashtalk vor dem Spiel lassen Deutschland und Schweinsteiger mit eindrucksvollem Kantersieg Taten folgen", titelt der "Boston Globe". Der kommende Halbfinalgegner Spanien zeigt große Ehrfurcht: "Die deutsche Nationalmannschaft ist eine perfekte Maschine. Gegen Argentinien hat sie eine herausragende Partie gespielt, mit Schweinsteiger als großem Crack", schreibt die "Marca".

Was auffällt: Seine mediale Präsenz während des Turniers beschränkt Schweinsteiger auf einige wenige Termine, er macht sich bewusst rar. Lediglich dem "Spiegel" gewährt er in den fünf Wochen ein längeres Interview. Ansonsten nimmt sich Schweinsteiger dezent zurück. Nach den beiden grandiosen Siegen gegen England und Argentinien läuft er beinahe wortlos durch die Mixed Zone, während die Mannschaftskollegen ausgiebig parlieren.

07. Juli 2010: Deutschland scheitert im Halbfinale gegen Spanien mit 0:1. Schweinsteigers Bild nach dem Spiel, als er wie ein geschlagener Boxer auf dem Boden kniet, geht um die Welt. In der schweren Stunde stellt er sich aber wieder. Aus der Enttäuschung spricht die Stimme der Vernunft, klar umrissen und auf den Punkt gebracht: "Man ist verärgert, wenn man kurz vor dem Finale steht und dann nicht so spielt, wie man es eigentlich vorhatte. Im Fußball geht es um Titel. Den haben wir jetzt wieder verpasst."

10. Juli 2010: Noch in Südafrika stellt sich Schweinsteiger als einziger öffentlich loyal an Michael Ballacks Seite. In der Diskussion um das Kapitänsamt in der Nationalmannschaft redet Schweinsteiger Klartext: "Michael Ballack ist Kapitän dieser Mannschaft. Und wenn er zurückkommt, wird er auch wieder die Binde tragen! Zwei Kapitäne, das wäre einer zu viel auf dem Platz. Philipp hat nur wegen Michaels Verletzung das Amt übernommen und seine Sache gut gemacht." Natürlich weiß Schweinsteiger aber auch: Ballack wird mit 34 Jahren nur noch maximal zwei Jahre in der DFB-Elf spielen. Sollte er als Kapitän abtreten, würde die Nachfolgerfrage von neuem beginnen. Der Part als "emotionaler Leader" gefällt ihm, kann ihn aber auf Dauer nicht ausfüllen.

11. Juli 2010: Bei der Wahl zum Goldenen Ball für den besten Spieler des Turniers ist Schweinsteiger unter den zehn Nominierten - allerdings schafft er es am Ende nicht unter die besten Drei. Trotzdem ist er eine der prägenden Spielerpersönlichkeiten der WM. Bei seiner vierten Teilnahme an einem großen Turnier erfolgt der große internationale Durchbruch. "Bastian war das Herz und der Motor unseres Spiels", sagt Bundestrainer Löw.

Bei der Europameisterschaft zwei Jahre davor stach er noch mit weiß-grau-melierten Haaren hervor, verschwand nach einer dummen Roten Karte für ein Spiel auf der Tribüne und fütterte den Boulevard mehrere Tage mit seinem lausbübischen Plausch mit Kanzlerin Merkel auf der Tribüne. Zusammen mit Freundin Sarah wird er zu den "Beckhams Deutschlands".

September 2010: "Seit etwa ein, zwei Jahren hat er sich total geändert. Bastian Schweinsteiger ist ein Mann geworden. Er ist zu der Persönlichkeit gereift, die ich mir immer gewünscht habe. Es macht richtig Spaß, ihn zu beobachten. Und zwar nicht nur auf dem Platz. Der macht sich keine Gedanken mehr, mit welcher Frisur er abends in welche Disko gehen soll. Sondern der darüber nachdenkt, wie er die Leute im Stadion begeistern kann", sagt Uli Hoeneß.

Welch ein Kontrast zum Januar 2007, als Hoeneß gereizt von den Sommermärchen-Nachwehen förmlich aus der Haut fährt: "Schweini wurde nach der WM zu viel Puderzucker in den Hintern geblasen. Den klopf' ich ihm wieder raus."

19. Oktober 2010: Mittlerweile gibt es fast täglich neue Meldungen über das angebliche Interesse europäischer Top-Klubs an Schweinsteiger. Dessen Vertrag läuft im Sommer 2012 aus. Die Bayern haben den 26-Jährigen aber längst als die Identifikationsfigur des Vereins ausgemacht, Schweinsteiger wird bald mehr sein als "nur" ein Spieler, er kann eine Marke sein - über die sich auch der Verein definieren kann.

Es geht also um mehr als eine Vertragsverlängerung. Die Münchener sehen sich am Beginn einer Ära und die waren bisher immer auch mit Ikonen verknüpft: Beckenbauer, Rummenigge, Matthäus, Kahn, Effenberg - Schweinsteiger? Bis zu zehn Millionen Euro Jahresgehalt stehen angeblich im Raum. "Wir werden da nicht kleinlich sein, weil wir genau wissen, wie wichtig er für uns ist. Und wenn unsere Leute dann noch entsprechend Geld benötigen vom Aufsichtsrat, werden sie es schon kriegen", sagt Hoeneß.

Der Umworbene selbst gibt sich sehr souverän und geschickt. In der Diskussion um seine Zukunft findet Schweinsteiger immer die richtigen Worte, stößt niemanden vor den Kopf und lässt sich so auch alle Optionen offen.

26. Oktober 2010: Im DFB-Pokal gegen Werder Bremen rettet Schweinsteiger seine Bayern erneut. Beim umkämpften 2:1-Sieg erzielt er beide Tore und sichert das Weiterkommen. In Abwesenheit wichtiger Spieler wie Franck Ribery oder Arjen Robben wird er immer mehr zum Mann für die entscheidenden Tore. Bereits beim Bundesligaauftakt gegen Wolfsburg traf er in der Nachspielzeit zum 2:1, in der Champions League in Basel besorgte er ebenfalls beim 2:1 beide Treffer.

17. November: In Göteborg führt Schweinsteiger in Abwesenheit von Ballack und Lahm als Kapitän aufs Feld. Es ist sein 84. Länderspiel - und das mit 26 Jahren. Sollte er weiter von größeren Verletzungen verschont bleiben, wird er sehr wahrscheinlich den Jahrhundertrekord von Lothar Matthäus (150 Länderspiele) knacken.

19. November: Van Gaal äußert sich zur Causa Schweinsteiger und geht in der Debatte um den wichtigsten Spieler im Klub auf Konfrontationskurs mit den Bossen. Die Bayern sollten den Spieler verkaufen, wenn er nicht verlängern will. "Ich denke, dass Bayern ein Unternehmen ist. Meine Vereine haben immer viel Geld verdient. Fußball ist Geschäft. Und die Ablöse sollte man nicht ins Wasser kippen." Schweinsteiger wird unfreiwillig zum Gegenstand des Machtkampfs zwischen Vereinsspitze und Trainer.

22. November 2010: Karl-Heinz Rummenigge erklärt Schweinsteiger für unverkäuflich: "Ich habe immer gesagt, dass wir den Vertrag mit Bastian unbedingt verlängern wollen. Daran arbeiten wir. Aber wenn das nicht gelingt, dann bleibt er sicher bis zum 30. Juni 2012 beim FC Bayern."

30. November 2010: Die Bayern werden ihre jährliche Mitgliederversammlung abhalten. Bastian Schweinsteiger ist immer noch dritter Kapitän, nach Mark van Bommel und Philipp Lahm. Pfiffe sind jetzt aber keine mehr zu erwarten. Im Gegenteil. Bastian Schweinsteiger ist jetzt ein anderer. Der Fixpunkt für die Mannschaft und den Verein.

Bastian Schweinsteiger im Steckbrief

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