Hallo, ich bin Louis van Gaal!

Von Fatih Demireli
Aller Anfang ist schwer: Louis van Gaal und Markus Hörwick während der PK zum AUDI Cup 2009
© Getty

Bevor Louis van Gaal zum FC Bayern München wechselte, war sein Ruf schon längst da: Unnahbar, arrogant und der Feind aller Journalisten. Doch van Gaal traut sich nach anderthalb Jahren allmählich, sein wahres Ich zu zeigen. Ein enger Vertrauter beim FC Bayern hat dem 59-Jährigen dabei geholfen. Louis van Gaals Wandlung im Zeitraffer.

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Der erste Eindruck zählt, heißt es. Zählt er wirklich? Gibt man dem zweiten Blick auch eine Chance? In diesem Augenblick hatte sie Louis van Gaal verdient, die zweite Chance.

Die obligatorische Pressekonferenz zum Einstand beim FC Bayern war nun schon ein paar Tage her. Der neue Coach der Münchener erfüllte bei seiner Vorstellung beim Rekordmeister im Juli 2009 alle Erwartungen.

"Mir san mir! Wir sind wir! Und ich bin ich", philosophierte van Gaal und zählte seine Attribute auf: "selbstbewusst, arrogant, dominant und ehrlich, arbeitsam, innovativ, aber auch warm und familiär. Deshalb glaube ich, dass ich hierher passe." Registriert wurde in erster Linie das "arrogant" in der Aufzählung. Ein passender Schmuck für die Schlagzeile der van Gaal'schen One-Man-Zeremonie.

Dem Niederländer war der Ruf von Alkmaar nach München vorausgeeilt. Der erste mediale Auftritt in München bestätigte vieles, was das Hörensagen andeutete. Chance vertan.

Der erste Kontakt

Da stand er nun wieder. Groß und stämmig. Weißes T-Shirt, blaue Shorts und weiße lange Socken. Die blauen Adiletten gaben den melodischen Takt der Schritte van Gaals in den Raum vor.

Gleich wird er wieder großkotzig philosophieren, dachte man. Der FC Bayern hatte zum Pressetalk eingeladen. Eine Idee aus Zeiten von Jürgen Klinsmann. Der erste richtige Kontakt zu den Medienvertretern. Face to Face. Trainer und Journalisten treffen sich am runden Tisch und reden über das aktuelle Geschehen.

Plötzlich Everbody's Darling?

Aber van Gaal setzt sich nicht sofort hin. Er spaziert durch den Raum, begrüßt jeden Journalisten höflich per Handschlag, fragt freundlich nach Name und Arbeitgeber und stellt sich mit den Worten "Ich bin Louis van Gaal" vor. Er zieht es durch - am Ende schüttelt er über 30 Hände. Die zweite Chance, er hat sie genutzt. Sehr eindrucksvoll.

Vergessen war plötzlich der Louis van Gaal, der Journalisten als natürlichen Feind sieht, sie regelmäßig platt bügelt und keine Meinungen von diesen Menschen zulässt, die nach seiner Ansicht keine Ahnung von der Materie haben.

Sollte dieser Mann Ende fünfzig plötzlich zu Everbody's Darling werden? Eher nicht. Denn van Gaal schaltete schneller um auf Autopilot als es vielen lieb war.

"Sind Sie so dumm oder bin ich so schlau?" Van Gaal stellt diese Frage seit Juli 2009, dem Startschuss seiner Ära in München, immer wieder. Oft findet er es auch nur "unglaublich", dass gerade diese oder jene Frage gestellt wird.

Die Gegner hießen nicht Schalke und Co.

Insbesondere in der Kennenlernphase beziehungsweise "zu Beginn des Prozesses", wie van Gaal es ausdrücken würde, verteilte der Niederländer verbale Faustschläge, die ihre Wirkung nicht verfehlen sollten. Van Gaal baute sich eine Art Schutzschild auf. Der unnahbare General und die bösen Schreiberlinge waren schnell in der Beziehungskrise.

Die recht deplatzierte Frage nach dem Tribünenplatz Luca Tonis im Testspiel gegen den AC Mailand im August 2009 veranlasste van Gaal dazu, wutentbrannt die Bühne zu verlassen. Toni war wegen einer Verletzung schließlich überhaupt nicht im Kader. Zu schlecht vorbereitet, zu provokant die Frage. Wie immer halt, dachte sich van Gaal wohl.

Nach Spanien und Holland nun also auch in Deutschland: Die Gegner hießen zunächst nicht Bayer Leverkusen, Hamburger SV oder Schalke 04. Sie hießen "Bild", "tz", "Abendzeitung". Gegner waren eigentlich alle, die auf der anderen Seiten stehen.

Van Gaal ist lernwillig

"Es war sicherlich viel Arbeit, ihm zu zeigen, dass die Medien nicht böse sind und hinter jeder Hecke lauern. Wir haben gezeigt, dass dies ein Miteinander ist. Ich habe ihm das deutsche Sprichwort erklärt: 'So wie man in einen Wald ruft, kommt es auch zurück'", erzählt Markus Hörwick, Mediendirektor des FC Bayern und van Gaals enger Vertrauter, im Gespräch mit SPOX. Die Melodie der Rufe hat sich seit anderthalb Jahren bemerkenswert positiv verändert.

Gänzlich neu erfinden kann sich der Niederländer natürlich nicht. Wenn ihm eine Frage nicht passt, ist die Antwort weiter entsprechend ungemütlich. Aber Louis van Gaal hat sich geöffnet. Entgegen Uli Hoeneß' Theorie ist der Bayern-Trainer durchaus lernwillig. "Die Pressekonferenzen sind jedes Mal ein Highlight, aber auch eine Wundertüte. Entweder man lacht sich tot oder er geht mal einen Kollegen an", sagt Hörwick.

Van Gaals "größte Genugtuung"

Der Unterschied zu früher: Poltert van Gaal heute gegen einen Reporter, folgt spätestens zum Ende der Veranstaltung ein freundlicher Klopfer auf die Schulter - wohl als eine Art Entschuldigung. "Den Respekt, den van Gaal einfordert, gibt er den Medien zurück", stellt Hörwick fest.

Van Gaal bereitet es große Freude, wenn sein Gegenüber den Unterschied zwischen einem fitten und einem spielfitten Profi erkennt. Er erklärte es anfangs mehrmals, heute fragt keiner mehr nach. Van Gaal freut sich, wenn einer sich an eine seiner früheren Weisheiten erinnert und ihn darauf aufmerksam macht.

"Ich gehöre zu den Menschen, die etwas erschaffen wollen. Das ist die größte Genugtuung", schreibt van Gaal in seiner Biografie. Van Gaal hat in München einen Wohlfühlfaktor erschaffen, der ihm sichtlich angenehm ist.

Van Gaal lernt aus der Hoeneß-Attacke

Selbst heftige Attacken aus der Chefetage erschüttern den Niederländer nicht mehr im Grundsatz. Viele sagten einen mehr oder weniger freiwilligen Abschied van Gaals voraus, als er im November auf heftige Art und Weise von Uli Hoeneß live im TV angegriffen wurde.

Klar, van Gaal gab zunächst öffentlich Kontra, zog aber auch die Lehren aus dem Affront seines Präsidenten. Van Gaal geht seitdem Themen aus dem Weg, die unnötig explosives Potenzial beinhalten, oder ihn und die Verantwortlichen in die Polemik-Ecke drängen. "Ich kenne die Reihenfolge. Erst rede ich mit dem Vorstand", schmunzelt er.

Der neue van Gaal fällt auf. Ganz besonders bei Menschen, die ihn anders kennengelernt haben. "Wir hatten bei unseren Pressekonferenzen Holländer zu Gast, die uns im Anschluss gefragt haben: 'Was habt Ihr mit dem Louis gemacht? So kennen wir den überhaupt nicht'. In den niederländischen Zeitungen gab es Diskussionen, ob van Gaal einen Spin Doctor, eine Art von Mentaltrainer hat", sagt Hörwick.

"Ich kann nicht, ich bin Trainer"

Hier liegt wohl das Geheimnis des Wandels. Bayerns erfahrener Medienchef selbst, der schon beim Rekordmeister arbeitete, als Udo Lattek noch Trainer war, ist van Gaals Spin Doctor. Obwohl der Niederländer auch Hörwick anfangs mit Distanz begegnete. Viele Gespräche haben das Duo aber einander nähergebracht. Van Gaal nahm die Tipps des Medien-Experten an, wenngleich auch mit etwas Verzögerung.

"Die Menschen kennen Sie nicht. Wenn ich die Türe nach der Pressekonferenz zumache, sind Sie ein anderer Typ. Wieso zeigen Sie das nicht?", fragte Hörwick einst.

Van Gaal stimmte zu, sagte aber auch: "Ich kann nicht, ich bin Trainer." Hörwicks Antwort war der Startschuss für den Wandel: "Nein, Sie sind in erster Linie ein Mensch!" Inzwischen treffen sich Hörwick und van Gaal jeden Morgen zur Besprechung. Darüber hinaus telefoniert das Duo mehrmals täglich.

"Ich bin in Deutschland populär"

Der FC Bayern organisierte gezielt Auftritte, "damit ihn die Menschen kennenlernen", erklärt Hörwick. Beispielsweise im "Aktuellen Sportstudio", als van Gaal vor einem visuellen Kamin im abgedunkelten Studio aus seiner Biographie vorlas oder bei der "BR"-Sendung "Blickpunkt Sport", wo es um den Fußballer van Gaal ging. Hörwick: "Er öffnet sich anders als er das in den 20, 30 Jahren zuvor getan hat."

Gerade in Spanien, wo van Gaal in Barcelona arbeitete, oder in der niederländischen Heimat war die Wahrnehmung anders. Sowohl die der Öffentlichkeit als auch die van Gaals. "Ich bin in Deutschland populärer als in Spanien oder Holland", sagt er zu SPOX. Auftritte als "Feierbiest" bei der Double-Party des FC Bayern haben dazu beigetragen, einen anderen van Gaal kennenzulernen. "Er ist ein interessanter Mann und es ist immer spannend mit Louis", sagt seine Ehefrau Truus.

Der Liebling der Spieler

Das finden auch seine Spieler. Sie sind die größten Fans des Trainers. Und umgekehrt. Auch hier bedurfte es zunächst einer gewissen Anlaufzeit. Van Gaals Vorgabe, die Spieler beim gemeinsamen Essen nur gruppenweise ans Buffet zu lassen, erweckte einen Hauch von Kindergartenveranstaltung.

Van Gaal widerspricht dem vehement: "Wenn wir mit 24 Mann zum Buffet gehen, klappt das nicht." Er hat für fast alles eine simple Erklärung und seine Spieler nehmen ihm jedes Wort ab.

Selbst wichtige Entscheidungen wie die Vertragsverlängerung von Bastian Schweinsteiger beeinflusste van Gaal.

Der Bayern-Star begründete seine Unterschrift bis 2016 zunächst mit seinem "roten Herzen", Hoeneß sah vorwiegend finanzielle Gründe, aber eine "wesentliche Rolle" (Schweinsteiger) spielte van Gaal. "Er war der erste Trainer, der mir vertraut hat, auf der zentralen Position zu spielen. Da verspüre ich schon Dankbarkeit."

Louis, bleib'!

Schweinsteiger spricht sich dafür aus, van Gaal länger als bis 2012 zu halten. "Das hoffe ich sehr. Er passt sehr gut zum Verein."

Auch Thomas Müller, den van Gaal zum Nationalspieler formte, sagt: "Ich würde es begrüßen, wenn wir sein Konzept, seine Philosophie, über 2012 hinaus entwickeln könnten." Van Gaal hat in nur anderthalb Jahren beim FC Bayern eine Rolle eingenommen, die sich viele Trainer vor ihm noch nicht mal erträumt hätten.

Hörwick spricht "vom vielleicht besten Trainer", den der FC Bayern je hatte. Und das nicht, weil der Niederländer nur für großes Entertainment sorgt, sondern weil er Erfolg garantiert. Bayern holte in der vergangenen Saison das Double und fast sogar das Triple, hätten die Münchener im Champions-League-Finale gegen Inter Mailand (0:2) eine bessere Tagesform erwischt.

"Im Endeffekt zählt, was auf dem Platz passiert und ob ein Trainer die Mannschaft im Griff hat", sagt Hörwick. "Es gibt genügend pflegeleichte Trainer, die du alle haben kannst - die haben nur keinen Erfolg."

Der Spruch hätte leicht auch von Louis van Gaal kommen können.

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