Sechs Spiele ohne Sieg, ein Tabellenplatz weit hinter den eigenen Ansprüchen: Beim VfL Wolfsburg muss Trainer Steve McClaren nun Ergebnisse liefern, sonst droht der Rauswurf. Wo sind die Führungsspieler? Warum schlagen Neuzugänge nicht ein? Und welche Auswirkungen hat das Dzeko-Theater? Die größten Problemfelder im Überblick.
Würde die alte Zwei-Punkte-Regel noch gelten, stünde es gar nicht so schlecht um den VfL Wolfsburg. 14:18 Punkte hätte die Elf von Steve McClaren bis dato nach alter Rechnung gesammelt und läge damit nur vier Zähler hinter dem SC Freiburg (18:14), derzeit immerhin Tabellen-Fünfter - was in ungefähr dem Anspruch der Wolfsburger entspricht.
Doch leider rechnet man in der Bundesliga seit 1994 mit der Drei-Punkte-Regel - und da sind fünf Remis in Folge nun mal fatal. Mit nur vier Siegen aus 16 Spielen krebst der Meister von 2009 mit nur 18 Punkten auf Platz 14 der Bundesliga rum (Tabelle). Viel zu wenig für die hohen Ansprüche des VfL.
Der Geschäftsführungsvorsitzende Dieter Hoeneß fordert deshalb vor den beiden ausstehenden Spielen 2010: "Wir müssen diese beiden Spiele gewinnen, da gibt es kein Vertun. Wenn wir noch einmal vorn anzugreifen wollen, müssen wir die Partie gegen Hoffenheim gewinnen. Auch im Pokal gegen Cottbus gibt es keine Alternative dazu." Man befinde sich gerade in einer schwierigen Phase, die für alle Beteiligten nicht einfach sei.
Eine klare Ansage an Trainer McClaren, dessen Schonfrist in der VW-Stadt abgelaufen ist. Die "Sport-Bild" spekuliert in ihrer Mittwochsausgabe sogar mit einer Entlassung in der Winterpause, sollten die beiden Spiele nicht gewonnen werden.
Als Ersatz stünde angeblich Ex-Stuttgart-Trainer Christian Gross bereit. Auch wenn Hoeneß das vehement dementiert ("Absoluter Unsinn und völlig aus der Luft gegriffen"): Wolfsburg muss dringend einige Baustellen schließen.
Das Führungsspieler-Problem
Wolfsburgs Mannschaft wirkt in den letzten Wochen seltsam emotionslos, erledigt oft nur Dienst nach Vorschrift. Ein klares Zeichen dafür, dass es auf dem Platz an Führungsspielern fehlt, die den Mitspielern im Notfall Beine machen.
Beispiele? Kapitän Edin Dzeko ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, Diego nicht der Typ dafür, Ex-Spielführer Josue, Marcel Schäfer und Diego Benaglio nicht laut genug.
Ein Erklärungsansatz: Im Kader stehen nur zwei Spieler (Alexander Madlung und Andre Lenz), die länger als drei Jahre beim VfL sind. Manchen Spielern fällt dadurch die totale Identifikation mit dem Verein offensichtlich schwer, andere machen es sich in der Komfortzone bequem.
"Wir versuchen Dinge herauszufiltern, die die Mannschaft daran hindern, ihre Qualität auf den Platz zu bringen. Wir sind bei dem einen oder anderen schon fündig geworden, aber das kann ich nicht ausbreiten, da geht es auch um persönliche Dinge", sagte Hoeneß vor kurzem kryptisch in einem Interview mit "Sport1" und sprach von einer trügerischen "Scheinharmonie in der Mannschaft".
In punkto Führungsvakuum ist Arne Friedrich für Hoeneß deshalb der große "Hoffnungsträger für die Rückrunde". Ob der Innenverteidiger nach seiner Bandscheiben-OP im neuen Verein jedoch auf Anhieb zur Leitfigur wird, ist ungewiss.
Dass Führungsqualitäten fehlen, darüber müsse man nicht diskutieren, legte der Geschäftsführer dieser Tage nach. "Ich glaube aber, dass so etwas erlernbar ist, dass man sich dahin entwickeln kann", sagt Hoeneß, fügt aber an: "Wenn nicht, müssen wir da auf Sicht etwas machen."
Mark van Bommel (siehe Kasten links) soll beispielsweise auf dem Wunschzettel des VfL stehen. Grundsätzlich will Hoeneß bei Neuzugängen künftig "noch mehr Wert auf den Charakter der Spieler legen".
Das "Integrations"-Problem
Nimmt man die Statistik aus Felix Magaths erster Saison beim VfL (2007/08) zur Hand, steht McClaren nach 16 Spielen sogar einen Punkt besser da als der spätere Meistermacher damals. Während Magath jedoch in Ruhe ein Team aufbauen durfte, sind die Ansprüche des VfL mit dem Meistertitel und den hohen Transferausgaben der vergangenen Jahre extrem gestiegen.
"Jetzt haben alle höhere Erwartungen. Mit dem Titel ist der VfL ein anderer Klub geworden, vorher wäre er beinahe abgestiegen", weiß auch Hoeneß. Nachdem die Transfers der Vorsaison (Martins, Ziani, Kahlenberg, Johnson, Rever) allesamt nicht überzeugen konnten, wurden im Sommer nochmals knapp 40 Millionen Euro in den Kader investiert. Die Erträge sind allerdings extrem überschaubar.
Diego (15,5 Mio.) offenbart immer noch Abstimmungsprobleme mit Dzeko, dessen Stil ein direktes Passspiel erfordert. Simon Kjaer (12 Mio.) gibt bislang nur einen durchschnittlichen Innenverteidiger ab, Mario Mandzukic (7 Mio.) blieb einen Nachweis seines Talents bislang ebenso wie Cicero (0,8 Mio. Leihgebühr) schuldig.
Nachwuchshoffnung Nassim Ben Khalifa (1,6 Mio.) kam dagegen wie der verletzte Friedrich (2 Mio.) noch keine einzige Minute zum Einsatz und könnte im Winter per Leihgeschäft bereits wieder abgeschoben werden. McClaren sagt zwar: "Jeder neue Spieler braucht Zeit, um sich zu integrieren." Der Integrationsprozess sollte aber nach einem halben Jahr eigentlich abgeschlossen sein.
McClaren täte jedenfalls gut daran, nach sechs Monaten nicht gleich schon wieder Nachbesserungen zu fordern. "Wir brauchen sicher auch den einen oder anderen neuen Spieler", sagte der Engländer aber kürzlich im "Kicker". Man müsse schon im Winter im Bezug auf Top-Spieler "Augen und Ohren offen halten".
Teil 2 der Wolfsburger Baustellen: Spielsystem, Dzeko, VW
Das Taktik-Problem
Ein Punkt, der McClaren klar anzukreiden ist. In der Saisonvorbereitung ließ der Coach mehrere Systeme spielen, forderte Flexibilität von seiner Mannschaft. Josue nannte ein festes Spielsystem im SPOX-Interview "zweitrangig". Fakt ist jedoch: McClaren hat sein Team auch nach 18 Pflichtspielen nicht gefunden, wechselt zwischen 4-4-2 mit Raute und einem 4-2-3-1 hin und her. Das 4-3-3-Experiment zum Saisonbeginn gegen Bayern (bevor Diego kam) ging in die Hose.
Das Problem: Im 4-4-2 hat McClaren lange keinen geeigneten Spieler für die halblinke Position im Mittelfeld gefunden, zudem musste Riether als Notlösung ins rechte Mittelfeld aufrücken. Diese Variante ist für die kommenden Spiele durch Pekariks Verletzung aber hinfällig.
Im 4-2-3-1 fiel Neuzugang Cicero auf der Sechs neben Josue durch, zudem probierte McClaren auf den Außen viele Spieler aus - mit mäßigem Erfolg. "Unser größtes Problem ist, dass wir noch nicht als Team zusammengefunden haben", sagte McClaren bereits und gab zu: "Ich bin überrascht, dass es so läuft. Aber das ist Fußball. Es ist nicht einfach, ein Team zu bauen."
Ein weiteres Problem: Nachdem der VfL zu Beginn der Saison vor allem in der Rückwärtsbewegung und Kompaktheit Probleme hatte, steht die Abwehr nun besser - dafür fallen plötzlich vorne keine Tore mehr. McClaren: "Nun müssen wir beides zusammenbringen."
Neben der Rückkehr von Grafite ist dabei der erst 18-jährige Tolga Cigerci ein Hoffnungsschimmer. Der Amateur machte in den letzten Spielen mit guten Leistungen auf sich aufmerksam. Sein Vorteil: Er kann sowohl auf der Sechs als auch halblinks im Mittelfeld spielen - perfekt für den Coach.
Der sagt: "Tolga wirkt für einen 18-Jährigen sehr erwachsen und reif. Aber das Größte ist sein Mut. Er will immer den Ball haben und Impulse geben." Dennoch sollte sich der VfL nicht allein auf einen 18-Jährigen als Heilsbringer verlassen, Winter-Transfers schließt Hoeneß nicht aus.
Das Dzeko-Problem
Kein Tag vergeht ohne ein neues Dzeko-Gerücht. Die neuste Story in England: Dzeko selbst habe einen Brief an Manchester City verfasst, indem er um eine Abwerbung bat. Hoeneß bleibt jedoch hart, will seinen Stürmer nur für 40 Millionen Euro ziehen lassen oder ihn zu einer Vertragsverlängerung (aktuell bis 2013 gebunden) zu verbesserten Bezügen ohne Ausstiegsklausel bewegen.
Natürlich geht das Hick-Hack nicht spurlos am VfL-Kapitän vorbei. Dass Wolfsburg in den letzten vier Spielen nur zwei Tore erzielte liegt auch am Leistungstief des 24-Jährigen, der sich im November schon intern Kritik an seiner Spielweise gefallen lassen musste. Per Videobeweis wurden dem Angreifer damals von McClaren und Hoeneß läuferische Defizite aufgezeigt.
"Ich weiß, dass ich bis dahin läuferisch zu wenig gemacht habe. Es gibt für mich noch viel Luft nach oben", wird Dzeko von der "Sport-Bild" zitiert. Mit neun Saisontoren ist Dzeko allerdings so treffsicher wie noch nie in einer Hinrunde - bislang stand seine Bestmarke in den ersten 17 Spielen bei sieben Treffern.
Ob er diesmal allerdings wieder 21 (2009) bzw. 15 (2010) Tore in der Rückrunde nachlegen kann, darf doch arg bezweifelt werden.
Das VW-Problem
Hoeneß hat Transfers und die Zusammenstellung des Kaders seit einem Jahr zu verantworten und musste Medienberichten zufolge schon nach der Niederlage in Frankfurt VW-Boss Martin Winterkorn wegen der sportlichen Talfahrt Erklärungen liefern.
Die Rede des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Francisco Garcia Sanz auf der Weihnachtsfeier (Sanz sprach davon, dass man den Ansprüchen meilenweit hinterherhinke) lässt vermuten, dass man Hoeneß aus Sicht des Mutterkonzerns in Zukunft wieder häufiger auf die Finger gucken will.
Der gibt sich nach außen hin zwar gelassen ("Natürlich sehen alle Tabelle und Punkte, sind nicht zufrieden, aber es gibt eine vernünftige Vertrauensbasis"), steht intern aber doch deutlich unter Druck, den er bisweilen an Trainer und Mannschaft weitergibt.
McClaren selbst hofft auf Gelassenheit, wenn er sagt: "Ich bin hier der vierte Trainer innerhalb eines Jahres. Wir müssen die Nerven behalten, brauchen Stabilität. Mein erstes Jahr in Holland war auch schwierig."
Wie lange McClaren noch in Ruhe an den Baustellen im Team arbeiten kann, hat Hoeneß jedoch nicht alleine zu entscheiden. Auch wenn der Geschäftsführer sagt: "Wir haben kein Trainerproblem. Wir sollten nicht Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen."