Luiz Gustavo sah geschafft aus. Das Beschnuppern der neuen Kollegen, die Nervosität und das Gefühl, permanent beobachtet zu werden, das alles hat dem Neuzugang aus Hoffenheim während seiner Trainingspremiere als Spieler des FC Bayern viel abverlangt.
"Die Aufregung war groß", gestand Gustavo anschließend. "Aber ich bin sehr froh, dass der Wechsel geklappt hat. Ich wollte unbedingt schon im Winter wechseln. Jeder Spieler träumt davon, zu einem großen Verein zu kommen. Hoffenheim ist ein sehr guter Verein, aber hier ist das Niveau ganz anders."
Im Vormittagstraining wurde Gustavo nach einem längeren Dehn- und Aufwärmprogramm in eine achtköpfige Gruppe eingeteilt, die in einem Rechteck von 30 mal 15 Metern Direktpässe übte und dabei verschiedene Positionen in dem Rechteck einnahm. Ein intensives Lauf- und Passtraining. Gustavo war davon sehr angetan. "Hier wird mehr mit dem Ball trainiert als in Hoffenheim. Das gefällt mir sehr gut."
Gustavo lobt van Gaal
Louis van Gaal unterbrach die Übung immer wieder, um insbesondere Gustavo auf dessen Defizite anzusprechen und Verbesserungsmöglichkeiten zu erörtern. Mal einfühlsam, mal laut.
"Ich habe kein Problem, wenn ein Trainer mal laut wird. Das war Ralf Rangnick auch mal. Das muss so sein, nur so kann man sich verbessern. Wir haben einen sehr guten Trainer, der genau weiß, was die Mannschaft und jeder einzelne Spieler braucht", sagte Gustavo.
Mit seiner eifrigen und lernwilligen Art, gepaart mit außergewöhnlich guten fußballerischen Fähigkeiten, legte Luiz Gustavo in Hoffenheim eine bemerkenswerte Entwicklung hin. Mithilfe der Millionentransfers Demba Ba, Carlos Eduardo und Chinedu Obasi wollte Ralf Rangnick 2007 den Aufstieg in die Bundesliga schnell realisieren, der wichtigste Transfer war damals aber Luiz Gustavo.
Rangnick baute den damals 19-Jährigen behutsam auf und formte ihn zu einem der besten defensiven Mittelfeldspieler der Bundesliga. "Ich ziehe vor Bastian Schweinsteiger und Mark van Bommel den Hut, vor allem über die Konstanz in ihren Leistungen. Aber Luiz Gustavo ist nicht weit von den beiden entfernt", sagt Gustavos ehemaliger Mannschaftskollege Tobias Weis.
Rangnick zieht Vergleich zu Deschamps
Im SPOX-Interview im Sommer 2010 schwärmte Rangnick von den Attributen, die Gustavo fußballerisch verkörpert. " Wegen seines Alters und der Sprach- und Mentalitätsprobleme kann er noch nicht das Charisma und die Autorität eines Didier Deschamps ausstrahlen. Aber er ist lauf- und zweikampfstark und hat ein gutes Gefühl dafür, wann er draufgehen oder wegbleiben soll. Das sind viele Eigenschaften des sogenannten bleibenden Sechsers."
Rangnick hat die emotionale Bindung zu Gustavo inzwischen den Job gekostet. "Ich war sehr überrascht, dass Ralf Rangnick gehen musste. Ich habe ihm viel zu verdanken", sagte Gustavo.
Bis zuletzt arbeiteten beide verbissen an Gustavos mangelnden Offensivqualitäten. Rangnick zwang den Brasilianer förmlich, zu improvisieren. Er sollte sein Spiel auf die nächsthöhere Stufe heben und die Ambivalenz zwischen seinem intelligenten Spiel gegen den Ball und mehr Offensive bewerkstelligen.
"Rangnick hat mich im letzten halben Jahr offensiver spielen lassen. Ich hoffe, dass mir das bei Bayern zugute kommt. Bayern hat ja eine offensive Philosophie", sagte Gustavo zu SPOX. Zwei Tore und drei Vorlagen steuerte der 23-Jährige in der Hinrunde für Hoffenheim bei.
Bayerns neue Allzweckwaffe
Sein Improvisationstalent stellte Gustavo in Hoffenheim oft unter Beweis. Er war Rangnicks Allzweckwaffe und spielte mitunter auf drei Positionen während eines Spiels. Im Mittelfeld, in der Innenverteidigung und links in der Viererkette - ohne dabei nennenswert an Qualität einzubüßen.
Dank seiner Vielseitigkeit spielt er jetzt bei Bayern. "Meine Lieblingsposition ist im Mittelfeld. Aber ich fühle mich überall wohl. In Brasilien habe ich viele Positionen gespielt. In der Jugend in Brasilien war ich sogar Stürmer", sagt Gustavo.
Van Gaal plant mit ihm als linker Verteidiger, der langjährigen Problemzone im Bayern-Spiel. Diego Contento und der in Doha wegen einer Grippe fehlende Danijel Pranjic sind (vorerst) nur noch zweite Wahl.
Gustavo: "Als Mannschaft müssen wir groß denken"
Selbstbewusst, aber bescheiden, formuliert Gustavo seine Ziele. "Ich bin ein einfacher Typ. Ich akzeptiere das, was der Trainer sagt. Wenn ich meinen Job mache, werde ich meine Chance bekommen. Als Mannschaft müssen wir groß denken. Wir können noch vieles erreichen."
Um für die großen Aufgaben beim FC Bayern gewappnet zu sein, holt sich Gustavo Kraft von Gott und seiner Familie. "Ich bin Katholik, lese viel in der Bibel und bete jeden Tag zweimal. Nach Gott kommt meine Familie. Sie ist alles, was ich habe."
Am 25. Dezember hat sich Gustavo mit seiner Freundin Milene verlobt. Von seinem Wechsel zu Bayern hat er als erstes Vater Luiz Antonio informiert, die engste Beziehung hat Gustavo aber zu Oma Irondina. "Sie ist wie eine zweite Mutter für mich. Nach München wird sie aber nicht kommen. Das ist zu hart für sie. Sie ist schon über Achtzig."
DFB-Elf weiterhin eine Option
Seine Liebe zur Familie und zur Heimat hält Gustavo aber nicht davon ab, mit einer Karriere in der deutschen Nationalmannschaft zu spekulieren.
"Ich bin Brasilianer und jeder Brasilianer will für sein Land spielen. Aber ich bin schon vier Jahre in Deutschland und es gefällt mir sehr gut. Die Mentalität, die Professionalität. Ich kann mir auch vorstellen, für Deutschland zu spielen. Aber ich habe noch nichts vom DFB gehört und mache mir keine Gedanken."
Im Moment ist er ohnehin ausgelastet in der anderen Welt beim FC Bayern.