Und plötzlich stand Uli Hoeneß am Trainingsplatz in Arco am Gardasee. Der Präsident stattete dem Team des FC Bayern München einen eigenartigerweise lange geheim gehaltenen Überraschungsbesuch ab, blinzelte nach der Trainingseinheit am Dienstagabend ein wenig in die Sonne und schüttelte eifrig Hände der Lokalprominenz. Die Medien ließ er links liegen.
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Von den Spielern rief er einzig Franck Ribery zu sich herüber, redete dem Franzosen ein paar Sekunden lang gut zu, tätschelte ihm die Schulter und ließ ihn wieder laufen. Ähnlich - ob physisch oder verbal - hatte es Hoeneß oft auch mit seinem "Ziehsohn" Bastian Schweinsteiger gehalten. Mal Zuckerbrot, mal Puderzucker-aus-dem-Hintern-Klopfen.
Wurde der Mittelfeldspieler einmal zu viel gelobt, mahnte Hoeneß Defizite an. Prügelte man auf Schweinsteiger medial ein, hob Hoeneß dessen Stellenwert für den FCB hervor.
Als Schweinsteiger unlängst seinen Vertrag bis 2016 verlängerte und dies in der Bayern-Welt für Jubelschreie sorgte, meinte Hoeneß nüchtern, das Vergnügen sei nicht gerade billig gewesen. Kurzum: Für Hoeneß war es stets wichtig, dass Schweinsteiger die Balance hielt.
Auf einer Stufe mit Xavi und Co.
Es verwundert daher ein wenig, dass sich der Präsident bislang noch nicht zur aktuellen "Cheffchen"-Debatte geäußert hat. Wahrscheinlich, weil er den Vorwurf einer Sportzeitung, Schweinsteiger sei kein Führungsspieler, für zu albern hielt.
Für den neuen Trainer Jupp Heynckes, der Schweinsteiger bei seinem Kurzintermezzo 2009 zum Sechser umfunktioniert und damit dessen Metamorphose vom Talent zum Spitzenspieler überhaupt erst möglich gemacht hatte, ist der Mittelfeldspieler jedenfalls ein echter Führungsspieler.
"Ich denke, dass der FC Bayern zwei Kapitäne hat", sagte der Coach am Montag und meinte damit neben Philipp Lahm auch Schweinsteiger, "weil er in dem Jahr mit der Weltmeisterschaft zum Weltklassespieler herangereift ist". Er könnte das beurteilen, schließlich verfolge er vor allem den spanischen Fußball äußerst intensiv.
"Ich sehe Schweinsteiger auf einer Stufe mit den herausragenden Spielern der spanischen Liga und vielleicht noch eine Stufe höher als die der englischen Liga. Er ist für mich designiert, Führungsspieler zu sein. An seiner Stellvertreterrolle werde ich selbstverständlich nichts ändern", machte Heynckes unmissverständlich klar.
Kroos: "Er ist keiner, der einen anschreit"
Auch im Team ist Schweinsteiger selbstverständlich anerkannt. "Alleine durch seine Erfahrung, die vielen Spiele, die er schon gemacht hat und die darin erbrachten Leistungen, ist er automatisch schon ein Führungsspieler. Er ist vielleicht keiner, der einen anschreit. Er sagt trotzdem immer klar seine Meinung", meinte Toni Kroos im Trainingslager gegenüber SPOX.
Lahm und Schweinsteiger sind vielleicht keine Alpha-Tiere alter Prägung, können eine Mannschaft aber dennoch führen, so Kroos' Meinung: "Dass die beiden keine Typen wie Kahn oder Ballack sind, ist bekannt - aber auch gar nicht nötig."
Schweinsteiger selbst weiß am besten, dass er in der kommenden Saison wieder eine Schippe drauf legen muss. "Ich weiß, dass ich am längsten dabei bin und die Mannschaft führen muss", sagt er. Und: "Wir müssen mit diesem Kader Titel holen, aber klar ist auch, dass das nicht so einfach ist."
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Das wahre Gesicht des FCB?
Nicht für wenige ist Schweinsteiger das eigentliche Gesicht des FC Bayern - trotz Arjen Robben, Franck Ribery und Kapitän Lahm. Dementsprechend exponiert steht der 26-Jährige auch in der Öffentlichkeit. Und im Gegensatz zum geschickten Verbal-Taktiker Lahm, der den Boulevard stets hinter sich weiß, werden an Schweinsteiger gerne Krisen festgemacht.
Man mag über seinen Wutausbruch im Anschluss an den "Cheffchen"-Artikel während einer Bayern-Presserunde denken, was man will. Si tacuisses, vielleicht. Ein Spieler, der mit 26 Jahren schon 249 Bundesliga- und 87 Länderspiele auf dem Buckel hat, muss sich einer solchen Debatte eigentlich nicht mehr derart trotzig stellen.
Auf der anderen Seite zeigt es, dass aus Posterboy Schweini ein selbstreflektierender Schweinsteiger geworden ist, der sich nicht mehr alles gefallen lässt.
Karbon-Schiene um den gebrochenen Zeh
Zumal Schweinsteiger bereits oft gezeigt hat, dass er bereit ist, für den Erfolg an körperliche Grenzen zu gehen. Im Sommer vor der letzten WM ließ er für die Ehre, in ein paar Länderspielen Kapitän sein zu dürfen, eine Knie-Operation verschieben.
Vergangene Woche stieg er nach einem Zehenbruch freiwillig vier Tage vor seinen Nationalmannschaftskollegen ins Training ein.
Am Gardasee trägt Schweinsteiger deswegen noch eine Karbon-Schiene um den lädierten Zeh und hat damit "ein bisschen Probleme", weshalb er in der Vorwoche einmal auch mit dem Training aussetzen musste.
"Nach vorne schauen, Titel holen"
Nach einer Saison ohne Trophäen brennt der Mittelfeldspieler schon wieder drauf, es allen Kritikern zu zeigen. "Jeder Spieler will sich verbessern und das ist bei mir genauso. Das Ziel ist, sich von Jahr zu Jahr zu verbessern. Wenn man nicht Meister wird oder keinen Erfolg hat, sieht es so aus, als hätte man sich nicht weiterentwickelt. Es gibt aber Spieler, die sich trotzdem weiterentwickeln", sagt er zu SPOX.
Deswegen habe er auch keine Lust mehr, über die vergangene Saison zu sprechen: "Wir wollen nach vorne schauen und Titel holen. Aus Niederlagen lernt man auch ein bisschen."
In Arco hat der 26-Jährige jedenfalls als einziger vom ersten Training an die kurzen Ärmel bis über die Schultern hochgekrempelt. Der will bestimmt nur die Arme bräunen, werden ihm seine Kritiker nun wahrscheinlich wieder ankreiden. Vielleicht ist ihm aber auch einfach nur heiß.
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