Ende des letzten Jahrtausends gab es da diese Geschichte um Sebastiao Pereira do Nascimento. Ein nahezu unbeschriebenes Blatt im internationalen Fußball, der auf den immerhin recht drolligen Rufnamen Didi hörte.
Der VfB Stuttgart in der Sommerpause 2011/12
Dieser Didi wurde 1999 vom FC Ituano Sao Paulo an den VfB Stuttgart transferiert, als hoffnungsvoller Mittelstürmer im zarten Alter von 23 Jahren. 3,5 Millionen D-Mark wechselten dafür den Besitzer.
Ohne Kreuzband und Meniskus
Didi verärgerte seinen neuen Arbeitgeber schon früh, er schwänzte gleich zu Beginn ein paar Mal das Training. Zu einem echten Desaster wurde der Transfer dann ein paar Wochen später, als die Stuttgarter Ärzte völlig verblüfft feststellten, dass der gute Didi ohne vorderes Kreuzband und Innenmeniskus im linken Knie geliefert wurde.
Die Anekdote klebt für alle Zeiten als kläglicher Versuch in den Klub-Annalen fest. Didis Kreuzband-Nummer bleibt bis heute unerreicht, auch wenn sich der VfB danach noch den einen oder anderen teuren Flop geleistet hat.
Zu viele Alleingänge
Als Horst Heldt noch Sportdirektor auf dem Wasen war, unterhielt der VfB eine Scouting-Abteilung quasi als Parallelwelt. Da wurde gesichtet und analysiert, die Miles-and-More-Konten prall gefüllt. Nur: Niemand wollte den Ratschlägen von Herbert Briem und Erwin Hadewicz kaum jemals Gehör schenken.
Die Entscheider wagten stattdessen einige Alleingänge, egal ob sie Armin Veh, Christian Gross, Heldt oder sogar Dieter Hundt hießen. Von Aufsichtsratschef Hundt ist der Satz überliefert, man solle sich lieber auf der schwäbischen Alb nach Verstärkungen umschauen, die könnten mindestens genauso viel, wären dabei aber deutlich kostengünstiger zu erwerben.
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Doch seit der Meisterschaft vor vier Jahren holten die Stuttgarter trotz der Empfehlung des Chefs Karteileichen aus Deutschland und Europa.
Bobic krempelt um
Yildiray Bastürk, Ewerthon, Sergiu Radu, Philipp Degen oder Mauro Camoranesi sind einige Beispiele, die zusammen auf gerade mal knapp über 50 Spiele für den VfB kamen - in ihrer Zeit an Ablösesummen und Gehältern aber rund 15 Millionen Euro verschlangen.
Als Fredi Bobic vor rund einem Jahr seinen Job als Sportdirektor beim VfB Stuttgart antrat, war keine Zeit, um sich in Ruhe alle Abteilungen anzuschauen und sich zum gemütlichen Gedankenaustausch auf eine Tasse Kaffee zu treffen. Bobic musste einen ganzen Berg an Arbeit aus dem Weg räumen, den ihm sein Vorgänger Heldt hinterlassen hatte.
In der Winterpause fing er dann an, die darbende Scouting-Abteilung nach und nach auf Vordermann zu bringen, einhergehend mit einer umfangreichen Umstrukturierung der Jugendabteilung.
Neuer Konkurrent durch Hoffenheim
"Ich habe ganz klare Vorstellungen in Bezug auf meinen Bereich, was der wichtigste Bereich ist, der Sportbereich - und das wird auch passieren", kündigte er damals an und hielt sein Versprechen Wort für Wort ein. Die Sichtungsabteilung arbeitete bis vor wenigen Wochen ohne echte Führung und Struktur, noch nicht einmal einen Abteilungsleiter gab es, der drohende Missstände hätte frühzeitig erkennen und darauf reagieren können.
Als 1899 Hoffenheim vor drei Jahren mit einer fulminanten Vorrunde von sich reden machte, zapfte der damalige Aufsteiger im Hintergrund die Stuttgarter Lebensadern an: Die Talente der Region gingen von der D-Jugend an nicht mehr zwingend zum VfB, oder unter Umständen noch zum Rivalen nach Karlsruhe, sondern heuerten verstärkt bei der TSG an.
Rund 20 Jugend-Nationalspieler hatte Hoffenheim damals in seinen Reihen und damit den Klassenprimus in etwa eingeholt. Dagegen unternommen wurde beim VfB aber nicht viel. Jetzt soll alles anders werden.
Neue Köpfe, neue Struktur
"Was gefehlt hat, war ein Abteilungsleiter. Die Abteilung ist schließlich eine ziemlich wichtige. Dafür kann ich nicht alleine verantwortlich sein", sagt Bobic jetzt und delegiert die Aufgabe in vertrauensvolle Hände.
Neuer Chef der Sparte ist Ralf Becker, einst Cheftrainer beim SSV Ulm. Dazu kam in den letzten Wochen neben Hadewicz auch Hubert Neu vom 1.FC Kaiserslautern, der für die Beobachtung von Spielen zuständig ist.
Die Ex-Profis Tomislav Maric und Marijan Kovacevic sowie der Franzose Christoph Rempp komplettieren die Abteilung, jeder hat dabei seinen speziellen Bereich zu verantworten. "Maric ist für Ost-Europa vorgesehen, Rempp ist absoluter Südamerika- und Frankreich-Experte", sagt Bobic.
Hintergrund durchleuchten
Die ebenso einfache wie einleuchtende Maxime: Der Verein schaut sich ab sofort nicht nur den Fußballer an, sondern durchleuchtet auch dessen Hintergrund, in privater, familiärer und kultureller Hinsicht.
Früher kam es auch schon mal vor, dass ein Spieler nach Sichtung eines Videos verpflichtet wurde, der Mazedonier Mitko Stojkovski soll so ein legendäres Beispiel gewesen sein.
"Wir müssen uns Zeit nehmen, müssen uns auch mal anschauen, wie sich ein Spieler im Training verhält", sagt Bobic, der im Prinzip verfährt, wie es Urs Siegenthaler seit sieben Jahren für den Deutschen Fußball-Bund macht.
In Anlehnung an Siegenthaler
Siegenthaler wurde wie fast alle Klinsmann-Zugänge im Betreuerstab zunächst mit großem Argwohn aufgenommen. Aber die Arbeit des Schweizers - er bereist unter anderem bereits Monate vorher die Länder der kommenden deutschen Spielgegner - ist ein wichtiger Bestanteil der Spielvorbereitung von Joachim Löw.
Bobic' Bildungsreisen führten ihn bereits mehrere Wochen nach Südamerika und Asien, um sich fundiert zu informieren. "Das ist der Grund für die vielen Reisen. Man muss Land und Leute kennenlernen, um zu sehen, wie sie ticken. Das kann man auf Fußballer übertragen."
Bahnbrechend neu sind die Erkenntnisse wahrlich nicht, nur war davon in den letzten Jahren beim VfB allenfalls in Spurenelementen etwas zu entdecken.
Neuausrichtung im Jugendbereich
Bobic greift deshalb auch zurück auf externe Experten, die nicht auf der Gehaltsliste stehen, im einen oder anderen Fall aber mit ein paar kleinen Ratschlägen entscheidenden Einfluss auf bestimmte Personalentscheidungen haben könnten.
"Es ist wichtig, dass man eigene Netzwerke nutzt, wenn man Spieler holen will. Das gilt auch für mich. Giovane Elber oder Carlos Dunga arbeiten nicht für uns, aber trotzdem hole ich mir Tipps von ihnen."
Parallel zum neuen Scouting-Konzept hat Bobic auch die Jugendleitung neu strukturiert. Marc Kienle ist den bisherigen Chefs Thomas Albeck und Frieder Schrof übergeordnet. Als eine Art Supervisor ist Ex-Profi Kienle ab sofort für alle Mannschaften von der U 15 bis zur U 23 verantwortlich.
Die Durchlässigkeit eigener Talente in den Profibereich soll mit der Besetzung der heiklen Schnittstelle zwischen Nachwuchs- und Erwachsenenbereich erhöht werden.
Auf dem Papier funktioniert das neue, alte Stuttgarter Modell schon sehr gut: Insgesamt acht eigene Nachwuchshoffnungen wurden in der Sommerpause mit einem Lizenzspielervertrag ausgestattet.
Der VfB Stuttgart in der Übersicht