Seit dem 3:2 der Nationalmannschaft gegen Brasilien befindet sich der deutsche Fußball in Ekstase. Mario Götze wurde auf eine Ebene mit den größten Stars des Weltfußballs gehievt, das DFB-Team zum Favoriten der EURO 2012 erklärt.
Jupp Heynckes macht die Lobhudelei nicht mit. "Wo war Brasilien bei der Copa America?", fragte er am Freitag in die Journalistenrunde und beantworte seine Frage selbst: "Richtig, vorzeitig ausgeschieden."
Heynckes auch will auch nichts davon wissen, dass der Sieg der Löw-Truppe die Moral seiner zahlreichen Nationalspieler gestärkt haben könnte. Zu tief sitzt beim Trainer des FC Bayern München noch der Stachel der Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach (0:1) zum Auftakt der Bundesliga-Saison.
"Die Niederlage steckt in den Köpfen"
Eine ähnliche Denkweise setzt er bei seinen Spielern voraus: "Wenn man ehrgeizig ist, wie man es beim FC Bayern gewohnt ist, dann steckt man so eine Niederlage nicht einfach weg. Sie steckt in den Köpfen."
Seine deutschen Nationalspieler wurden am Sonntag direkt von der Allianz Arena abgeholt und zur Nationalmannschaft nach Stuttgart chauffiert - auch die übrigen Länderspiel-Reisenden waren sofort weg, so dass eine Aufarbeitung der Niederlage kaum möglich war. Nachgeholt wurde die Analyse nun am Freitag.
"Ich muss den Spagat finden, kurz die prägnantesten Dinge des Gladbach-Spiels anzusprechen", so Heynckes, um dann aber schnell auf das "Wolfsburg-Spiel einzugehen und die Mannschaft auf das Spiel und den Gegner vorzubereiten".
Offensiv: Plötzlich ein Problem
Vor allem muss der Bayern-Trainer aber seine eigene Mannschaft erst einmal neu justieren. Grundsätzlich erhofft sich Heynckes eine "positive Reaktion" seiner Truppe, auch wenn er sie nach einer Niederlage zum Auftakt noch nicht in einer außergewöhnlichen Drucksituation sieht.
Gegen Mönchengladbach sei nicht alles negativ gewesen, auch wenn dies dem Umfeld des FC Bayern schwer zu vermitteln ist. Die Fehlfunktion im System des FC Bayern fiel auf. Nachdem in der gesamten Vorbereitung gebetsmühlenartig die Optimierung des Defensivspiels zur Hauptaufgabe des neuen Trainerteams erklärt wurde, krankte gegen Gladbach plötzlich das Offensivspiel. Franck Ribery bemängelte die Aggressivität - Heynckes sieht es ähnlich.
"Ich habe im Trainingsprozess das Hauptaugenmerk auf die Defensive gelegt", so Heynckes zu SPOX, "wenn ich sage, dass wir im Defensivspiel, im Zweikampfverhalten und im Pressing aggressiver agieren müssen, gehört auch das aggressive Spiel nach vorne dazu."
Das Gladbach-Spiel beschäftigte Heynckes noch am Freitag: "Wir hätten den Sieg erzwingen müssen. Man muss die Gier haben, das Spiel zu gewinnen." Aber vor allem fordert er, dass seine Offensivkräfte nicht immer nach Schema F vorgehen.
Zwar schoss Bayern gegen Gladbach genauso oft aufs Tor wie der kommende Gegner Wolfsburg in Köln (je 17 Schüsse), eine echte Großchance war allerdings nicht dabei. Über die Außen entfachten die Bayern keine Gefahr.
Im Zentrum hatte Toni Kroos zwar viele Ballkontakte, aber keine Anspielstationen - Mario Gomez mühte sich als Einzelkämpfer im Angriff ab.
Das Problem mit den Flanken
Heynckes zählt die Möglichkeiten auf, die seinen Offensivleuten in den verschiedenen Spielsituationen zur Verfügung stehen: "Tempowechsel, Härte, mehr Sprints, Dribblings, an die Grundlinie gehen - und wenn der Gegner hinten drin steht, müssen wir über die Außen auch mit Flanken agieren."
Problematisch gestaltet sich gerade Letzteres beim vorhandenen Spieler-Material. "Wenn man mit Arjen und Franck zwei Spieler hat, die auf den Flügeln seitenverkehrt spielen, dann ist es mit den Flanken nicht so einfach. Das ist auch bisher nicht berücksichtigt worden", so Heynckes.
Gegen Gladbach erhoffte er sich in den letzten 30 Minuten mehr Zug durch Ribery, doch als auch diese Maßnahme nicht griff, stellte Heynckes um und brachte mit Nils Petersen einen weiteren Stürmer. Mit dem "größeren Risiko" wollte Heynckes seiner Mannschaft helfen, aber er fordert auch: "Ich möchte, dass die Spieler besser vorbereitet sind. Gladbach hat im letzten Drittel der Saison weniger Gegentore kassiert als in den zwei Dritteln davor."
"Warum soll Kroos auf die Bank?"
Eine grundlegende Systemänderung will Heynckes aber nicht vornehmen. Auch wenn er in der Vorbereitung noch etwas anders klang, sei es nicht seine Intention, am 4-2-3-1 zu rütteln: "Man muss ein System einführen, indem sich die Spieler wohlfühlen. Neue Spieler, neuer Trainer - das muss sich erst einmal einjustieren."
Sehr wohl in Erwägung zieht der Bayern-Coach aber auf der einen oder anderen Position zu rotieren - ohne Rücksicht auf Namen.
"Wichtig ist, dass die Mannschaft in der Formation harmoniert und funktioniert. Dass es einen Spieler trifft, der normalerweise spielt, ist normal. Das ist bei Real Madrid, Barcelona und Manchester United das gleiche Prinzip. Sie haben teilweise einen noch größeren Kader."
Die Denkweise, dass nach der fast sicheren Rückkehr von Ribery in die Startelf automatisch Kroos der erste Streichkandidat ist, will Heynckes so nicht stehen lassen: "Warum soll Kroos auf die Bank? Wenn er gute Leistungen bringt, dann spielt er."
Robben fällt aus
Und Heynckes sagt auch: "Die Spieler müssen nicht nur fit sein, sie müssen Leistung bringen. Es wäre keine größere Überraschung, wenn Ribery oder Robben auf der Bank sitzen würde und nicht Kroos oder Müller. Das Leistungskriterium ist entscheidend und nicht der Status oder das vermeintliche Image."
Es gäbe bei ihm keinen unantastbaren Spieler: "Ich entscheide viel lieber von Spiel zu Spiel, wer von Anfang an spielt."
Zumindest für das Wolfsburg-Spiel hat Robben seinem Trainer die Aufgabe erleichtert. Den Niederländer plagen Rückenprobleme, die zusätzlich die Adduktoren belasten. Das Mittwochtraining brach er ab, am Donnerstag fehlte er - am Freitag wirkte er zwar wieder mit, doch Heynckes nominierte Robben nicht für den Kader.
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