Da waren fünf Gegentore, die die Fans aufschreckten und auch die Führung. Sie gossen einen furchtbaren Saisonstart in eine konkrete Form, der einen Punkt aus drei Spielen und bereits zehn Gegentore umfasst.
Da waren aber auch: Chaos, Anarchie, Selbstaufgabe. Der Hamburger SV hat am vergangenen Samstag in München ein erschreckendes sportliches Bild abgegeben. Ein Bild, das nackte Zahlen nur schwer in seiner Gesamtheit erfassen.
Der HSV hat seine beiden vermeintlich schwersten Auswärtsspiele absolviert, eines beim deutschen Meister, das andere beim deutschen Rekordmeister. Beide sind selbstverständlich Top-Kandidaten auf den Titel in dieser Saison.
Oenning in der Schusslinie
Eine neu geformte Mannschaft kann da schon verlieren, auch deutlich. Die Frage ist, wie man sich trotz augenscheinlicher Unterlegenheit präsentiert. Dieses "Wie" ist es, das in Hamburg jetzt schon leichte Panik ausbrechen lässt - weil es derzeit keinen nachvollziehbaren Anhaltspunkt gibt, der auf eine baldige Besserung schließen lässt.
Michael Oenning steht deshalb voll in der Schusslinie. Der Trainer hat es bis heute nicht geschafft, den Startschuss für den proklamierten Umbruch zu geben. Oenning sucht nach einem geeigneten System und dem passenden Personal - das allerdings mitten im Ernstfall.
Mit drei verschiedenen Spielausrichtungen wartete Oenning in drei Saisonspielen auf. Weder die beiden Defensivvarianten 4-4-2 beziehungsweise 4-5-1 genügten bei den Auswärtsspielen den Ansprüchen, noch das offensivere 4-1-4-1 im Heimspiel gegen Hertha BSC, das den Aufsteiger als die eindeutig bessere Mannschaft definierte.
"Ich habe es von Anfang an gewusst, dass es dauert. Ich habe hier einen Dreijahresvertrag abgeschlossen und hoffe, dass ich den komplett mit Michael als Trainer erfüllen kann", will Sportchef Frank Arnesen allen Spekulationen um Oennings Rauswurf zuvor kommen.
Arnesen gibt Rückendeckung
Der Däne ist das entscheidende Puzzleteil im Hintergrund, nachdem die Führungsriege mit dem Abgang von Ex-Boss Bernd Hoffmann endgültig neu besetzt wurde. Arnesen ist der Architekt der Neuausrichtung, Oenning sein ausführendes Organ.
Der stellt sich mit völlig unnötigen Aussagen aber immer wieder selbst ins Kreuzfeuer der Kritik. Vor der Partie gegen die Bayern hatte er über das ausgeklügelte Rezept referiert, mit dem den Bayern beizukommen sei. Ein 0:6 wie im März, das ihm den Cheftrainerposten erst möglich machte, schloss er kategorisch aus.
BlogEin Clubfan über Oenning: Er wird scheitern müssen!
Nach der Partie, die er selbst stoisch und beinahe teilnahmslos über sich ergehen ließ, attackierte er einzelne Spieler scharf, ohne konkrete Namen zu nennen: "Die erfahrenen Spieler sind nicht in der Lage, uns zu helfen." Kapitän Heiko Westermann, Dennis Aogo, Marcell Jansen oder David Jarolim dürfen sich aber getrost angesprochen fühlen. Den Tschechen faltete Oenning noch auf dem Rasen der Allianz Arena vor den Blicken der Fans zusammen.
Aogos Leistung analysierte er ebenso schonungslos. "Nach seinem Foul, das dunkelgelb war, hatte er überhaupt keinen Zugriff mehr, weil er ganz genau wusste, dass es mit der nächsten Aktion zu Ende sein kann. Dennis hat kein gutes Spiel gemacht, das weiß er auch selbst." Eine Auswechslung Aogos zog der Trainer allerdings nicht in Betracht.
Neue Achse soll entstehen
Oennings Versuchsanordnungen lassen derzeit keine Ordnung und Linie zu. Westermann verdingt sich im defensiven Mittelfeld, dafür verteidigen im Abwehrzentrum mit Michael Mancienne und Jeffrey Bruma zwei junge Spieler, die weder aufeinander abgestimmt sind, noch sich gegenseitig helfen können, geschweige denn die Bundesliga kennen.
Die Jungen finden bei den Alten keinen Halt, so kann keine Einheit entstehen. Vielleicht ist der Umbruch zu radikal, die Realität kann mit den schönen Gedanken nicht Schritt halten. "Bei Ajax früher haben wir Jungen viel von den Alten gelernt", sagt Arnesen, "aber es ist auch eine andere Zeit." Und die sieht den HSV bisher als eine Verwaltung von Missständen.
Oennings Plan sieht offenbar vor, Westermann im Mittelfeld zu belassen. Also besserte der Klub noch ein letztes Mal nach. Slobodan Rajkovic wurde verpflichtet. Ein Innenverteidiger vom FC Chelsea, und damit bereits der fünfte Spieler, den sich die Hamburger an der Stamford Bridge besorgen.
So soll nach und nach eine Achse entstehen, mit Torhüter Jaroslav Drobny, unter Umständen Rajkovic, Westermann/Jarolim und Mladen Petric. Diese Achse des Guten bilden derzeit aber ein verunsicherter Torhüter, ein Serbe, dessen Qualität man noch nicht einschätzen kann, ein Kapitän, der von den eigenen Fans ausgepfiffen wird und Petric, der den Klub mit seiner Vertragsverlängerung weiter im Unklaren lässt.
Aktuell ein Abstiegskandidat
Und trotzdem sieht Arnesen seine Mission und die Komposition des Kaders auf einem guten Weg. "Ich bin ehrlich gesagt nicht unzufrieden mit dem Kader. Ich gebe den Spielern noch Zeit, weil ich weiß, dass sie gut sind. Unsere Neuen sind zum Teil erst 19, da erwarte ich nicht nach drei Spielen eine Führungsrolle. Das sind nicht die Schlüsselspieler - nicht mal nach einer ganzen Saison."
Unter Oenning hat die Mannschaft bis auf dessen Debüt im März aber kein einziges Spiel mehr gewonnen, der Punkteschnitt liegt nach elf Partien bei 0,8 pro Spiel. In der Form und mit diesen Zahlen kann der HSV nichts anderes sein als ein Abstiegskandidat.
Das nervöse Umfeld, das allerdings auch den guten Jahren unter Hoffmann mit dem Bau des neuen Stadions und dem Vorrücken unter die 20 umsatzstärksten Klubs der Welt immer wieder misstrauisch gegenüberstand, wird dafür aber nicht die nötige Geduld aufbringen.
"Jetzt müssen wir Eier haben"
Also bleibt das Prinzip Hoffnung. Darauf, dass schon bald eine Systematik zu erkennen ist. Wie beim kommenden Gegner 1. FC Köln und Stale Solbakken. Die kamen in den ersten Spielen auch böse unter die Räder, allerdings ist dort langsam eine Struktur erkennbar und ein fixer Plan, wie die Mannschaft zu agieren hat.
Ein großer Unterschied zum HSV und Oenning, der immer wieder umstellt und sich von Negativereignissen beeinflussen lässt. Auch deshalb wird die Partie des Vorletzten gegen den Letzten für Oenning zu einer echten Zerreißprobe.
Und dazu hoffen sie in Hamburg darauf, dass sich die Spieler bei der Ehre gepackt fühlen. "Nach dem Spiel in München habe ich in der Kabine gemerkt, dass die Spieler sauer waren. Richtig sauer auf sich selbst", berichtet Arnesen.
"Jetzt müssen wir Eier haben und den Ärger umformen in Vertrauen und Willen. Jetzt muss jeder Spieler Stolz und Ehre entwickeln, weil er weiß, dass er es besser kann!"
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