Drei Spiele, drei Unentschieden: In der Tabelle ist dem Hamburger SV auch unter Thorsten Fink der ganz große Durchbruch noch nicht gelungen. Immerhin aber zeichnet sich bereits ab, wo der neue Trainer mit der Mannschaft in Zukunft hin will. Im Vergleich zu Vorgänger Michael Oenning veränderte der 44-Jährige Spielphilosophie, Grundordnung und Taktik des HSV. Nach drei Spieltagen zeigt sich der neue Ansatz auch bereits an Zahlen der klassischen Statistiken.
Spielphilosophie
Während Michael Oenning Personal, Grundordnung und Taktik jeweils stark am Gegner orientierte, will Thorsten Fink seine eigene Linie unabhängig durchziehen. "Dominant" und "offensiv" soll der HSV spielen, egal gegen wen.
Und tatsächlich lässt sich die Umsetzung beider Schlagworte mit klassischen Statistiken bereits belegen. Während sich durchschnittliche Laufleistung und Zweikampfquote nicht signifikant verändert haben, hat die Mannschaft unter dem neuen Trainer den eigenen Ballbesitz auf 54 Prozent pro Partie gesteigert. Unter Oenning waren es nur 48 Prozent.
Noch deutlicher fällt der Unterschied bei den Offensivaktionen aus. In den drei Spielen unter Fink hat Hamburg bereits mehr Torschüsse abgegeben (51) als in den sechs Partien unter seinem Vorgänger (47).
Für beide Kategorien allerdings gilt: Nach drei Spieltagen lässt sich allenfalls eine erste Tendenz festhalten, denn sowohl die Ballbesitz- als auch die Torschussstatistik hängen nicht zuletzt vom Gegner und vom Spielverlauf ab. Die drei frühen Rückstände etwa brachten den HSV fast zwangsläufig in eine offensivere und dominanter Rolle. Allerdings spielte die Mannschaft gegen Kaiserslautern auch 70 Minuten in Unterzahl.
Ein Problem bleibt außerdem die Qualität der Abschlüsse: Der HSV hat nach wie vor große Schwierigkeiten, sich hochklassige Gelegenheiten aus dem Spiel heraus zu erarbeiten. Der (unterdurchschnittliche) Wert stagniert bei rund einer Großchance pro Partie.
Veränderte Grundordnung
Dreierkette: Während Oenning in der Regel nur mit einem zentralen Stürmer spielen ließ, setzt Fink konsequent auf ein flaches 4-4-2 mit zwei echten Spitzen. Die auffälligste Veränderung in der Grundordnung aber betrifft das Verhalten bei eigenem Ballbesitz: Die Innenverteidiger ziehen weit nach außen und Tomas Rincon lässt sich aus dem defensiven Mittelfeld zwischen die beiden zurückfallen. Ähnlich wie bei Barca in Phasen der letzten Saison entsteht hinten nun eine Dreierkette, während die Außenverteidiger sofort sehr weit nach vorne schieben. (vgl. Video)
In dieser hinteren Linie wird der Ball zunächst kontrolliert und die Offensivaktion vorbereitet. Mit statistischen Folgen: Während die zentralen Abwehrspieler unter Oenning, der klassisch über die Außenverteidiger oder die Sechser aufbauen ließ, im Schnitt auf 60 Ballkontakte kamen, sind es unter Fink fast 90. Sie übernehmen im Aufbau nun im Grunde die alte Rolle der Außenverteidiger, bei denen sich die Zahlen entsprechend umgekehrt verhalten.
Offensive Außenverteidiger: Weil die Innenverteidiger in der Dreierkette nun die Flügel verstärken, können die Außenverteidiger extrem offensiv agieren. Fink sucht die Überzahl im Mittelfeld vor allem an den Seiten. Schon in Basel eines seiner Markenzeichen.
Tatsächlich hat sich die Rolle der beiden Außenverteidiger auch in Hamburg bereits deutlich gewandelt. In den letzten drei Spielen waren sie zusammen an 16 Torschüssen (5,3 pro Spiel) beteiligt. In den sechs Partien zu Saisonbeginn insgesamt nur an 12 (2,0 pro Spiel). Auch die durchschnittlich acht Flanken pro Partie unter Fink sind doppelt so viele wie zuvor unter Oenning. Markant weniger geworden sind dafür die Ballkontakte in der eigenen Hälfte.
Weil sich die Außenverteidiger bei gegnerischem Ballbesitz allerdings wieder klassisch in eine Viererkette zurückfallen lassen, müssen beide pro Partie auch knapp 1,5 Kilometer mehr an Laufstrecke zurücklegen.
Tiefenstaffelung der Sechser
Unter Oenning (wie zuvor auch unter Veh) spielten die beiden Sechser auch bei Ballbesitz in der Regel auf einer Linie nebeneinander - was zwangsläufig zu vielen Querpässen und Tempoverlust im Mittelfeld führte.
Unter Fink ist das defensive Mittelfeld bei Ballbesitz nun extrem in der Tiefe gestaffelt. Während sich Rincon weit zurückfallen lässt, sucht sein offensives Pendant, Gojko Kacar, häufig früh den Weg in die Spitze. Eine Rolle, die seinen Anlagen grundsätzlich auch entspricht. Mit seiner Kopfballstärke könnte er im Strafraum, mit seiner Schusstechnik außerhalb für Gefahr sorgen. Allerdings: De facto hat Kacar in drei Spielen erst einmal aufs Tor geschossen. Auch als Vorbereiter fehlen ihm häufig Ruhe und Selbstvertrauen. Wohl auch ein Grund, weshalb der HSV im Winter nach einem zentralen Mittelfeldspieler sucht.
Schnelles Umschalten
Fast traditionell hat der HSV große Schwierigkeiten, schnell umzuschalten. Und zwar in beide Richtungen. Auch daran arbeitet Fink. Und hat zumindest kleine Erfolge - wie das erste Kontertor der laufenden Saison. Auch die Quote der Torschüsse nach Kontern pro Partie hat sich von 0,5 auch 1,7 verdreifacht, obwohl der HSV die meiste Zeit in Rückstand lag.
Die Dreierkette bei eigenem Ballbesitz scheint die Mannschaft zudem weniger anfällig für Schnellangriffe des Gegners zu machen. Nur 0,7 gegnerischen Torschüsse nach Kontern (null Gegentore) stehen 1,3 unter Oenning gegenüber. Dennoch: Das Umschaltspiel bleibt eine der größten Baustellen.
Stabile Defensive
Unter Oenning hat der HSV ligaweit die meisten gegnerischen Großchancen zugelassen (18 nach 6 Spieltagen), bei Fink kamen die Gegner deutlich seltener zu "Hundertprozentigen" (nur 4 in 3 Spielen). Der Schnitt an Gegentoren wurde von 2,8 pro Spiel auf 1,3 mehr als halbiert.
Besonders deutlich reduziert haben sich die Treffer nach Freistößen und Ecken. In den ersten sechs Spielen kassierte Hamburg satte 8 Gegentore nach ruhenden Bällen - Negativrekord in der Bundesliga. Unter Fink war es bisher nur eines. Eine mögliche Erklärung: Der neue Trainer stellte von Raumdeckung bei Ecken wieder auf klassische Manndeckung um.
Nach wie vor aber handelt sich der HSV zu viele Freistöße in der gefährlichen Zone ein. Auch das in der Regel eine Folge von schlechtem Umschaltverhalten auf die Defensive: Der Gegner bekommt zu viele Eins-gegen-Eins-Situationen oder die Mittelfeldspieler müssen "von hinten" in die Zweikämpfe.
Paolo Guerrero versus Heung-Min Son
Von der Umstellung auf zwei echte Spitzen profitierte bislang vor allem Paolo Guerrero, dem Fink in allen drei Bundesligaspielen das Vertrauen schenkte. Auf Kosten von Hoffnungsträger und Publikumsliebling Heung-Min Son, der nur durch die Verletzung von Mladen Petric einmal in die Startelf rückte.
Auch für diese Entscheidung liefern die Datenbanken mögliche Erklärungsansätze. Beide standen in etwa die gleiche Zeit auf dem Feld: Son 286 Minuten unter Oenning, Guerrero die vollen 270 Minuten unter Fink.
Dabei war der Koreaner zwar produktiver (2 Tore plus 1 Assist), Guerrero (1 Tor plus 1 aberkanntes) aber deutlich präsenter. Der Peruaner verbuchte in derselben Zeit doppelt so viele Torschüsse (15) und doppelt so viele Torschussvorlagen (6) wie Son.
Vor allem aber bestreitet - und gewinnt - er wesentlich mehr Zweikämpfe. Son setzte sich unter Oenning nur 18 Mal im direkten Duell durch. Guerrero gewann in den letzten drei Spielen 42 Zweikämpfe und holte 8 Freistöße heraus (Son: 1).
Allerdings: Rein statistisch profitiert Guerrero in diesem Vergleich wohl auch von der offensiveren Herangehensweise des neuen Trainers. Nur die Zweikampfquote (38 Prozent für Guerrero, 29 Prozent für Son) spricht für die größere physische Präsenz des Peruaners.
Als sie gegen Leverkusen dann aber zum ersten Mal beide gemeinsam auf dem Feld standen, glichen sich auch dort ihre Werte an. Mit je 22 Prozent allerdings auf einem eher schwachen Niveau.
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