Sehr konspirativ war das Treffen am Flughafen Kloten/Zürich nicht mehr. Aus dem Süden reiste Francois Affolter an, der sich mit den Young Boys Bern im spanischen Cala de Mijas auf die Rückrunde der Schweizer Super League vorbereitete.
Aus der anderen Richtung machte sich Klaus Allofs auf den Weg, der sich im fernen Bremen mit der Kaderplanung beschäftigte.
Ungewöhnliches Leihgeschäft
Die Rahmenbedingungen waren vorher bereits abgesteckt worden und wurden dann am Mittwoch auch genauso verkündet: Francois Affolter, 20, wechselt auf Leihbasis bis zum 31. Dezember 2012 zu Werder Bremen. Die Bremer erhalten zudem die Option, Affolter bis 2016 fest zu verpflichten.
Ein ungewöhnliches Vertragswerk, enden im Prinzip alle Kontrakte doch jeweils zum Ende einer Saison, also im Sommer. Dagegen hatten aber beide Parteien etwas einzuwenden. Bei dann nur noch drei Monaten Spielzeit wäre eine Leihe "nicht seriös gegenüber dem Spieler gewesen, um ihn vernünftig zu beurteilen", wie Allofs erklärte.
Der neue Bremer Weg
Im Speziellen ist Affolters Wechsel also ein neuer Weg, den Werder beschreitet. Grundsätzlich passt der Transfer des Schweizer Nationalspielers aber perfekt ins neue Schema. Kolportierte 400.000 Euro Leihgebühr stehen im Raum, das Gesamtvolumen soll sich im Falle einer Weiterbeschäftigung an der Weser auf rund zwei Millionen Euro erweitern.
Eine vergleichsweise günstige Alternative, zumal die weiteren Parameter auch passen: Werder geht wenig Risiko ein, kann den Spieler in Ruhe beurteilen. Affolter ist in Deutschland ein relativ unbeschriebenes Blatt und kann trotz seiner jungen Jahre schon auf jede Menge Erfahrung verweisen. Affolter ist in Biel im Schweizer Kanton Bern aufgewachsen und spricht neben Französisch auch fließend Deutsch.
Ähnlich ist der Fall bei Zlatko Junuzovic gelagert, der ebenfalls an der Weser unterschrieben hat. Auch der Österreicher ist jung, dynamisch und vor allen Dingen: mit enormem Steigerungspotenzial ausgestattet.
Kleine Spitze gegen Gross
Eine besondere Konstellation brachte den Transfer aber erst ins Rollen: Im Sommer verpasste Affolter die Vorbereitung bei YB, weil er sich bei der U-21-Europameisterschaft einen Muskelriss im rechten Oberschenkel zugezogen hatte.
Trainer Christian Gross sah unter anderem deshalb in der Vorrunde über den Innenverteidiger hinweg, Affolter versauerte auf der Bank oder schaffte es erst gar nicht in den Kader. Gross, ein Verfechter des rustikalen Fußballs, bevorzugt die massiven Alain Nef und Dusan Veskovac.
"Eine echte Erklärung habe ich nicht erhalten. Ich war unzufrieden mit meiner Situation. Er hat immer nur gesagt, ich solle mich defensiv im Eins-gegen-Eins verbessern und auf mein Kopfballspiel achten. Aber ich bin ein Verteidiger, der gerne den Ball am Fuß hat und das Spiel aufbauen kann. Er hat wohl eher Verteidiger gesucht, die kopfballstark sind und jeden Zweikampf gewinnen", sagt Affolter zu SPOX.
"Ein Glücksfall für uns"
Bei nur 76 Kilo verteilt auf 1,86 Meter Körpergröße wirkt er leicht und schmächtig, es gibt in der U 17 Spieler, die massiger gebaut sind als er. Dafür hat Affolter aber andere Vorzüge. "Ich habe Qualität in meinen Pässen, kann Lösungen im Spielaufbau finden", sagt er recht selbstbewusst. Dass aber auch er "sehr überrascht" gewesen sei, als ihn sein Berater vom Bremer Interesse unterrichtete, gibt er offen zu.
Von der Ersatzbank der Schweizer Liga zum Fünften der Bundesliga ist es dann doch noch ein sehr großer Schritt. Die äußeren Umstände machten den Transfer dennoch möglich. "Francois' Situation bei den Young Boys war ein Glücksfall für uns", so Allofs.
Aber auch für den Spieler, der nach eigenem Bekunden "bei Young Boys nicht mehr viel gespielt" hätte. "Ich hatte die drei letzten Spielzeiten immer gespielt, aber unter dem neuen Trainer Christian Gross saß ich meistens auf der Bank oder sogar nur auf der Tribüne", so Affolter.
Lob und Tadel von Andy Egli
Andy Egli, 76-facher Nationalspieler und der "Beckenbauer der Schweiz", bescheinigt Affolter "außergewöhnliche Fähigkeiten". "Er hat eine starke Antizipationsgabe und kann ein Spiel lesen, auch wie sich bestimmte Situationen entwickeln. Besonders wenn Bälle in die Tiefe gespielt werden, hat er außergewöhnliche Fähigkeiten", sagt Egli im Gespräch mit SPOX. "Und er ist technisch für einen Innenverteidiger überdurchschnittlich gut ausgebildet."
Allerdings, das kann Egli nicht verhehlen, gab es offenbar auch nachvollziehbare Gründe, warum Affolter zuletzt bei Gross keine Chance mehr bekommen hat.
"Wenn es gut läuft, hat er die Tendenz, überheblich zu werden. Er hat dann diese gewisse Nonchalance. Das hat dazu geführt, dass er fahrig wirkte, ohne klare Struktur und Konzentration auf das, was er als Verteidiger zu erledigen hat. Young Boys hat einige Gegentore kassiert, die eindeutig auf ihn zurückzuführen waren."
Trotzdem werde Werder "viel Freude an ihm haben", so Egli weiter. "Thomas Schaaf muss ihm gegenüber den richtigen Ton finden. Davon hängt einiges ab."
Erste Einheit in der A-Elf
Ganze fünf Ligaspiele hat er in dieser Saison absolviert, drei davon von Beginn an. In den beiden letzten Spielzeiten ohne Trainer Gross waren es noch 33 beziehungsweise 34 Spiele. In der Innenverteidigung war einfach kein Platz mehr und er habe "in einer Viererkette nie außen, sondern immer nur innen verteidigt", so Affolter.
Auf der Position hat ihn Klaus Allofs in der abgelaufenen Saison auch einige Male selbst beobachtet. Bremens Geschäftsführer soll ein paar Mal nach Bern geflogen sein, um sich ein Bild zu machen. Am Donnerstag war der Weg zur Besichtigung deutlich kürzer.
Allofs und sein Assistent Frank Baumann verharrten bei eisigem Wind während der Trainingseinheit am Nachmittag. Beim abschließenden Spiel schaffte es Affolter in die A-Mannschaft, verteidigte in der Viererkette mit Clemens Fritz, Sokratis und dem erst 18-jährigen Florian Hartherz, der gegen Leverkusen sein Debüt geben wird.
"Die erste Einheit war schon ganz gut, aber es wird schon noch eine Zeit vergehen, bis ich alle Mitspieler und das Spielsystem kennengelernt habe", sagte Affolter. "Meine Beine sind zwar etwas schwer, aber nicht nur die Beine machen einen guten Spieler aus - auch der Kopf. Ich bin bereit für Samstag."
Wollen keine Zeit verlieren
"Ich gehe davon aus, dass Francois am Samstag dabei sein wird", sagt sein Trainer Thoams Schaaf. Ob es die Nummer 3 dann wirklich in die Startelf schafft, will sich Schaaf aber noch offen lassen; auch wenn Allofs ungeduldig drängt: "Wir wollen keine Zeit verlieren!" Angesichts von neun Ausfällen stehen die Chancen aber recht gut.
Zumal im Abwehrzentrum mit Naldo und Sebastian Prödl zwei Alternativen ausfallen und Andreas Wolf unter der Woche nach Monaco abgewandert ist. Mikael Silvestre hat nach Prödls Verletzung in Kaiserslautern solide verteidigt, kann nach seiner langen Verletzungspause aber noch nicht bei einhundert Prozent sein.
Affolter setzt sich aber nicht unter Druck, geht die Sache ganz pragmatisch an. Genau wie die Wahl seiner Rückennummer.
"Es war keine andere mehr übrig, also habe ich die 3 eben genommen." Wichtig sei das aber nicht. "Am Ende zählt nur, dass das Trikot nach dem Spiel auch nass ist."
Das ist Werder Bremens Kader