Anfangs verlacht, jetzt respektiert wie kaum ein anderer Manager: Martin Baders ungewöhnlicher Weg führte ihn vom Militär über brasilianische Hinterhöfe zum 1. FC Nürnberg. Der Sportvorstand über seinen rasanten Aufstieg als 27-Jähriger und seinen Mentor Dieter Hoeneß.
SPOX: Ihre Karriere scheint wie am Reißbrett gezeichnet: Sie übernahmen als 35-Jähriger die Verantwortung in Nürnberg und sind acht Jahre später einer der dienstältesten und meist respektierten Manager der Bundesliga. Was kaum jemand weiß: Beinahe wären Sie beim Militär und nicht im Fußball gelandet. Wie kam das?
Martin Bader: Ich wusste nach dem Abitur nicht genau, was ich studieren wollte. Deswegen bin ich zum Bund. Aber schon damals habe ich so getickt, dass ich etwas zu hundert Prozent durchziehe, wenn ich etwas anfange. Deswegen gab ich mich nicht mit dem Grundwehrdienst zufrieden, sondern verpflichtete mich gleich für zwei Jahre und absolvierte die Ausbildung zum Reserve-Offizier. Durch die Leutnant-Lehrgänge war der Alltag nicht so stumpfsinnig und ich wurde geistig gefordert. In der Zeit reifte auch der Entschluss, nach Bayreuth zu gehen und Sportökonomie zu studieren.
SPOX: Mit dem klaren Ziel, in den Profifußball zu kommen? Sie selbst waren nie Leistungssportler und hatten keinerlei Kontakt in die Bundesliga.
Bader: Es mag für einige naiv klingen, doch ich glaubte an meine Chance. Daher habe ich einen Studiengang ausgesucht, mit dem ich dachte, in den Fußball reinrutschen zu können. So bin ich weiter vorgegangen: Ich fing parallel bei der Vermarktungsfirma "UFA Sports", dem heutigen "Sportfive", ein Praktikum an. Nach der Uni wurde ich fest übernommen, landete mit Glück bei Hertha BSC und schlussendlich in Nürnberg.
SPOX: Sie saßen in Bayreuth im Vorlesungssaal und träumten von der Bundesliga?
Bader: So bewusst kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Aber einige Kommilitonen von damals erzählen mir noch heute, dass sie immer davon ausgegangen sind, mich in der Bundesliga zu sehen. Offenbar hatte ich dieses Ziel immer im Hinterkopf. Wobei es nicht so klingen soll, als ob ich mühelos den Einstieg geschafft hätte. Mein Weg war gepflastert mit Hindernissen. Alleine schon, weil ich anders als viele Kollegen keine 300 Bundesliga-Spiele vorweisen kann.
SPOX: Entsprechend unglamourös war Ihr Studentenleben?
Bader: Der Klassiker: Ich lebte in einer WG und hatte zig Nebenjobs. Ich arbeitete bei "Bosch" und bei "Daimler" am Fließband, im Winter gab ich Ski- und Snowboardkurse. Außerdem durchlief ich viele Praktika, eines davon bei "UFA Sports"...
SPOX: ... was sich als Segen erwies. Dort wurden Sie vom späteren HSV-Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann gefördert.
Bader: Ich habe aus der Fachliteratur mitbekommen, wie wichtig "UFA Sports" im Profi-Fußball wurde, obwohl es an der breiten Öffentlichkeit mehr oder weniger vorbeiging. Der Erwerb der Bundesliga-Rechte für "Anpfiff" und "ran" war nur ein Beispiel für den Expansionskurs. Ich sagte zu mir selbst, dass ich dabei sein und mitmischen will im Geschäft der ganz Großen. Daher begann ich dort das Praktikum und lernte schnell Bernd Hoffmann kennen, den damaligen Fußball-Bereichsleiter. Wir waren ein junges Team, ohne feste Strukturen, alle auf Augenhöhe. Eine super Zeit.
SPOX: Nach dem Studienabschluss bekamen Sie bei "UFA Sports" eine Festanstellung und wurden ein Jahr später zu Hertha BSC geschickt, um dort die Marketingabteilung zu leiten. Eine Aufgabe, die den damals 27-jährigen Bader nicht überfordert hat?
Bader: Ich wurde einfach ins kalte Wasser geschmissen. Irgendwann sagten Bernd Hoffmann und sein damaliger Vorgesetzter Geert Bittner zu mir, dass ich nach Berlin fahren soll, da würde ein Projekt auf mich warten. Ich setzte mich also in den Zug und fand mich plötzlich bei einem Traditionsverein in der Führungsebene wieder. Weil alles so schnell ging, kam ich aber gar nicht dazu, über all die Verantwortung nachzudenken. Ich hatte einfach nur riesig Bock auf das Abenteuer.
SPOX: Wie groß war die tatsächliche Verantwortung?
Bader: Nüchtern betrachtet: riesig. Die Zusammenarbeit mit Hertha war ein Pilotprojekt für die gesamte Branche. Damals kam Berlin als Zweitligist zur "UFA Sports" und bat um finanzielle Mittel, weil es sonst eng mit der Lizenz geworden wäre. Wir hingegen wollten nicht stupide Geld reinpumpen, sondern etwas Nachhaltiges schaffen. So wurde die Idee mit der Gesamtvermarktung geboren. Was heute alltäglich ist, war damals revolutionär. Hertha bekam Geld, die "UFA Sports" durfte im Gegenzug den Verein vermarkten - und ich war der Statthalter vor Ort. Zuständig dafür, dass die investierten 4,5 Millionen Mark zurückfließen, am besten mit Rendite. Im Nachhinein betrachtet war es der Wahnsinn, was mir anvertraut wurde.
SPOX: Vor allem, weil Sie nicht nur für das Marketing verantwortlich zeichneten.
Bader: Nach relativ kurzer Zeit war ich in allen Entscheidungen des Vereins involviert. Ich sollte bei jeder Präsidiumssitzung anwesend sein und arbeitete an den komplexesten Verträgen mit. Irgendwann wurden die wirtschaftlichen Geschicke komplett in meine Hände gelegt, so dass selbst die Auszahlung von Gehältern mit mir abgestimmt wurde. In der Zeit merkte ich, dass ich das Zeug dazu habe, bei einem Profiklub eine höhere Position zu bekleiden.
spoxSPOX: Wie wichtig war der damalige Hertha-Manager Dieter Hoeneß?
Bader: Wir arbeiteten von Beginn an eng zusammen, weil ich auch bei Transfers hinzugezogen wurde, um zu urteilen, ob wir 150.000 Mark für einen Spieler ausgeben können oder nicht. So lernte ich langsam, wie das Geschäft läuft. Nach zwei Jahren fragte mich Herr Hoeneß, ob ich nicht "UFA Sports" komplett verlassen und in Berlin bei ihm als Assistent der sportlichen Leitung in die Lehre gehen möchte. Da musste ich nicht zweimal überlegen. Ich wollte unbedingt noch näher an den Fußball heranrücken.
SPOX: Wie haben Sie Dieter Hoeneß erlebt, an dessen Wirken sich die Geister scheiden?
Bader: Ich verstehe, dass er mit seiner bestimmenden Art polarisiert. Aber bei aller Kritik ist er unglaublich faszinierend und gütig. Ich habe ihm im Grunde alles zu verdanken. Er führte mich in die wichtigen Kreise ein und ließ mich an allen wichtigen Gesprächen teilnehmen. Ich habe hautnah miterleben dürfen, wie man in einem Berliner Restaurant um Sponsorengelder oder in einem brasilianischen Hinterhof um einen Transfer feilscht.
Teil II: "Das hat Peter Neururer abgeschreckt"
SPOX: So wurden Sie Freunde?
Bader: Wir kennen uns seit 15 Jahren und dennoch sieze ich Herrn Hoeneß immer noch. Er wird diese Respektperson bleiben, mit dem ich ein tiefes Urvertrauen verbinde. Wir haben damals Hertha in die Champions League geführt und Toptransfers getätigt: Marcelinho, Sebastian Deisler, Arne Friedrich, Stefan Beinlich, Marco Rehmer. Was wir alles erlebt haben! Da flogen wir rüber nach Brasilien und klärten alles mit dem Berater von Marcelinho. Dann kehrten wir zurück und plötzlich hatte er neue Berater mit neuen Forderungen. Und es ging wieder bei null los. Wir erlebten so viel Absurdes. Manchmal saßen wir nachts im Hotel bis zwei, drei Uhr zusammen und diskutierten über alles. Über Transfers, über den Verein, den Fußball und das Leben an sich. Diese Momente haben mich geprägt.
SPOX: Dieter Hoeneß förderte Sie, später nahm er den heutigen Hertha-Geschäftsführer Michael Preetz ebenfalls unter die Fittiche. Das Verhältnis zwischen beiden ist jedoch stark belastet, weil Preetz gegen seinen früheren Mentor intrigiert haben soll, um diesen zu entmachten, wie Hoeneß beklagt. Wie konnte es so weit kommen?
Bader: Ich habe die Vorgänge nie verstanden, weil ich mit Herrn Hoeneß immer sehr gut auskam. Ich weiß, dass er eine starke Persönlichkeit mitbringt, dabei verfügt er über eine wahnsinnig hohe Sozialkompetenz. Damals habe ich es genossen, dass sich Herr Hoeneß mit seinen breiten Schultern immer in den Wind gestellt hat, wenn es ungemütlich wurde, um mir und Michael Preetz Schutz zu bieten. Um mehr über das Thema zu sprechen, fehlt mir der Einblick. Ich kenne nur die eine Seite.
SPOX: Sie beschlossen Ende 2003, sich von Hertha und Dieter Hoeneß abzunabeln und nach Nürnberg zu wechseln. Fiel es ihm leicht, Sie loszulassen?
Bader: Es gab natürlich Diskussionen. Er verstand anfangs nicht, warum ich aus Berlin wegen eines Zweitligisten weggehe. Es war seine Art der Wertschätzung, dass er so um mich gekämpft hat. Im Nachhinein verstand er, warum ich den Schritt nach Nürnberg gehen musste. Ich wollte mich emanzipieren und etwas Eigenes schaffen.
SPOX: Warum Nürnberg?
Bader: Ich suchte einen Verein, den ich aus der 2. Liga nach oben führen kann und der gleichzeitig über das Potenzial verfügt, um sich in der Bundesliga zu etablieren. Ein Verein, bei dem ich nur als Mangelverwalter gefragt gewesen wäre, kam nicht in Frage. In Nürnberg lag damals einiges brach, aber ich erkannte die riesigen Möglichkeiten. Mit dem neuen Funktionsgebäude und dem mit drei Sternen ausgezeichneten Nachwuchsleistungszentrum sind wir auf einem guten Weg, sie nach Jahren der Arbeit auszuschöpfen.
SPOX: Die ersten Jahre waren jedoch weniger von Nachhaltigkeit denn von purer Existenzangst geprägt. Nach der Entlassung von Wolfgang Wolf Ende 2005 kam es zur kuriosen Situation, dass Nachfolgekandidat Peter Neururer auf Ihrem Mailbox seine Absage hinterließ, während Sie parallel im Fernsehen über Neururer als möglichen neuen Trainer sprachen. Fühlten Sie sich bloßgestellt?
Bader: Nein, nein, das ist damals einfach blöd gelaufen. Wir redeten damals mit drei Trainern, darunter Lothar Matthäus und Peter Neururer. Neururer verfügte damals über einen super Namen und wir dachten, dass das gut passt. Weil an dem Samstag ein Spiel gegen Stuttgart anstand, machten wir aus, dass wir am Montag drauf noch einmal verhandeln. Nur: Wir waren miserabel und verloren 0:1. Das hatte Neururer so abgeschreckt, dass er mir nach Abpfiff sofort auf die Mailbox sprach. Ich hörte sie aber nicht ab, ging vor die Kameras und sagte, dass wir mit Neururer in Gesprächen seien. Eine sehr unglückliche Geschichte.
Katharina Wildermuth: Die einzige Pressechefin der Bundesliga
SPOX: Matthäus fühlte sich als zweite Wahl und gab Ihnen ebenfalls einen Korb. Sie waren ohne Trainer, standen extrem unter Druck - und machten etwas Ungewöhnliches: Sie baten um Hilfe und gaben es öffentlich sogar zu.
Bader: Warum auch nicht? Ich rief Dieter Hoeneß an und fragte ihn, was er in meiner Position machen würde. Es wäre fahrlässig von mir gewesen, wenn ich einen Mann mit so einer Erfahrung nicht um Hilfe gebeten hätte. Wir haben daraufhin lange diskutiert, verschiedene Namen durchgesprochen und plötzlich fragte er mich: "Was hältst du von Hans Meyer?" Ich antwortete: "Er ist längst Rentner." Daraufhin gab mir Hoeneß dessen Nummer und sagte nur vielsagend: "Ruf ihn einfach mal an."
SPOX: Meyers Ernennung zum neuen Trainer gehört zu Ihren wegweisenden Entscheidungen. Unter ihm gewann Nürnberg 2007 den DFB-Pokal und zog in den UEFA-Cup ein. Doch nur ein Jahr später folgte der schockierende Abstieg in die 2. Liga. Mit welchen Folgen?
Bader: Durch den Abstieg haben wir in der Entwicklung ungefähr zwei Jahre verloren. Darum weiß ich nur zu gut, was ein Abstieg in dieser Saison bedeutet. Wir würden nicht in die Steinzeit zurückfallen, dafür sind die Bedingungen zu gut. Dennoch kostet ein Abstieg immens viel Zeit. Der Klassenerhalt in diesem Jahr wäre sogar noch wertvoller als sonst schon.
SPOX: Warum?
Bader: In der Bundesliga werden die TV-Gelder nach der Vier-Jahreswertung ausgeschüttet, entsprechend würden wir in der folgenden Saison überproportional davon profitieren, weil das Zweitliga-Jahr 2008/09 wegfällt. Hinzukommen die Einnahmen aus dem Wollscheid-Verkauf an Leverkusen. Sollten wir in der Klasse bleiben, wären wir endlich in der Lage, umworbene Spieler zu binden oder uns wesentlich zu verstärken. Sollten wir hingegen absteigen, brauchen wir selbst im Falle eines direkten Wiederaufstiegs drei Jahre, um auf das Level von heute zurückzukehren. Das kann man betriebswirtschaftlich ziemlich genau kalkulieren.
SPOX: Umso überraschender ist die Ruhe, die in Nürnberg mittlerweile herrscht. Ist es womöglich das größte Kompliment an Sie, dass trotz der schwierigen Tabellensituation kein Journalist und kein kritischer Fan eine Entlassung von Ihnen oder Trainer Dieter Hecking fordert?
Bader: Auf jeden Fall. Die Leute haben verstanden, dass hinter unserer Arbeit Substanz steckt und dass meine acht Jahre in Nürnberg kein Zufall sind. Es geht darum, den Verein transparent und logisch zu führen und den Fans eine realistische Vision aufzeigen, statt Wunderdinge zu erzählen. Daher glaube ich daran, dass Rückschläge wie diese Saison akzeptiert werden. Nürnberg kann nur auf eine Art und Weise wachsen: mit kleinen Schritten.
Der 1. FC Nürnberg im Steckbrief