SPOX: Herr Weidenfeller, in Nürnberg sind die Dortmunder Fans wieder geschlossen mit im Stadion. Der Rückrundenauftakt in Hamburg wurde von Teilen der Anhänger boykottiert, um gegen erhöhte Ticketpreise zu demonstrieren. Welche Meinung haben Sie dazu?
Roman Weidenfeller: Dafür habe ich vollstes Verständnis. Fußball ist immer noch ein Volkssport, daher kann es nicht sein, dass die Stehplatzpreise immer weiter in die Höhe steigen. Es bleibt letztlich nicht nur beim Ticketkauf, sondern man muss noch die Anreise, Getränke oder Bratwurst zahlen. So etwas geht schnell ins Geld.
SPOX: Das andere Dauerthema auf Fanebene ist die Frage nach der Legalisierung von Pyrotechnik. Wie verfolgen Sie als Spieler diese Debatte?
Weidenfeller: Ich finde, dass Pyrotechnik teilweise schön anzusehen ist. Dennoch ist die Gefahr, die damit verbunden ist, deutlich größer. Nicht nur für die Fans, sondern auch für die Spieler auf dem Rasen. Es ist möglich, dass ein Spiel aus diesem Grund komplett abgebrochen wird. Das wäre eine Katastrophe.
SPOX: Sie gelten als sehr fannaher Profi, der auf "Facebook" regelmäßig interne Einblicke gewährt. Und das, obwohl Sie einer der Ältesten im Team sind.
Weidenfeller: Mir ist es ein Anliegen, die Fans einzubeziehen. Jeder ist daran interessiert, was sich alles hinter den Kulissen abspielt. Dazu eignen sich diese Social-Media-Dienste hervorragend. Es ist mir wichtig, die Anhänger so oft es geht mit ins Boot zu nehmen.
SPOX: Die Fans haben laut gejubelt, als der Transfer von Marco Reus zum BVB vermeldet wurde. Es hieß, das sei auch ein Zeichen an umworbene Spieler wie Mario Götze oder Mats Hummels. Welches Signal war es denn für Sie?
Weidenfeller: Dass wir nun in der Lage sind, größere Transfers zu tätigen und gezielt in Qualität zu investieren, ist auch für mich ein wichtiges Zeichen. Ich bin stolz, Teil dieser Truppe zu sein. Schließlich bin ich auch nicht erst seit zwei Jahren im Verein, sondern seit zehn. Im Grunde habe ich persönlich einen Teil der Geschichte mitgeschrieben - Champions League, Nichtabstieg in der schwierigen finanziellen Situation und dann die deutsche Meisterschaft. Daher weiß ich es sehr zu schätzen, beim Aufschwung mit dabei zu sein.
SPOX: Kurz darauf haben die Sticheleien des FC Bayern zugenommen. Denken Sie, da steckte auch Enttäuschung drin, dass man Reus nicht an die Isar locken konnte?
Weidenfeller: Ganz bestimmt. Man kann im Fußball eben nicht immer gewinnen. Marco hat sich für die sportliche Perspektive, seine Heimat, sein Herz, entschieden. Natürlich ist der Transfer auch ein Zeichen an die gesamte Liga. Dennoch ist es unterm Strich einfach eine super Verpflichtung für uns.
SPOX: Christian Nerlinger meinte deshalb aber, dass beim BVB ab Sommer die Zeit des Understatements vorbei sein müsse.
Weidenfeller: Daran wird sich nichts ändern. Ganz egal, ob bis Sommer noch neue Transfers folgen werden oder was auch immer passieren wird. Wir sind bodenständig und sehen keinen Sinn darin, große Töne in der Öffentlichkeit zu spucken. Dieses Vorgehen entspricht dem Charakter unserer Mannschaft und damit sind wir zuletzt wunderbar gefahren. Ganz Deutschland spricht über uns, das reicht doch.
SPOX: Sie sind noch bis 2014 Teil dieser Mannschaft. Als Sie vor gut einem Jahr Ihren Vertrag verlängert haben, war Aston Villa hinter Ihnen her. Stimmt es, dass auch Paris St.-Germain interessiert war?
Weidenfeller: Ja. Es gab damals auch noch weitere Anfragen. Ich habe mir das alles sehr gründlich überlegt und mir die Frage gestellt, was ich noch alles erreichen möchte. Ich hatte quasi die Wahl, erstmalig Erfahrungen im Ausland zu sammeln oder langfristig beim BVB zu bleiben und den Aufwärtstrend mit zu gestalten. Wie man sieht, habe ich absolut richtig entschieden.
SPOX: Gerade wenn man bedenkt, wie sehr Aston Villa im Gegensatz zur Borussia sportlich vor sich hin dümpelt.
Weidenfeller: So ist es. Vielleicht hätte man sich dort finanziell besserstellen können, dennoch hält sich der sportliche Anreiz eher in Grenzen. Hinzu kommt der Wohlfühlfaktor, den ich in Dortmund habe. Ich wohne hier mit meiner Freundin zusammen, habe meine Freunde in der Nähe und einen kurzen Weg zur Familie. Die wirtschaftliche Situation ist nicht alles im Leben.
SPOX: Aber hätten Sie nicht eines dieser Angebote gerne ein paar Jahre früher gehabt, als die Entwicklung des BVB stagnierte?
Weidenfeller: Nein. Wenn man mehrere Jahre beim BVB spielt, wechselt man nicht zu jedem Verein. Es kommen europaweit vielleicht vier Mannschaften aus dem jeweiligen Land in Frage. Dort ist die Torhüterposition ja auch nicht ständig vakant.
SPOX: Wenn Ihr Vertrag ausläuft, sind Sie 34. Ist man dann nicht zu alt, um Stammspieler beim BVB zu sein?
Weidenfeller: Ich werde sowieso immer damit aufgezogen, dass ich hier den Altersschnitt kaputt mache (lacht). Letztlich kommt es ja auf die Struktur und die Mischung innerhalb der Mannschaft an. Ich fühle mich jedenfalls keineswegs alt. Wenn man um die 34 Jahre alt ist, heißt es doch immer, dass dies die besten Jahre für einen Torwart sind. Auch wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen will, möchte ich bis 40 spielen.
SPOX: Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen - wenn es denn sein müsste - den Verein noch einmal zu wechseln?
Weidenfeller: Schwierig. Borussia Dortmund und mein Name sind jetzt seit 2002 eng miteinander verbunden. Daher wünsche ich mir, dass meine Karriere in Dortmund endet.
SPOX: Angefangen hat für Sie alles mit Ihrem ersten Bundesligaspiel im November 2000. Seitdem hat sich der Fußball sehr verändert. Kamen die Weiterentwicklungen für Sie als Spieler schleichend oder mit einem Ruck?
Weidenfeller: Das ist im Nachhinein schwer zu sagen. Dass die athletischen Anforderungen immer weiter gestiegen sind, das war klar. Etappenweise kamen die Hightechentwicklungen. Heutzutage sind die Bälle, die Fußballschuhe oder auch die Handschuhe für die Torhüter vollkommen anders als zu Beginn des Jahrtausends. Natürlich steht man auf dem Platz mehr im Fokus. Alleine schon durch die Vielzahl der Kameras. Mittlerweile ist es möglich, jede kleinste Bewegung aus 30 verschiedenen Kameraperspektiven zu betrachten.
SPOX: Geht Ihnen das gegen den Strich?
Weidenfeller: Als Fußballer ist man noch gläserner geworden. Seit kurzem kann jeder die Laufdaten und die Quoten der Spieler einsehen. Auch die Dopingrichtlinien ändern sich ständig. Natürlich bin ich für einen sauberen Sport, keine Frage, aber auch diese Richtlinien sind mittlerweile so streng, dass man teilweise angeben muss, wo man sich in seiner Freizeit aufhält. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich als positiv empfinde.
SPOX: Anfangs hatten Sie in Dortmund einige Probleme, verloren Ihren Stammplatz an Guillaume Warmuz und hatten auch bei den Fans nicht das Standing von heute. Wie sehen Sie rückblickend diese Phase?
Weidenfeller: Es war für mich als junger Spieler nicht ganz einfach, das Erbe eines solchen erfolgreichen Keepers wie Jens Lehmann anzutreten und mich dann sofort zu behaupten. Dies ging anderen Kollegen genauso. Als Oliver Kahn aufhörte, war es für die Nachfolger nicht anders. Ich gebe auch zu, dass ich als junger Torwart so meine Erfahrungen mit den Medien gemacht habe.
SPOX: Inwiefern?
Weidenfeller: Die Medienlandschaft in Kaiserslautern kann man mit der in Dortmund nicht vergleichen. Damals war ich noch ziemlich forsch und direkt und habe mein Herz auf der Zunge getragen. Wenn man ein paar Jahre erfahrener ist, überlegt man sich genau, welche Auswirkungen die Worte haben.
SPOX: Die gewachsene Erfahrung merkt man Ihnen auf und abseits des Platzes an, Sie sind in den letzten Jahren deutlich ruhiger geworden. Liegt das nur am Alter?
Weidenfeller: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Sicherlich das Alter. Bei Borussia Dortmund ist mit Jürgen Klopp eine kontinuierliche Ruhe eingekehrt. So etwas beruhigt jeden einzelnen Spieler, man kann sich so rein auf das Sportliche konzentrieren. Zum Glück bin ich in den letzten Jahren von schweren Verletzungen verschont geblieben und konnte langfristig mein Leistungspensum abrufen. Dies ist das Erfolgsrezept.
SPOX: In die Nationalelf haben Sie es dennoch nicht geschafft, die jungen Torhüter wie Ron-Robert Zieler oder Marc-Andre ter Stegen sind gefragter als Sie. Kann ein Torhüter, der die 30 schon überschritten hat, per se gar nicht mehr als modern gelten?
Weidenfeller: Dazu müssen wir erstmal definieren, was der Begriff 'modern' in diesem Zusammenhang bedeutet. Ist es modern, bei fünf Grad minus kurzärmlig auf dem Platz zu stehen?
SPOX: Womöglich nicht. Wie definieren Sie den modernen Torhüter?
Weidenfeller: Für mich steht über allen Kriterien, dass der modernste Keeper nur der sein kann, der die meisten Bälle hält und die wenigsten Tore kassiert. Das lässt sich ja wunderbar an den Tabellenständen der letzten Jahre ablesen. Dazu kommt, dass man ein Spiel schnell machen sollte, wenn man in einer Mannschaft mit einem zügigen Umschaltverhalten von Defensive auf Offensive spielt. Man sollte sich dem Spiel anpassen und die Partie wie ein Libero von hinten heraus eröffnen können.
Roman Weidenfeller im Steckbrief