Auf dem Weg zum Ironman

Von Fatih Demireli
Thomas Müller spielt schon seit dem Jahr 2000 für den FC Bayern München
© Getty

Thomas Müller ist der Publikumsliebling beim FC Bayern München. Doch der Offensivspieler des Rekordmeisters steckt in einem Wandel, der ihm erstmals auch die schwierigen Seiten des Profigeschäfts aufzeigt. Inzwischen muss Müller um seinen Platz in der Startelf des FC Bayern kämpfen, auch wenn er gegen den FC Basel (Di., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky) spielen sollte.

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Über mangelnde Jubel-Gelegenheiten in der Allianz Arena durften sich die Anhänger des FC Bayern München am Samstagnachmittag wahrlich nicht beschweren. Sieben Mal klingelte es gegen das mut- und wehrlose Team von 1899 Hoffenheim. Und doch warteten und sehnten die Münchener einem achten - ganz besonderen - Jubelschrei herbei.

Ohren- und Augenzeugen können von der 62. Minute berichten, wie die Emotionen in der Arena an den Siedepunkt gelangten. Noch lauter, noch intensiver war es als bei den Toren von Mario Gomez, Franck Ribery, Toni Kroos oder Arjen Robben. Die Einwechslung von Bastian Schweinsteiger, der nach dreiundeinhalb Wochen sein Comeback feiern durfte, machte das Arena-Volk glücklich.

"Robbery" zaubert, Müller nicht

Die Bayern-Bank klatschte, die Bayern-Fans klatschten und auch das Führungs-Trio Uli Hoeneß, Karl Hopfner und Karl-Heinz Rummenigge oben in der Business Lounge strahlte um die Wette, ob der Rückkehr ihres zuletzt schmerzlich vermissten Lieblings. Auch Thomas Müller machte eine gute Miene, klatsche artig ab und machte Platz, damit Schweinsteiger aufs Feld konnte.

In der Jubelarie um Schweinsteiger spielte Müller eine ähnliche Nebenrolle wie in den 61 Minuten zuvor, in denen der FC Bayern brillierte, in denen alle offensiv geschulten Spieler wie Gomez, Ribery, Robben und Kroos insgesamt sieben Mal trafen und in denen Müller - bis auf eine Torvorlage - leer ausging und bei aller Ribery-Robben'schen Zauberei etwas blass blieb.

Für Müller ist dieser Zustand in der laufenden Spielzeit keine Ungewohnheit. Lediglich drei Bundesliga-Tore zählt der WM-Torschützenkönig 2010. Die tollen Quoten aus seinen ersten beiden vollwertigen Profi-Jahren mit 13 bzw. 12 Toren wird Müller - wenn nicht plötzlich der Knoten explodiert - nicht ansatzweise erreichen.

Erklärungen für die Torflaute

Beim 2:0 gegen Kaiserslautern im vorletzten Heimspiel traf Müller erstmals seit 1.163 Minuten wieder das Tor. Seitdem ist wieder Ruhe vor dem Kasten.

Erklärungen dafür liefert Müller immer wieder. Nach Müllers These auch, weil er öfters rechts als zentral ("In der Mitte bin ich am gefährlichsten") aufgestellt wird: "Als Rechtsaußen turnt man nicht immer vor dem Tor herum, man hat weniger Chancen. Vielleicht halte ich rechts verstärkt meine Position und die Mittelfeldspieler in der Mitte sind torgefährlicher. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich gute Chancen versiebt hätte."

Auch dass er in der Nationalmannschaft verhältnismäßig torgefährlicher ist, kann Müller begründen: "Bei Bayern zieht es den zentralen Spieler, zurzeit Toni Kroos, mehr auf die linke Seite. Mesut Özil kommt mehr nach rechts, sodass ich nach innen rochieren kann."

"Früher zum Training"

Trotz aller plausiblen Erklärungen bleibt auch Müller nicht verborgen, dass seine kleine Talfahrt, die nicht nur an Toren, sondern auch an seinen schwankenden Leistungen messbar ist, durchaus für etwas Gegenwind sorgt: "Im letzten halben Jahr sind ein paar kritische Stimmen aufgekommen, aber da darf man sich nicht verrückt machen lassen", sagt der 22-Jährige.

Verrückt machen lässt sich Müller nicht, ohne Reaktion bleibt der Bayern-Profi Nummer 25 aber ebenfalls nicht. Wie er versucht hat, seine Torflaute zu beenden? "Ich bin nicht in den Kraftraum gerannt, habe Eiweißtabletten eingeworfen und wollte einen Ironman laufen." Aber: "Ich bin vielleicht eine halbe Stunde früher zum Training gekommen."

Am Fleiß und an der vorbildlichen Einstellung des Thomas Müller hat sich seit dem ersten Tag nichts verändert. Er gehört immer noch zur Sorte Musterprofi, der im Training Gas gibt, den Fans zur Verfügung steht und außerhalb des Rasens eine außergewöhnlich positive Erscheinung ist. Dennoch hat sich bei und um Müller etwas verändert.

Ein erster Wink im Sommer

Da ist zum einen sein Status beim Trainer. "Der Müller spielt bei mir immer", sagte Müller-Entdecker und Förderer Louis van Gaal gebetsmühlenartig und nahm seinen nimmermüden Offensivallrounder nie aus der Startelf. Bei Jupp Heynckes ist das hohe Ansehen nicht anders. Als der Otto-Normal-Verbraucher einen Thomas Müller noch nicht kannte, wollte Heynckes 2009 den jungen Müller zu Bayer Leverkusen holen, scheiterte aber am Nein von Hermann Gerland und der Bayern-Bosse.

Dennoch ist Müller nicht ganz so unantastbar wie zu van-Gaal-Zeiten. Einen ersten Wink gab es schon früh in der Saison, als Heynckes im für den Rest der Saison sehr wichtigen Champions-League-Qualifikationsspiel gegen den FC Zürich Müller auf die Bank setzte, um Toni Kroos den Vorzug zu geben.

Weitere Joker-Rollen folgten später auch gegen Villarreal oder im Hinspiel beim FC Basel, als Arjen Robben trotz Formschwäche Rechtsaußen den Vorzug bekam.

"Hoppla!"

Nicht einfacher wird die Situation, wenn Bastian Schweinsteiger gänzlich spielfit ist und mittelfristig in die Startelf rutschen wird. Der vermeintlich größte Konkurrent Robben hat sich mit starken Auftritten für die Niederlande in England und für Bayern gegen Hoffenheim nachdrücklich frei gespielt und dürfte erst einmal seinen Platz sicher haben. Das Standing von Toni Kroos bei Heynckes ist bekannt.

Zweifellos ist Müller zuzutrauen, sich auch bei dieser erheblichen Konkurrenzsituation zu behaupten. Aber die Situation ist sicher eine andere als zuvor: "Wenn der Trainer Gründe hat, einen anderen spielen zu lassen, dann sitzt man natürlich erstmal da: Wieso jetzt? Oder: Hoppla!", sagt Müller.

Klar ist, dass der Münchener einen Wandel durchmacht: Vom unbekümmerten Shootingstar, den einst Diego Maradona nicht erkannte und vom Pressepodium verscheuchen wollte und dieser später jenen Maradona aus der WM schoss und Trophäe und Auszeichnung in Serie erhielt, zum gestandenen Bundesliga-Profi, der nun auch die unbequemen Seiten kennengelernt.

Müller will den FC Bayern "prägen"

Ganz geräuschlos verläuft dieser Wandel nicht ab. Ein Zufall ist es wohl nicht, dass Müller bei beiden medienwirksamen Auseinandersetzungen von Bayern-Profis jeweils einer der Duellanten war: in Basel in der Kabine mit Kumpel Holger Badstuber, in Leverkusen mit Jerome Boateng.

Auch mit Robben geriet er einst aneinander - sogar zu Handgreiflichkeiten kam es. Als Robben zuletzt intern und extern große Kritik einstecken musste, war es aber Müller, der den Niederländer öffentlich den Rücken stärkte. "Das hatten wir ja schon öfter, dass diese Egoismus-Vorwürfe so nicht stimmen, weil es zu Arjen Robbens Spiel gehört, dass er im Dribbling sehr stark ist", sagte Müller und ergänzte: "Und Dribbling ist meistens alleine."

Den Schwierigkeiten zum Trotz versucht sich Müller in der neuen Sphäre der Wahrnehmung zurecht zu finden. Nicht anders war es bei Mannschaftsleader Schweinsteiger, bei dem sich Müller sicher Erfahrungswerte abholen könnte. Schweinsteiger ist inzwischen trotz Philipp Lahm, Arjen Robben und Franck Ribery die unersetzliche Säule des Konstrukts FC Bayern.

Müller will diesen Weg ebenfalls gehen: "Ein Spiel, eine Saison kann jeder einmal was leisten. Ich will hier etwas prägen." Der Kampf gegen aktuelle Widrigkeiten wird ihm dabei helfen. Dann wird er eines Tages doch der Ironman.

Thomas Müller im Steckbrief

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