Toni ist endlich jemand

Von Fatih Demireli
Die deutsche Fußball-Zentrale auf einem Fleck: Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira
© spox

Toni Kroos mausert sich beim FC Bayern zu einer unverzichtbaren Größe. In der Abwesenheit bzw. in der Wiederfindungsphase Bastian Schweinsteigers ist der Mittelfeldspieler in seiner Rolle als Taktgeber regelrecht aufgeblüht. Das Spiel gegen Real Madrid war der letzte Beweis: Kroos ist endlich jemand beim FCB. Leidtragender des Kroos-Aufstiegs ist Thomas Müller.

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Nichts war da mit Schnick-Schnack-Schnuck.

Der Gegner hieß nicht Hertha BSC und es stand nicht 2:0 nach 19 Minuten, so dass Franck Ribery, Arjen Robben und Toni Kroos wie beim Gastspiel im Berliner Olympiastadion Mitte März mit Hilfe von Stein, Schere und Papier den Freistoß-Schützen hätten auserkoren können.

Weil der Gegner Real Madrid hieß, ein Großteil der Fußball-Welt zusah und es um den Einzug ins Finale der Champions League ging, war dieser Freistoß kurz vor der Halbzeit nicht unwesentlich. Er war den möglichen Freistoßschützen des FC Bayern sogar so wichtig, dass Robben Ribery beinahe an die Gurgel ging, um schießen zu dürfen.

Geschossen hat aber weder der Niederländer noch der Franzose, sondern Kroos.

Takt-, Ideen- und Passgeber beim FC Bayern

Alleine diese Szene beweist, welche Rolle der 22-Jährige inzwischen beim FC Bayern München eingenommen hat. Vor einem Jahr hätte sich Kroos im Zwist um den ruhenden Ball noch artig von der Unfallstelle entfernt, um den Stars die Bühne zu überlassen: Obwohl er ganz sicher ein besserer Freistoß-Schütze ist, als jeder andere Profi im Kader des Rekordmeisters. Jetzt darf Kroos schießen - und er darf sogar drüber schießen, ohne sofort in Frage gestellt zu werden.

Der Auftritt beim 2:1 gegen Real Madrid war der letzte Beweis: Toni Kroos ist endlich jemand beim FC Bayern. Es sind nicht nur die Standards, die Kroos ausführen darf und eine davon ganz nebenbei für die 1:0-Führung durch Franck Ribery sorgte, die Kroos' Entwicklung aufzeigen. Die Nummer 39 war einmal mehr der Takt-, Ideen- und Passgeber im Herzen der Bayern-Zentrale.

Als die Bayern in der Anfangsphase noch nicht so genau wussten, wie man das forsch beginnende Real Madrid greifen soll, war Kroos längst auf der Höhe und zog ein sehr sauberes Passspiel auf, das schließlich Bayern die Sicherheit gab, um die herrschende Feldüberlegenheit zu erspielen.

Vertrauen von Heynckes

"Ich habe viel Vertrauen vom Trainer und dadurch die Sicherheit, die ich für mein Spiel brauche", begründet Kroos seine Entwicklumg.

Sein Spiel tut dem FC Bayern gut. Kroos versteht es, durch das neue Selbstvertrauen seine überragende Balltechnik gewinnbringend einzusetzen. Heynckes fordert anders als Vorgänger Louis van Gaal nicht extremen Ballbesitz ein, sondern sauberes Umschalten mit dem Ball - sowohl über die Außen, aber auch und besonders über das Zentrum: Kroos ist dafür der richtige Mann.

In München fixierte sich Real zudem zu sehr darauf, Robben und Ribery aus dem Spiel zu nehmen. Letzterer wurde bei Ballbesitz phasenweise dreifach gedeckt. Kroos übernahm spielend und liebend gerne die Aufbauarbeit - er bekam den ersten Ball, oft auch den letzten.

Kroos ersetzt Schweinsteiger adäquat

Normalerweise setzt unter dieser Vorgangsbeschreibung Bastian Schweinsteiger seine Unterschrift. Allerdings hat der Mittelfeldspieler in dieser Phase zu sehr mit sich selbst zu kämpfen, als dass er die tragende Rolle bei den Münchenern ausfüllen könnte. Schweinsteiger ist nach zwei langen Verletzungspausen noch nicht auf dem Level, dass es für Spiele wie gegen Real reicht.

Trainer Jupp Heynckes sah das Problem schon vor einer Woche beim Gastspiel gegen Borussia Dortmund und beorderte Schweinsteiger auf die Bank - auch mit dem Wissen, dass Kroos Schweinsteiger inzwischen adäquat ersetzen kann.

Deswegen nahm Heynckes auch ohne Bedenken Schweinsteiger gegen Madrid nach 60 Minuten heraus. Kroos übernahm dann Schweinsteigers Platz auf der Sechs.

Gutes Zusammenspiel mit Ribery

Klar ist, dass Kroos sowohl als Sechser als auch als Zehner den Bayern weiterhelfen kann. Klar ist aber auch, dass er als Offensiver wertvoller ist. Für Gomez, der mehr Zuspiele nach seinem Geschmack bekommt, als von Ribery und besonders von Robben. Aber auch für Ribery, dessen spielerisches Wesen mit dem von Kroos quasi verbrüdert ist.

Die offiziellen Zahlen des Real-Spiels belegen dies: Ribery spielte Kroos 13 Pässe zu, ebenso viele kamen von Kroos zurück - Höchstwert mit einer sehr guten Quote in Sachen Passgenauigkeit. 75 Prozent aller Kroos-Pässe fanden einen Abnehmer. Ein überragender Wert für einen Zehner.

"Toni hat sich enorm wei­terentwickelt, bei mir spielt er auf seiner idealen Position im vorde­ren Mittelfeld. Ich hatte immer Ver­trauen zu ihm und wusste, dass er bei mir diese Fortschritte machen würde. Ich sehe seine unbegrenz­ten Möglichkeiten. Mit dem nötigen Vertrauen ist er explodiert", lobte Heynckes zuletzt seinen Schüler, den er schon seit gemeinsamen Leverkusener Zeiten kennt.

Leidtragender: Thomas Müller

Die Leistungs- und Wertsteigerung Kroos' macht besonders einen Spieler zum Leidtragenden: Thomas Müller. War unter van Gaal noch Toni Kroos erster Streichkandidat, wenn Ribery, Robben, Schweinsteiger, Müller und eben Kroos fit waren, muss sich nun Müller damit anfreunden, dass er zum festen Rotationspool des Trainers gehört.

Dass Heynckes gegen Real Kroos ranließ und Müller auf die Bank setzte, nimmt Letzterer zumindest öffentlich mit Humor: "Das Gefühl, dass ich erstmal draußen saß, war eher medium", so Müller. Es war aber vor allem ein Signal, dass er sich jetzt steigern muss. Die Saison 2011/2012 ist sicherlich nicht die beste, die der junge Offensivmann spielt. In der aktuell entscheidenden Phase wäre ein Formanstieg förderlich - auch im Hinblick auf die EURO 2012, wo die Konkurrenz nicht geringer ist.

Gegen Madrid war Joachim Löw im Stadion, um neben der großen Bayern-Fraktion auch Mesut Özil und Sami Khedira unter die Lupe zu nehmen. Was er sah, war ein guter Özil in der Anfangsphase sowie ein durchschnittlicher Khedira, der nicht nur in zwei Laufduellen mit Kroos deutlich zweiter Sieger war.

Konkurrenzkampf in der Nationalmannschaft

Der Konkurrenzkampf um die Plätze der Löw-Elf ist längst entbrannt - hochklassige Duelle wie diese fließen in die Bewertung Löws ein. Und der Bundestrainer äußerste zuletzt eine hohe Meinung über Kroos: "Wie Toni den Ball verteilt, wie er ihn behauptet, ist sehr gut. Er ist technisch exzellent und hat zuletzt eine tolle Entwicklung genommen. Ich bin sehr zufrieden mit ihm."

Löw favorisiert im Mittelfeld wohl die bayerische Variante mit einem gesetzten Schweinsteiger, dazu ein defensiv ausgerichteter Typ wie Khedira. Davor Mesut Özil, Lukas Podolski und Thomas Müller. Kroos' Chancen, Löws Pläne über den Haufen zu werden, stehen nicht schlecht.

Der Youngster nimmt das Lob von Heynckes, der ihn jüngst mit Wolfgang Overath und Günter Netzer verglich und von Löw wohlwollend wahr, weiß aber auch, dass es ganz schnell wieder in die andere Richtung gehen kann, wenn er die Nachhaltigkeit seiner zuletzt gezeigten Leistungen verliert.

"Es läuft gut", sagt Kroos, "und wenn es läuft, sollte man es nicht aufhalten. Ich bin mit 22 noch nicht am Ende meiner Entwicklung. Das Gesamtpaket Toni Kroos kann noch besser werden." Besser hätten es seine Trainer nicht ausdrücken können.

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