Babbel: "Ich stehe auf Verrückte"

Von Interview: Haruka Gruber
Markus Babbel ist seit Februar 2012 bei 1899 Hoffenheim tätig
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SPOX: Sie verpflichteten Tim Wiese und sprachen öffentlich über das Interesse von Real Madrid und den Mailänder Klubs an ihm, um nach außen die Ambitionen und die Attraktivität von Hoffenheim zu unterstreichen. Merken Sie bereits, dass Ihr Klub anders wahrgenommen wird?

Babbel: Die Wahrnehmung der anderen interessiert mich nicht. Wichtig war mir nur meine eigene Wahrnehmung von Hoffenheim - und die war mir entschieden zu grau. Ich finde, dass Hoffenheim für das bisher Erreichte nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhält: Wir besitzen ein fantastisches Trainingszentrum, ein fantastisches Stadion und ein fantastisches Publikum - dennoch war alles grau. Daher habe ich gesagt: Wir brauchen mehr Farbe! Deswegen Tim Wiese: Er verkörpert das höchste Maß an sportlicher Qualität und ist darüber hinaus ein Typ. Das hatte hier lange gefehlt: Typen, die etwas unangenehm sein können, dafür aber wissen, wie Titel zu gewinnen sind und wie es im Geschäft ganz oben zugeht.

SPOX: Sie arbeiteten als Spieler und Trainer in Stuttgart bereits mit Jens Lehmann zusammen. Ebenfalls Torwart, ebenfalls umstritten und polarisierend. Was bringen solche Verrückten, wie Sie sie beschreiben?

Babbel: Ich stehe einfach auf Verrückte. Ich hatte das Glück, mit vielen solcher Charaktere in einer Mannschaft zu spielen - nur diese Spezies stirbt leider langsam aus. Diese positiv Verrückten haben immer einen persönlichen Anspruch und bringen von sich aus eine unglaublich hohe Eigenmotivation mit. Jens Lehmann hat bis ins hohe Profialter extrem professionell gearbeitet und ging extrem motiviert in jedes Spiel, Tim Wiese verkörpert genau dieses Immer-Gewinnen-Wollen. Das habe ich in Hoffenheim vermisst. Daher musste ich nicht zweimal überlegen, als sich die Chance mit Tim ergab.

SPOX: Die eine oder andere bunte Überschrift nehmen Sie in Kauf?

Babbel: Solche Storys machen einen Verein doch nur interessant. Es gibt nichts langweiligeres, wenn gar nichts los ist. Was ich nicht mag: Wenn Kollegen angegriffen werden. Tim weiß, dass alles im Rahmen bleiben soll. Wenn er lustige Schlagzeilen liefert, für die er bekannt ist, sehe ich keinerlei Probleme.

SPOX: Sie betonen die Wichtigkeit von unbequemen Spielern wie Wiese. Wie schwer ist es, gleichzeitig mit sensiblen Spielern wie Sebastian Rudy und Ryan Babel umzugehen?

Babbel: Das ist kein Widerspruch. Wir brauchen keine elf Häuptlinge, elf Tim Wieses. Vielmehr geht es um die Mischung. Ich erhoffe mir, dass ein Sebastian Rudy oder ein Ryan Babel jetzt ihre wahre Klasse zeigen, weil sie wissen: In der Mannschaft sind zwei, drei Neuzugänge, die mir Halt geben. Dieses Gefühl der Sicherheit ist auf dem Platz enorm wichtig.

SPOX: In Stuttgart hieß es, dass Sie als Trainer ein zu weicher Spielerversteher seien. In Berlin traten sie tougher auf und veröffentlichten gleich zu Beginn die Fitnesswerte der Spieler, weil diese so miserabel gewesen waren. Allgemein gefragt: Wie wichtig ist Ihnen Ihr eigener Ruf?

Babbel: Wichtig ist nur der Ruf bei denen, mit denen ich direkt arbeite. Damit sie wissen, wie ich ticke und welchen Anspruch ich verfolge. In Stuttgart war ich zunächst Co-Trainer und das Bindeglied zum Chefcoach. Dass die Spieler mich weiterhin duzten, fand ich logisch, solange ich respektiert werde - und das wurde ich. Sonst hätten wir uns niemals in der Rückrunde von Platz elf auf drei verbessert. Im Nachhinein weiß ich, dass ich nicht ganz so konsequent war und dass es mir zum Verhängnis wurde. In Berlin fand ich eine komplett andere Lage vor: Bis auf wenige Ausnahmen kannte ich keinen Spieler persönlich, entsprechend bestand eine andere Distanz und ich konnte mich anders verhalten. Dennoch: Mein Trainingstil ist im Vergleich zu früher nicht so anders, wie viele vermuten.

SPOX: Als Sie in Stuttgart zum Chefcoach aufstiegen, nahmen Sie sich auf Anraten von Freunden Ihren Ohrstecker raus, um seriöser zu wirken. Haben Sie sich mittlerweile von derlei Gedanken frei gemacht?

Babbel: Heute frage ich mich auch, ob das nötig war. Als mir sehr enge Vertraute den Tipp gaben, dachte ich mir: Wenn Ihr das sagt, dass es mir nicht gut tut, nehme ich den Stecker halt raus. Klar ist: Es gehört zum Trainerjob dazu, sich ein Stück weit nach außen zu verkaufen. Aber man darf sich nicht verbiegen und man muss authentisch bleiben. Denn nur mit Authentizität bringt man etwas rüber.

SPOX: Dass Sie konsequent sein können, bewiesen Sie als Spieler: Im Jahre 2000 traten Sie nach dem EM-Vorrunden-Aus aus der Nationalmannschaft zurück, verließen den FC Bayern und wechselten nach Liverpool. Ein kompletter Neubeginn mit 27 Jahren. Was haben Sie aus der Episode gelernt?

Babbel: Dass ich meinem Bauchgefühl vertrauen soll. Die Entscheidung, die Zelte in Deutschland komplett abzubrechen, fiel leider viel zu spät. Es war das Beste, was ich machen konnte. Ich wusste schon vor der EM, dass das Turnier ein einziges Desaster wird. Dass ich dennoch derjenige war, der zum Sündenbock gemacht wurde, obwohl ich im letzten Spiel gar nicht mehr gespielt hatte, machte nicht wirklich Spaß. Ich bekam damals nur auf die Fresse. Das war eine wichtige Schule, woraus ich viel gelernt habe. Mich hätte es nicht besser treffen können, als Deutschland hinter mir zu lassen und nach England zu gehen.

SPOX: Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm wurden ebenfalls bei den Bayern groß und sind nun in einem ähnlichen Alter wie Sie damals. Würden die beiden mit einem Wechsel ins Ausland einen ähnlichen Sprung machen?

Babbel: Ein Wechsel ist nicht mehr zwingend. Einerseits, weil anders als zu meiner Zeit die Spieler aus der eigenen Jugend gutes Geld verdienen. Andererseits, weil Bayern zu den sechs besten Klubs der Welt gehört. Es gibt Manchester United, Real Madrid, FC Barcelona, die beiden Mailänder Klubs - und dann ist die Liste schon vorbei. Daher stellt sich nur eine Frage: Wovon träumen Philipp und Bastian? Von Barca? Von Real? Von Bayern? Ich hatte schon als Kind von England geträumt, daher kam für mich nur die Premier League in Frage.

SPOX: Wie oft denken Sie an eine Rückkehr nach England und Liverpool? In Hoffenheim können Sie das englische Manager-Modell bereits proben.

Babbel: England ist ein absoluter Traum. Und der Traum schlechthin ist es, beim FC Liverpool als Manager zu arbeiten. Ein außergewöhnlicher Klub, bei dem ich eine außergewöhnliche Zeit erlebt habe. Allerdings ist mir bewusst: Um dahinzukommen, muss ich Erfolge nachweisen. Brendan Rodgers wurde von Liverpool verpflichtet, weil er in Swansea fantastische Arbeit geleistet und einen guten Fußball hat spielen lassen. Es ist schön, dass in England nicht nur die alte, sondern die junge Garde eine Chance erhält. Einen ähnlichen Erfolg möchte ich in Hoffenheim erreichen, indem ich hart arbeite und einen neuen Anspruch in den Verein bekomme. Der Rest kommt irgendwann von alleine.

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