"Jetzt wissen wir alle, woran wir sind", sagte Aaron Hunt am Freitagabend. Werder Bremen hatte ein paar Minuten davor mit 1:3 beim FC Augsburg verloren und den Gastgebern den ersten Saisonsieg überhaupt gegönnt.
Es war der vorläufige Tiefpunkt einer schleichenden Bremer Talfahrt und ein Beleg dafür, dass dieses Team auch in dieser Saison nicht eindeutig auszuweisen ist: Als eine funktionierende oder eben nicht funktionierende Mannschaft.
Unerfüllte Hoffnungen
Als Werder in die Saison gestartet war, Mitte August beim deutschen Meister Borussia Dortmund, hatte der Klub schon einige Turbulenzen hinter sich. Dem Pokal-Aus beim Drittligisten Preußen Münster - das zweite in Folge in der ersten Runde gegen einen niederklassigen Verein - ging hinter den Kulissen die Diskussion um den neuen Haupt- und Trikotsponsor Wiesenhof voraus.
Von beiden Ereignissen ließ sich das Team in Dortmund aber nicht beirren und zeigte gegen einen noch nicht austarierten Gegner die beste Leistung einer Bremer Mannschaft in diesem Kalenderjahr. Das weckte früh Hoffnungen. Hoffnungen auf einen neuen Geist im Verein, auf sportlichen Erfolg oder wenigstens ansehnlichen Fußball.
Spätestens nach der Partie in Augsburg dürfte klar sein: Das gewünschte Unterfangen wird noch ein Weilchen auf sich warten lassen. Die Mannschaft präsentiert sich wenig konstant. Neben dem Dortmund-Spiel zeigte Werder auch in Hannover eine starke Leistung. Die restlichen fünf Spiele decken die Palette von durchschnittlich (HSV, Stuttgart, Bayern) über schwach (Freiburg) bis ganz schwach (Augsburg) ab.
Eine Abart der Mittelfeldraute
In Bremen wird deshalb mal wieder über das Spielsystem diskutiert und zumindest etwas kleinlauter auch über Trainer Thomas Schaaf. Der hat sich vor der Saison zur Abkehr von der Mittelfeldraute entschlossen - um jetzt eine Abart der Mittelfeldraute praktizieren zu lassen. Jedenfalls, was die defensive Grundsicherung der Mannschaft angeht.
Schaaf schickte in sechs von sieben Ligaspielen Zlatko Junuzovic, Kevin de Bruyne, Aaron Hunt, Marko Arnautovic und Eljero Elia von Beginn an aufs Feld. Nur in Hannover fehlte Junuzovic leicht angeschlagen und wurde durch Philipp Bargfrede ersetzt und in Dortmund musste De Bruyne in Ermangelung eines echten Stürmers ganz vorne aushelfen.
In der Offensive zeigt das Quintett Esprit. Werder spielte phasenweise schnellen, flexiblen Fußball und erinnert vage an beinahe längst vergessene Zeiten. Was allerdings sehr real an vergangene Zeiten erinnert, ist das Ungleichgewicht zwischen Defensive und Offensive.
Junuzovic wird unfreiwillig zum Wasserträger
Während einige die eigene Hälfte so gut es geht meiden, um ja keine Defensivarbeit verrichten zu müssen, laufen sich andere buchstäblich die Hacken wund, um den Laden wenigstens einigermaßen zusammenzuhalten. Junuzovic fällt dabei die undankbare Rolle des Wasserträgers zu.
Der Österreicher ist eigentlich kein Sechser, dafür fehlt ihm in den Zweikämpfen der Biss und sowohl die Geschwindigkeit als auch die Routine für die Position. Er muss sich vor der Abwehr aber notgedrungen verdingen, weil Schaaf schon länger nicht mehr auf Bargfrede setzt und es keine Alternative gibt.
Weit über zwölf Kilometer reißt Junuzovic pro Spiel ab, um die Löcher zuzulaufen, die die Kollegen hinterlassen. Am Freitag in Augsburg kam er auf 12,42 Kilometer Laufleistung. Der beste Augsburger, in Daniel Baier auch ein Spieler auf der (Doppel-)Sechs und gemeinhin Augsburgs Laufwunder im defensiven Mittelfeld, hatte "nur" einen Kilometer weniger geschafft.
Probleme unabhängig vom Personal
Die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen passen nicht, die Viererkette offenbart Probleme zumindest auf den Außenpositionen und dann wären da noch eklatante individuelle Fehler. Alles schon mal gehört.
"Es geht nicht, wie wir dieses Spiel angegangen sind. Und das ist keine Frage von Erfahrung", wollte Geschäftsführer Klaus Allofs das junge Durchschnittsalter seiner Mannschaft erst gar nicht gelten lassen. Aber auch Allofs versteifte sich in seiner Analyse zu sehr auf dieses eine frühe Gegentor und ging auf die danach folgenden und in anderen Spielen davor schon offenkundigen Unzulänglichkeiten nur dürftig ein.
Probleme, die man in Bremen seit zwei Jahren kennt. Völlig egal, ob die Spieler nun Wiese, Mertesacker, Naldo, Frings, Marin, Pizarro hießen. Oder eben Mielitz, Sokratis, Prödl, Junuzovic, Elia, Petersen. Das Personal hat Werder fast komplett ausgetauscht. Von der Stammelf damals ist Clemens Fritz übrig geblieben, der Rest ist abgewandert oder wurde verkauft. Geblieben sind die typischen Probleme.
Torhüter Mielitz in der Kritik
"Wir spielen so, wie Werder immer spielt", hat Torhüter Sebastian Mielitz deshalb die Lage zusammengefasst. Mielitz steht selbst in der Kritik. Der Nachfolger des ewigen Tim Wiese kommt in den Bewertungen bis jetzt über den Status des durchschnittlichen Bundesligakeepers nicht hinaus, allenfalls liegt er nach einigen sehr unglücklichen Aktionen und Patzern eher drunter.
Mielitz ist seit sieben Jahren im Verein und damit einer der dienstältesten Profis im Kader. Seine Beschreibung der momentanen Situation spielt denen in die Karten, die schon seit geraumer Zeit eine Änderung auf dem Trainerposten wünschen.
Schaaf wird von den alten Geistern eingeholt
Thomas Schaaf hat sich in der Sommerpause gewandelt. Der Trainer gibt sich offener als in all den Jahren davor. Vielleicht wollte er damit auch den neuen Stil der Mannschaft unterstreichen. Allmählich holen ihn aber die alten Geister wieder ein.
Werders Mannschaft hat ein veritables Einstellungsproblem. Anders ist es nicht zu erklären, wie man gegen Topmannschaften wie Dortmund, Hannover und die Bayern größtenteils konzentriert und immer engagiert zu Werke geht und dann gegen Stuttgart, Freiburg oder Augsburg überheblich wirkt, aufreizend und fahrig.
Auch das ist nicht neu. Und es fällt in Schaaf Kompetenz- und Aufgabenbereich, daran etwas zu ändern. "Wir bekommen es nicht hin, miteinander zu agieren", sagt er und stellt sich mit der Aussage auch unweigerlich selbst ins Achtung.
Weniger als es die Summe der Einzelteile
Mitunter kann er auch nur schwer kalkulieren: Spielt seine Mannschaft heute mit gefühlten zwölf Spielern, weil einzelne Ausnahmekönner einen guten Tag erwischt und auch so richtig Lust haben. Oder doch nur mit zehn Mann. Weil einer oder mehrere die Hälfte der ihnen aufgetragenen Aufgaben missachten und der Mannschaft so nie und nimmer helfen können.
Das Vabanquespiel ging in den letzten Wochen zu oft schief. Es hilft alle Qualität im Kader nichts, wenn die Spieler nicht kapieren, dass das Team über dem Einzelnen steht. Oder eben der Trainer mit personellen oder taktischen Konsequenzen für Veränderungen sorgt. In seiner Gesamtheit ist Werder jedenfalls derzeit weniger als es die Summe der Einzelteile verspricht.
"Wir müssen jetzt schnell zeigen, dass wir es besser können. Denn wenn wir nur davon erzählen, werden wir keinen überzeugen", sagt Allofs. Der Satz könnte auch original aus einer der größeren und kleineren Krisen der letzten Jahre entlehnt sein. In Bremen weiß derzeit niemand so recht, woran Werder ist. Bisher hat sich der Klub nicht aus der Dauerschleife befreit.
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