Die Vorbereitungsphase auf die Spielzeit 2013/2014 lief für Julian Schieber von Borussia Dortmund alles andere als optimal. Deshalb spielte der Stürmer in der neuen Saison bislang auch noch keine Sekunde für den BVB. Im Interview spricht der 24-Jährige über Training mit dem Meterstab, die Gedanken an einen Wechsel und die SPOX-App.
SPOX: Herr Schieber, dank der Baumschule Ihrer Eltern haben Sie im Kollegenkreis bereits den einen oder anderen Weihnachtsbaum an den Mann gebracht. Was aber nicht so bekannt ist: Sie haben ein Jahr lang eine Ausbildung im Landschaftsgartenbau absolviert.
Julian Schieber: Mir wurde der grüne Daumen in die Wiege gelegt, daher hat mich diese Ausbildung einfach interessiert. Man muss wissen: Der Beruf Gärtner ist in sieben Fachrichtungen unterteilt, unter anderem die der Baumschulenarbeit. Ich wollte einen etwas kreativeren Weg einschlagen. Der Landschaftsgartenbau ist wie eine richtige Baustelle. Ein freundschaftlicher Betrieb in der Nähe hat mich dann aufgenommen.
SPOX: Sie mussten die Ausbildung nach einem Jahr aber wieder abbrechen, da sie sich nicht mit dem Fußball vereinen ließ.
Schieber: Ich hätte das gerne noch länger gemacht, bin in dieser Zeit aber zur A-Jugend des VfB Stuttgart gewechselt und dann haben sich die Trainingseinheiten oft überschnitten. Ich bin häufig nach acht, neun Stunden auf der Baustelle noch mit dem Meterstab in der Hose zum Training gefahren. Körperlich war ich so ausgelaugt, dass ich keine Leistung mehr bringen konnte. Daher hat mich der VfB gebeten, eine Lösung zu finden. Mir wurde die Kooperationsschule angeboten, in der ich meine Fachhochschulreife abgeschlossen habe.
SPOX: Längst abgeschlossen ist auch Ihre Eingewöhnungsphase in Dortmund. Sie sind jetzt seit 14 Monaten beim BVB. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?
Schieber: Es war für mich ein wirklich spannendes Jahr. Ich bin erwachsener geworden und habe Erfahrungen auf ganz hohem Niveau gesammelt. Der riesige Konkurrenzkampf war mir ja schon bei meinem Wechsel bewusst. Der Trainer hat mir im ersten Jahr dennoch viel Vertrauen geschenkt. Ich hatte viele Einsätze, durfte auch im Champions-League-Finale reinschnuppern.
SPOX: Womit hatten Sie in den ersten paar Monaten die größten Probleme?
Schieber: In Nürnberg beispielsweise war der Aufwand in taktischer Hinsicht natürlich ein ganz anderer. Wir haben eher defensiv und auf Konter gespielt. Beim BVB stellen sich jetzt viele Gegner hinten rein und wir müssen das Spiel selbst machen. Das Angriffspressing hat hier höchste Priorität, dazu ist der Laufaufwand ein ganz anderer. Da habe ich zunächst schon gut pumpen müssen. Es hat mehrere Wochen gebraucht, bis ich auf dem nötigen Fitnesslevel angekommen bin.
SPOX: Für Sie stehen fünf Tore zu Buche. Diese Quote hätten Sie problemlos verdoppeln können, wenn Sie alle Torchancen genutzt hätten. Denken Sie, dass Ihre Lage und Wahrnehmung nun eine andere wäre, wenn die Statistik bei zehn statt fünf Toren stünde?
Schieber: Es gibt doch keinen Stürmer, der eine hundertprozentige Ausbeute hat. Aber natürlich kann ich trotzdem nicht zufrieden sein, das eine oder andere Tor mehr hätte es schon sein können. Dann hätte es in der Bewertung auch eher geheißen, dass ich stets gefährlich bin.
SPOX: Zumal Sie ja auch kurz nach Ihren zwei Toren gegen Augsburg der Held gegen Malaga hätten werden können, wenn der Ball bereits nach Ihrer Berührung den Weg ins Tor gefunden hätte.
Schieber: Im Spiel selbst war ich voller Adrenalin und Emotionen, so dass ich keine Sekunde daran gedacht habe. Letztlich war es einfach nur weltklasse, dass wir das Spiel als Mannschaft noch drehen konnten. Da gab es nicht den einen Helden. Für mich war es natürlich super, dass ich einen Anteil daran hatte. Und vielleicht bin ich ja beim nächsten Mal derjenige, der noch die Fußspitze hinhält. Es ist das Schöne am Fußball - in jedem Spiel kann dein Moment kommen und wenn du ihn nutzt, dreht sich der Wind schnell in deine Richtung. Genau darauf arbeite ich derzeit hin.
SPOX: Als Stürmer ist es manchmal normal, dass man etwas teilnahmslos in der Luft hängt. Haben Sie das Gefühl, grundsätzlich noch stärker am Dortmunder Offensivspiel teilnehmen zu müssen?
Schieber: Als Spieler, der von der Bank kommt, will man in der kurzen Einsatzzeit so viel wie möglich bewegen. Natürlich ist es ein Problem der Position, hin und wieder nur wenig in Erscheinung treten zu können. Es besteht aber wiederum eigentlich immer die Chance, ein Spiel entscheiden zu können. Wenn dann die eine Szene allerdings nicht kommt, entsteht eben auch schnell der Eindruck, dass man dem Team nicht helfen kann. Das ist sozusagen die Gefahr.
SPOX: Daher weichen Sie auch immer wieder mal auf die Flügel aus, um mehr am Geschehen teilzunehmen.
Schieber: Genau, das ist in solchen Phasen des Spiels dann auch sinnvoll. Ich werde ab und zu jedoch auch bewusst für einen Außenspieler eingewechselt und Lewy bleibt vorne drin. Ich bin das auf dieser Position also auch gewohnt und fühle mich dort gut aufgehoben.
SPOX: Das Dortmunder Offensivspiel kommt mit wenigen Kontakten und einer hohen Intensität aus. Inwiefern hilft dafür auch die Arbeit im Footbonauten?
Schieber: Ich habe übrigens gerade eineinhalb Stunden im Footbonauten hinter mich gebracht (lacht). Es geht bei diesem Gerät vor allem darum, die Konzentration bei der Ballan- und -mitnahme sowie dem anschließenden Pass zu schärfen und die Genauigkeit zu verbessern. Das ist körperlich und vor allem mental richtig anstrengend. Das Ding ist ein wirklich unglaubliches Trainingsgerät, wie ich es zuvor noch nie gesehen habe.
SPOX: Stichpunkt "noch nie": In dieser Saison haben Sie noch kein Pflichtspiel absolviert, standen auch nicht immer im Kader. Sie bemängelten, dass Ihre Körpersprache während der Vorbereitung nicht optimal war. Wie meinen Sie das genau?
Schieber: Es waren vor allem die Testspiele, so hat es auch der Trainer analysiert. Ich habe nicht mit ausreichend Selbstvertrauen gespielt und leichte Fehler gemacht, die mich dann auch runtergezogen haben. Daraufhin habe ich mich im Spiel eher versteckt und versucht, unauffällig zu agieren und keine Fehler zu machen. Das bringt einen gerade in einem Testspiel aber natürlich auch nicht weiter. Gar nicht aufzufallen ist genauso schlecht, wie wenn man einfache Fehler macht.
Seite 2: Schieber über den Austausch mit Klopp und die SPOX-App
SPOX: Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?
Schieber: Wenn man als Spieler einmal in einem solchen Tief steckt und sich dann offen und ehrlich mit dem Trainer austauscht, tut das unheimlich gut. Erst recht, als ich im DFB-Pokalspiel gegen Wilhelmshaven nicht im Kader stand. Da hockst du zuhause auf der Couch und denkst: Das kann doch nicht sein, deine Mannschaft spielt und du sitzt daheim auf dem Sofa rum. Ich habe mir daraufhin viele Gedanken gemacht. Zusammen mit den Gesprächen mit dem Trainer und kontinuierlicher Arbeit hat es aber zügig geklappt, mich aus dem Loch zu befreien.
SPOX: Was hat Ihnen Jürgen Klopp genau vermittelt?
Schieber: Dass ich mich einfach nicht verstecken und - ganz wichtig - Spaß am Spiel haben soll. Es gab in den Testspielen einige Situationen, in denen ich hätte abschließen können, aber trotzdem nochmal abgespielt habe. Stattdessen: Lieber einfachmal draufhauen und die Kugel 15 Meter über den Kasten jagen, als den Ball alibimäßig nochmal nach links oder rechts rauszulegen. Das ist der gesunde Egoismus, den man als Stürmer einfach braucht.
SPOX: Letzte Saison haben Sie 36 Pflichtspiele absolviert, sieben davon von Beginn an. Wäre diese Bilanz nach der aktuellen Saison in Ordnung oder zu wenig?
Schieber: Das ist so konkret nicht zu benennen. Ich führe keine Strichliste, die ich strikt durchdefiniert habe. Ich wurde bislang noch nicht eingesetzt. So darf es natürlich nicht weitergehen. Mein Anspruch ist, das schleunigst zu ändern. Ich bin jetzt wieder dran an der Mannschaft und habe im Unterbewusstsein nochmal eine Schippe draufgepackt. Ich fühle mich richtig gut.
SPOX: Was passiert, wenn die Einsatzzeiten dennoch nicht mehr werden?
Schieber: Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass irgendwann einmal in der Zukunft der Punkt kommen könnte, an dem ich überlege, ob ich nicht einen anderen Weg gehen muss. Jetzt beginnen aber bald die englischen Wochen, die mich zuversichtlich stimmen, der Mannschaft entweder über Kurzeinsätze oder nach einer Rotation auch in der Startelf helfen zu können. Ich fühle mich hier wohl und akzeptiert, ich gebe noch lange nicht auf.
SPOX: Das Interesse anderer Vereine soll aber bereits dagewesen sein.
Schieber: Es gab die eine oder andere Anfrage, ja. Aber das ist für mich kein Thema, das habe ich immer wieder gesagt. Trotzdem bin ich jetzt aber auch froh, dass der 2. September vorbei ist. Auch wenn man sich von den Gerüchten der Transferphase abschottet, im Freundes- oder Familienkreis kommt es schon vor, dass man auf solche Dinge angesprochen wird. Es passiert häufig, dass die Leute meinen, es besser zu wissen und der Spieler selbst gar nicht mitbekommen hat, was überhaupt gerade geschrieben wurde. Das nervt natürlich, gehört aber wiederum auch zum Geschäft.
SPOX: Das kann einen doch aber auch in gewisser Hinsicht verrückt machen, oder nicht?
Schieber: Man sollte als Spieler eigentlich nie viel lesen, da man im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien eben auch schnell mal aus der Anonymität heraus mit Kritik beschossen werden kann. Ich bin SPOX-Fan, aber wenn ich über Eure App einen Artikel anwähle, die unzähligen Kommentare sehe und dann noch versucht wäre, sie beispielsweise bei einem Bericht über mich zu lesen, würde ich ja erstens nicht nachkommen und zweitens wohl tatsächlich verrückt werden (lacht). Im Internet wird von Usern manchmal über Spieler, Trainer und Vereine auf eine Art und Weise diskutiert, die nicht immer den Tatsachen entspricht. Niemand kann sich aber dagegen wehren, sonst wäre man ja den ganzen Tag damit beschäftigt, selbst zu kommentieren und die Dinge gerade zu rücken.
SPOX: Wie bewerten Sie das Feedback, dass Sie von den BVB-Fans bekommen? Da scheint es welche zu geben, die Ihnen den Durchbruch zutrauen. Andere haben Sie mittlerweile aufgegeben.
Schieber: Es ist in der Tat gespalten. Die Erwartungshaltung in Dortmund ist natürlich riesig, gerade nach den zuletzt so erfolgreichen Jahren. Ich kann versichern, alles in meiner Macht stehende zu tun, um mich und alle Schwarzgelben zufrieden zu stellen. Ob es letztlich reicht, wird die Zukunft zeigen. Ich war und bin davon aber überzeugt.
SPOX: Wenn Sie in der SPOX-App am Ende der aktuellen Saison einen Artikel über sich finden sollten, welche Überschrift hätte der dann im Idealfall?
Schieber: "Julian Schieber hat es seinen Kritiker gezeigt."
Julian Schieber im Steckbrief