Diagnose: Doppelbelastung

Von Daniel Reimann
Christian Streich (r.) und Armin Veh befinden sich mit ihren Teams auf nationaler Ebene im Formtief
© spox

Die Europa League fordert ihren Tribut: Eintracht Frankfurt und der SC Freiburg kämpfen in der Bundesliga gegen den Abwärtstrend. Dabei sind die Probleme beider Trainer unterschiedlicher Natur - und erreichen neue Dimensionen.

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"Ich glaube nicht, dass wir durch die Belastungen schwächer werden", gab sich Armin Veh selbstbewusst. "Das kannst du dir auch einreden." Stattdessen könne man sich in der Europa League "Kraft holen", so die Meinung des Eintracht-Trainers.

Er sagte es vor dem Spiel gegen Maccabi Tel Aviv. Frankfurt gewann 2:0. Drei Tage später setzte es in Gladbach eine krachende 1:4-Pleite. Und Veh resümierte: "Wir haben es heute körperlich nicht geschafft, so fit zu sein. Das war heute das erste Mal, dass wir der Europa League Tribut zollen mussten."

Überraschend kam dieser physische Einbruch für ihn jedoch nicht: "Ich habe früher damit gerechnet", stellte Veh klar.

Kraft- und Konzentrationsmängel

Über den inhaltlichen Widerspruch zwischen beiden Aussagen lässt sich schmunzelnd hinwegsehen. Dass Veh erst in der Gladbach-Niederlage zum ersten Mal negative Folgen der Doppelbelastung zu erkennen vermag, erstaunt hingegen.

Schon häufiger hinterließ die Eintracht in den vergangenen Wochen den Eindruck, dass die regelmäßigen Europacup-Partien zu Kraft- und Konzentrationsmängeln in der Schlussphase der Bundesligaspiele beitrugen.

Gegen Freiburg und Hamburg deutete sich dieses Phänomen bereits an. Beim 1:1 im Breisgau ermöglichte eine katastrophale Abstimmung bei einer gegnerischen Ecke dem eingewechselten Nicolas Höfler das Ausgleichstor. Und der HSV profitierte beim Treffer zum 2:2 durch Marcell Jansen von einer fahrlässigen Passivität der kompletten Frankfurter Hintermannschaft.

Offensichtlich wurde die Problematik spätestens gegen Nürnberg. Frankfurt dominierte den FCN nach Belieben und ging verdient in Führung. 60 Minuten lang hatte der Club keine einzige Torchance - und erwachte plötzlich zum Leben. Das Blatt wendete sich. Nürnberg gab in der Schlussphase den Ton an, traf spät zum Ausgleich und war in der Folge sogar drauf und dran, noch den krönenden Siegtreffer zu erzielen.

"Das ist auch eine psychologische Geschichte"

Auf Seiten der Frankfurter kam zu der aus den vorhergehenden Spielen bekannten Konzentrationsschwäche noch ein weiteres Problem hinzu: Kraftverlust. In der Schlussphase war die Eintracht-Elf zu den entscheidenden Zweikämpfen oft einen Schritt zu spät und in Sprints meist zweiter Sieger.

Trainer Veh sah das damals noch anders. Für ihn gab es lediglich ein Kopf-Problem: "Das ist auch eine psychologische Geschichte. Wenn man nur schaut, es dieses Mal über die Zeit zu bringen, hat man den ersten Fehler schon gemacht. Dann fehlt etwas die Lockerheit", diagnostizierte der 52-Jährige.

Eine Woche später gestand der Eintracht-Coach die physischen Probleme seines Teams schließlich ein. Der Mangel an körperlicher Frische war gegen Gladbach spätestens im zweiten Durchgang zu eklatant.

Veh wehrt sich gegen Rotation

Doch das Problem ist nicht die Doppelbelastung an sich. Es fehlt in Frankfurt einerseits an einer mit den Top-Teams vergleichbaren Kaderbreite. Vehs mangelnde Bereitschaft zur Rotation macht diese Problematik jedoch noch gravierender.

Veh hat seine Startelf. Er ändert diese nur selten - und wenn, dann nur geringfügig. Mögliche Offensiv-Alternativen wie Srdjan Lakic und Joselu fristen ein gnadenloses Ersatzspieler-Dasein. "Dass ich fünf Spieler nicht bringe, weil sie dann am Sonntag in der Bundesliga spielen sollen, davon halte ich gar nichts", wehrte sich der Eintracht-Coach noch vor dem Maccabi-Spiel gegen die Option Rotation.

Nach der Erkenntnis des vergangenen Sonntags wird er diese Haltung womöglich überdenken. Selbst Sportdirektor Bruno Hübner bemängelte die Fitness seiner Spieler öffentlich: "Wenn man zwei, drei Spieler hat, die nicht an ihrem Limit spielen können, wird es halt schwer."

Freiburg international ohne Erfolgserlebnis

Ein Problem, das man rund 250 Kilometer südlich nur zu gut kennt. Doch in Freiburg hadert man nicht nur mit der neuen körperlichen Belastung. Im Gegensatz zur dreimal siegreichen Eintracht konnte sich der SC in Europa bislang kaum Selbstvertrauen holen.

Gegen Estoril (1:1) hätte man gewinnen können, gegen Liberec (2:2) dem Spielverlauf entsprechend gewinnen müssen. Doch in einem plötzlichen Anfall von Passivität und Verunsicherung ließen die Freiburger Liberec wieder ins Spiel kommen. Freiburg kassierte binnen sieben Minuten den Ausgleich und musste nach Karim Guedes doppeltem Handspiel in Unterzahl sogar ums Remis bangen.

Vergleichbar lief es in Sevilla. Freiburg spielte ordentlich mit - bis Fallou Diagne aufgrund einer Notbremse im Strafraum glatt Rot sah und Sevilla den Strafstoß zum Führungstreffer ermöglichte. Der SC konnte aus der Europa League noch nie den Rückenwind eines Erfolgserlebnisses für den anstehenden Bundesliga-Spieltag nutzen.

"Dann tut so etwas brutal weh"

Da ist es nicht verwunderlich, dass sich die in der Europa League mehrfach zu beobachtende Unsicherheit und daraus resultierende individuelle Patzer mittlerweile auf die Bundesliga-Auftritte des SC übertragen haben. Ausgerechnet in einer Phase, in der sich die im Sommer runderneuerte Mannschaft eingespielt zu haben schien, wie die beachtlichen Unentschieden gegen Frankfurt und Bremen nahelegten.

Gegen Hamburg war es plötzlich der sonst zuverlässige Oliver Baumann, der mit seinen drei grotesken Patzern den Sieg im Alleingang herschenkte. Für die psychische Verfassung der Mannschaft eine mittelschwere Katastrophe: "Wenn man kämpft, läuft und alles versucht, dann tut so etwas brutal weh", analysierte der niedergeschlagene Matthias Ginter nach der Partie.

Sein Trainer Christian Streich sieht darüber hinaus noch eine andere Nebenwirkung der Europa League: "Bis Donnerstag auf die Europa League vorbereiten und dann ab Freitag auf Wolfsburg oder Gladbach. Vorher hatten wir eine Woche ganz akribisch das Training darauf ausgerichtet. Und jetzt so, mit einer neuen Mannschaft. Es wird ein Abenteuer", prophezeite der SC-Coach bereits im Sommer in der "Welt".

Das Abenteuer geht weiter

Gut drei Monate später verzeichnet Freiburg seinen schlechtesten Erstliga-Start seit 18 Jahren. Doch selbst in diesen schweren Tagen zeigt sich Streich bemüht, seiner Situation Positives abzugewinnen: "Wir haben jetzt keine englische Woche und können trainieren, was gut ist", sagte er nach dem 0:3 gegen den HSV.

Lange wird diese Freude jedoch nicht währen. Schon nach dem kommenden Spieltag muss der SC nach Estoril. Dann geht das Abenteuer Europa League weiter.

Freiburg - Frankfurt: Die Bilanz

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