"Vom Leben um die Eintracht gefesselt"

Von Daniel Reimann
Torsten Lieberknecht führte die Eintracht von der 3. Liga in die Bundesliga
© getty

Vom Rande des Ruins in Deutschlands höchste Spielklasse: Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht genießt Heldenstatus in Braunschweig. Im Interview spricht der Coach über die Faszination Eintracht, die unnötige Jobgarantie, Braunschweigs "romantischen Weg" und das Unwort "Konzepttrainer".

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SPOX: Herr Lieberknecht, Sie sind mittlerweile seit zehn Jahren bei Eintracht Braunschweig. Wie oft kommt es vor, dass Sie innehalten und melancholisch auf diese Zeit zurückblicken?

Torsten Lieberknecht: Das ist nur selten der Fall. Bei dem Höllentempo im Tagesablauf bleibt keine Zeit für Melancholie. Aber es freut mich zu sehen, welch tolle Entwicklung der Verein in diesem Zeitraum genommen hat, insbesondere in den letzten fünf Jahren. Es wurde viel Vertrauen aufgebaut, dadurch entsteht eine große Verbundenheit. Das weiß ich zu schätzen.

SPOX: Versuchen Sie doch einmal zu beschreiben, wodurch sich diese Verbundenheit auszeichnet.

Lieberknecht: Es ist im Profifußball nicht gewöhnlich, dass man zehn Jahre in einer Stadt ausharrt. Aber hier in Braunschweig ist man vom Leben rund um die Eintracht gefesselt. Die Eintracht prägt alle, der Verein ist seit Jahrzehnten das Thema schlechthin. Dazu kommen diese leidenschaftlichen Fans, die schon alle Höhen und Tiefen miterlebt haben. Das ist schon etwas Besonderes.

SPOX: Ist die Bindung nur beruflicher oder auch privater Natur?

Lieberknecht: Natürlich gibt es noch andere Gründe. Meine drei Kinder wurden hier geboren und ich finde Braunschweig sehr lebenswert. All das bindet einen sehr an den Verein und die Stadt. Wohlwissend, dass diese Bindung primär aus meinem Job als Trainer besteht. Doch der ist mit einer hohen Verantwortung für die Fans und die Region verbunden.

SPOX: Hat sich diese Verbundenheit mit den Fans denn in den letzten Jahren verändert?

Lieberknecht: Als ich hier noch Spieler war, war ich überrascht, wie sehr sich die Fans freuten, wenn man stehenblieb und mit ihnen sprach. Mir wurde schnell bewusst, wie wichtig den Fans Tradition und Verbundenheit waren, aber es war immer eine Distanz zu spüren. In den letzten Jahren ist es uns gelungen, das aufzubrechen. Wir wollten zeigen, dass Fußballer auch nur Menschen sind, die ihrem Beruf mit großer Leidenschaft nachgehen. Dennoch hat man als Spieler der Eintracht hier einen außergewöhnlichen Stellenwert. Man wird mehr als nur gemocht, die Ehrfurcht bei den Leuten ist riesig.

SPOX: Gerade Ihnen als Aufstiegstrainer wird eine besondere Verehrung zuteil. Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?

Lieberknecht: Ich bin bodenständig und weiß zu schätzen, welch großes Vertrauen ich hier erfahre. Jeder weiß, dass ich damit nicht hausieren gehe und dass ich dieses Vertrauen niemals missbrauchen würde. Dafür ist die Verantwortung, die ich für den Verein und die Region trage, einfach zu groß.

SPOX: Auch von Seiten der sportlichen Leitung ist das Vertrauen ungebrochen. Trotz des schlechten Saisonstarts sprach Ihnen Marc Arnold eine Jobgarantie aus. Hat sich dadurch irgendetwas für Sie verändert?

Lieberknecht: Nein, überhaupt nicht. Es war an sich gar nicht nötig. Es war zwar ein enormer Vertrauensbeweis, aber letztendlich steht dieser nur stellvertretend dafür, was wir hier in den letzten Jahren gemeinsam erarbeitet haben. Und das ist nicht alleine mein Verdienst, sondern genauso der von Marc Arnold, Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt und Präsident Sebastian Ebel. Diese Jobgarantie war aus der Situation heraus nur eine Bekräftigung des gegenseitigen Vertrauens, das hier seit Jahren herrscht. Das ist zwar nicht alltäglich, aber wir sind auch kein alltäglicher Verein. Wir sind da etwas spezieller...

SPOX: Wie würden Sie das Spezielle an Eintracht Braunschweig beschreiben? Meinen Sie das, was Sie einst als "romantischen Weg" beschrieben haben?

Lieberknecht: Diese Vorstellung des "romantischen Weges" war unserer damaligen Situation geschuldet. Wir mussten einen komplett neuen Weg gehen und wollten dem Verein ein neues sportliches Leitbild verpassen. Wir hatten nur geringe finanzielle Möglichkeiten, deshalb mussten wir vermehrt auf junge Spieler setzen, die aus niedrigen Ligen zu uns kamen. Da steckt schon ein Stück weit Romantik drin, wenn man weiß, wie es sonst im Profi-Business läuft. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dieser Weg uns in die erste Liga geführt hat. Aber momentan umschwebt uns nicht allzu viel Romantik.

Seite 2: Lieberknecht über Coaching als Kumpeltyp und das Unwort "Konzepttrainer"