SPOX: Halil, Ihr Bruder Hamit wurde in München operiert. Haben Sie Ihn schon besucht?
Halil Altintop: Ich habe ihn anfangs oft besucht, momentan wohnt er sogar bei mir. In den letzten Wochen und Monaten haben wir uns öfter gesehen als üblich, da er gesundheitliche Probleme hat. Er war öfter bei Ärzten in München zur Kontrolle. Aber mir wäre es lieber, wenn ich ihn seltener sehen würde, er aber gesund wäre.
SPOX: Wie geht es Ihm jetzt?
Altintop: Er ist auf einem guten Weg. Doch er braucht noch ein bisschen Geduld.
SPOX: Zu Beginn Ihrer Karriere definierten Sie immer wieder das Ziel, gemeinsam spielen zu wollen. Geklappt hat es nur auf Schalke. Ist der Wunsch noch aktuell oder haben Sie damit abgeschlossen?
Altintop: Natürlich will ich möglichst viel Zeit mit meinem Bruder und meiner Familie verbringen. Das wäre eine schöne Sache, wenn wir noch einmal zusammenspielen könnten. Wir verstehen uns sehr gut, das würde perfekt passen. Aber es ist kein Muss mehr.
SPOX: Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Lieber in Deutschland oder in der Türkei?
Altintop: Wenn es nach mir geht, lieber in Deutschland (lacht). Meine Familie und ich wollen in Deutschland sesshaft werden. Aber wenn es gute Optionen gibt, dann ist auch die Türkei denkbar.
SPOX: Sie waren zumindest eine Saison in einer Liga wieder vereint. Zwischen Istanbul und Trabzon liegen 1.100 Kilometer. Haben Sie sich dennoch oft gesehen?
Altintop: Ja, regelmäßig, aber meistens habe ich ihn besucht. Galatasaray war im internationalen Geschäft länger unterwegs als wir mit Trabzon, daher hatte ich ein bisschen mehr Zeit als er.
SPOX: Hat Sie dieser Schritt in die Türkei in Ihrer Karriere weitergebracht?
Altintop: Definitiv. Nicht nur sportlich, sondern auch privat. Meine Eltern stammen ja aus der Türkei. Ich wurde in Deutschland geboren und kannte das Leben in der Türkei gar nicht so gut. Ich habe die Mentalität und die Kultur viel besser kennengelernt. Wenn man in Deutschland geboren ist, orientiert man sich eher an der hiesigen Kultur. Mir hat die Zeit in der Türkei sehr gut getan. Meiner Frau übrigens auch. Sie ist Deutsche und hat so die türkische Seite viel besser kennengelernt.
SPOX: Nun hat Sie Ihr Weg nach Augsburg geführt. Hatten Sie denn noch andere Optionen?
Altintop: Ja, es gab einige Möglichkeiten. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern.
SPOX: Haben Sie sich vielleicht auch deshalb für Deutschland entschieden, weil Ihr letztes Jahr in Frankfurt nicht so gut lief und sie quasi noch eine Rechnung offen hatten?
Altintop: Nein. Ich muss niemandem etwas beweisen, außer mir selbst. Ich bin nach Deutschland zurückgekehrt, weil ich vieles an Deutschland mag. Die Stadien, die Atmosphäre, die Art Fußball zu spielen. Das hat mir schon gefehlt. In der Türkei habe ich zu schätzen gelernt, was ich hier zurückgelassen habe. Deshalb war es schnell mein Ziel, wieder in die Bundesliga zurückzukehren. Umso schöner ist es, dass ich beim FC Augsburg jetzt Teil eines Projekts bin, das sich super entwickelt und auf einem sehr guten Weg ist.
SPOX: Sie sagten, Sie wollen sich höchstens selbst etwas beweisen. In Augsburg sind sie nun Leistungsträger. Fühlen Sie sich ein Stück weit rehabilitiert?
Altintop: Nach der Zeit in Frankfurt habe ich alles gut analysiert und dann wieder abgehakt. Wenn man anfängt, über bestimmte Dinge nachzudenken, mit etwas zu hadern, ist es schnell zu spät, neue Aufgaben anzunehmen. Man hat keine Zeit, um über alles nachzudenken. Egal ob negativ oder positiv. Vielleicht hat es auch geholfen, dass ich Abstand habe und das ein bisschen verdrängt habe.
SPOX: War Augsburg genau die richtige Adresse für einen Neuanfang?
Altintop: Ja, ich war von Anfang an von diesem Projekt überzeugt. Wie die Leute an die Sache herangehen, wie realistisch sie damit umgehen. Ich habe nicht lange überlegt und es bestätigt sich zum Glück Woche für Woche, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
SPOX: Augsburg hat die vergangenen beiden Jahre den Klassenerhalt nur knapp geschafft. Auch diese Saison wird der FCA als Abstiegskandidat gehandelt. Wird Augsburg unterschätzt?
Altintop: Definitiv nicht. Denken Sie doch an das Spiel gegen Mainz. Die haben mit drei Innenverteidigern und zwei Außenverteidigern gespielt. So, wie sie auch gegen Bayern aufgetreten sind. Wir spielen zwar nicht etwa alle Gegner an die Wand, aber bis auf wenige Momente waren wir in allen elf Pflichtspielen mindestens genauso gut wie der Gegner. Auch gegen Champions-League-Teams wie in den ersten 15 Minuten auf Schalke oder gegen Leverkusen.
SPOX: Wurden unter diesen Umständen nicht zu wenige Punkte geholt?
Altintop: Natürlich kassieren wir noch Rückschläge. Uns fehlt noch die Erfahrung, wir müssen uns noch weiterentwickeln. Aber wenn man das richtig einordnet, kommt man auch immer wieder zurück in die Erfolgsspur. So wie am vergangenen Wochenende gegen Mainz.
SPOX: Sie haben die Augenhöhe in vielen Spielen angesprochen: Welche Rolle spielt Weinzierls - in der Bundesliga nicht gerade übliches - 4-1-4-1-System für den Erfolg des FCA?
Altintop: Wichtig ist in erster Linie das Gesamtpaket. In unserem Kader stehen ausschließlich Spieler, die wissen, was Teamgeist bedeutet. Jeder macht auf seiner Position enorme Fortschritte. Im Spielsystem sieht man auch, dass es eine klare Linie gibt, die von jedem verkörpert wird. Wir machen das zurzeit richtig gut, deshalb werden wir auch nicht mehr unterschätzt.
SPOX: Wie groß ist der Verdienst des Trainers, der dieses System beim FCA etabliert hat?
Altintop: Seine Handschrift ist sehr deutlich zu erkennen. Das hat man von Anfang an gesehen. Er verlangt den Spielern alles ab, Woche für Woche. Zurzeit läuft es gut, aber das muss man dem kompletten Verein anrechnen, nicht nur dem Trainer. Wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln ein FC Augsburg im Vergleich zu zahlreichen Teams, die nur knapp hinter uns oder vor uns in der Tabelle stehen, arbeitet, dann ist das schon ein gravierender Unterschied.
SPOX: Sie spielen unter Weinzierl wieder zentral. In Frankfurt oder in der Türkei mussten Sie oft auf den Flügeln ran, da lief es nicht so gut. Fühlen Sie sich in der Zentrale wohler?
Altintop: Ja, definitiv.
SPOX: Sie haben meistens hinter Stürmer Sascha Mölders in der Zentrale gespielt. Der durchlebt eine kleine Torkrise. Wie ist es, als gelernter Stürmer dahinter zu agieren, wenn der Vordermann das Tor nicht mehr trifft?
Altintop: Ich sehe keine Krise bei Sascha Mölders.
SPOX: Er hat bei elf Einsätzen erst ein Tor erzielt.
Altintop: Natürlich wird er an Toren gemessen, aber man muss das Gesamtkonstrukt sehen. Er muss genauso intensiv mitarbeiten wie der Rest der Mannschaft. Bei uns kann der Stürmer nicht einfach warten und auf die eine Torchance lauern. Das Spiel ist für alle sehr intensiv. Und es wird eng, wenn das nicht jeder verkörpert. Deshalb sollte man Sascha nicht nur an Toren messen, auch wenn er schon erfolgreichere Phasen hatte. Es sagt ja auch einiges aus, dass wir als ein eigentlicher Abstiegskandidat in den letzten Spielen fast immer getroffen haben. Meistens haben wir sogar das erste Tor gemacht. Wer dieses Tor dann schießt, ist nicht entscheidend. In unserem Spiel kann jeder treffen, fast jeder aus der Offensive hat ein Tor erzielt.
SPOX: Hat Augsburg das Potenzial, um sich wie beispielsweise Mainz 05 langfristig in der Bundesliga zu etablieren?
Altintop: Natürlich ist das als langfristiges Ziel im Hinterkopf. Aber man wird gerne mal übermütig und wird irgendwann den eigenen Erwartungen nicht mehr gerecht. Diesen Fehler sollten wir nicht machen. Wir müssen weiterhin kleine, aber sichere Schritte machen. So wie in den letzten Wochen.
Halil Altintop im Steckbrief