Die Besonderheit am Pokal ist, dass in einem Spiel alles möglich zu sein scheint. So auch an einem Dienstagabend im Dezember 2003, als es im Dietmar-Hopp-Stadion vor 6.500 Zuschauern zum klassischen Duell David gegen Goliath kam. Der damalige Regionalligist aus Hoffenheim empfing mit Bayer Leverkusen den Champions-League-Finalisten des Vorjahres. Eigentlich eine klare Sache, wäre da nicht dieses ungeschriebene Gesetz.
Als die Hausherren tatsächlich mit einer 2:0-Führung in die Halbzeit gingen, schien die Sensation konkrete Züge anzunehmen. Nach der Pause wendete sich das Blatt allerdings und der Bundesligist kam durch Dimitar Berbatov und Lucio zum Ausgleich.
Hoffenheims Trainer Hansi Flick wechselte daraufhin einen 19-Jährigen ein, der ein Jahr zuvor noch in der Oberliga bei der SG Heidelberg-Kirchheim kickte. Dieser erzielte kurz vor Schluss den Siegtreffer zum 3:2. Sein Name: Kai Herdling, Hoffenheims Pokalheld.
Zehn Jahre später trägt er noch immer das Trikot der Kraichgauer, spielt unter Coach Markus Gisdol eine starke Saison und genießt bei den Anhängern Kultstatus.
Der Weg dorthin verlief allerdings bei Weitem nicht so vorhersehbar, wie viele an jenem Abend im Dezember 2003 vielleicht vermutet hätten.
Zwischen den Welten
Nach seinem überzeugenden Auftritt im Pokal, der Klub-Mäzen Dietmar Hopp dazu veranlasste, Herdling als ersten Nationalspieler Hoffenheims zu bezeichnen, ging es für den Stürmer, der zwar an der ersten Mannschaft kratzte, sich jedoch nicht durchsetzen konnte, zwei Jahre munter zwischen Regionalliga und Oberliga hin und her.
Nichts Ungewöhnliches für einen Spieler in seinem Alter, doch mit dem Umbruch unter Ralf Rangnick und den daran gekoppelten Aufstiegsambitionen verschlechterte sich seine Position fortlaufend. Spiele in der ersten Mannschaft wurden seltener.
Trotz starker Leistungen in der Oberliga - 2007 wurde Herdling mit 26 Treffern Torschützenkönig - reichte es nicht für eine erneute Chance. "Die Konkurrenz hier im Angriff war mit Ibisevic, Obasi und Ba riesengroß, die Mannschaft hatte unglaublich großes Potenzial. Es war für mich damals absehbar, dass ich keine große Rolle spielen würde", sagte er über seinen Wechsel zu Waldhof Mannheim im Jahr 2008.
Ein Neuanfang sollte dem damals 24-Jährigen wieder sportliche Perspektiven eröffnen. Wirklich wohl fühlte er sich in seiner neuen Heimat, trotz zehn Treffern in 14 Partien, jedoch nicht. Nach nur einem halben Jahr ging es deshalb zur Rückrunde zurück nach Hoffenheim, wo Herdling zwischen 2009 und 2013 bis auf eine Ausnahme für die U 23 aktiv war.
Im März 2010 kam er bei der 0:1-Niederlage gegen Mainz 05 für 15 Minuten zu seinem ersten Bundesligaeinsatz. Es sollte für lange Zeit der einzige bleiben.
Wegbereiter statt Held
Über die Jahre lernte der bodenständige Herdling, sich mit seiner Rolle in Hoffenheim zu arrangieren. Bei der zweiten Mannschaft, für die er insgesamt 202 Spiele absolvierte und 107 Tore erzielte, war er Kapitän und Ansprechpartner für Nachwuchsspieler.
"Als Führungsspieler jungen Talenten zu helfen und sie zu unterstützen, eventuell den Sprung in die Bundesliga zu schaffen, ist eine sehr interessante Aufgabe", sagt Herdling.
Seinen Horizont als Spieler erweiterte er 2012 zudem in der Major League Soccer, als er drei Monate in Philadelphia spielte. Sein damaliger Trainer Piotr Nowak, in der Bundesliga für 1860 München aktiv, wurde jedoch entlassen und damit endete auch Herdlings Zeit in Amerika nach nur vier Spielen. Eine große Enttäuschung, da er gerne länger in den USA geblieben wäre.
Auch Abseits des Platzes entwickelte er sich weiter. Nach einer dreijährigen Ausbildung zum Bürokaufmann bei SAP begann er ein Fernstudium als Sportfachwirt. Nebenbei arbeitete er drei Jahre unter Frank Fröhling als Co-Trainer der Hoffenheimer U15. Ein späteres Engagement als Coach kann sich der 29-Jährige gut vorstellen: "Ich möchte schon früh Erfahrungen im Trainerjob sammeln und später eventuell in diesem Bereich tätig sein."
Eine zweite Chance
Zurück in Deutschland ging es wieder zur U23. Bis ihn Gisdol, unter dem er bereits in der zweiten Mannschaft aktiv war und dessen Spielkonzept er verinnerlicht hatte, zu Beginn der Saison in den Bundesligakader berief.
"Ich hatte mir eigentlich keine Hoffnungen mehr gemacht, nochmal Bundesliga zu spielen. Dass ich jetzt tatsächlich spiele, überrascht mich wirklich sehr", sagt Herdling.
Ein Hauptaspekt für die Berufung ist seine Flexibilität. Gisdol setzte ihn in der laufenden Saison auf verschiedenen Positionen ein; gegen den FC Bayern überzeugte der gelernte Offensivspieler auf der Doppelsechs.
Herdling ist taktisch gut ausgebildet, hat eine gute Übersicht, ein solides Passspiel und ein Kämpferherz. "Mir ist nichts zugeflogen, ich habe mir alles erarbeiten müssen. Ich bin deshalb auch ein bisschen stolz, dass ich mich in der Bundesliga behauptet habe", gibt er sich selbstbewusst.
Mit fast 30 Jahren will es der Pokalheld von einst nochmal wissen - und ist auf einem sehr guten Weg.
Kai Herdling im Steckbrief