Als der FC Schalke 04 am Dienstagvormittag seine erste echte Einheit im Trainingslager am Chiemsee absolvierte, waren nach wenigen Minuten dumpfe Geräusche zu hören. Der eine oder andere der zahlreichen Trainingskiebitze guckte angesichts des regnerischen Wetters vorschnell Richtung Himmel. Doch die Töne signalisierten kein baldiges Gewitter. Die Schalker Profis waren dafür verantwortlich.
Das Aufwärmprogramm rund um den Mittelkreis des Fußballplatzes des ASV Grassau sah Kräftigungsübungen mithilfe von Baumstämmen vor. Manche Spieler mussten Wasserkisten von sich stemmen, andere schnappten sich die Baumstämme - und warfen diese nach Ende der Wiederholungen aus Schulterhöhe auf den Boden.
S04: Ruhe und Konkurrenzkampf
Cheftrainer Jens Keller hatte freie Sicht. Er schaute mit etwas Abstand dem ungewöhnlichen Einfall seiner Athletiktrainer zu. Vor rund drei Wochen begann für Keller die zweite Sommer-Vorbereitung in Folge als Coach der Schalker Profis.
Für S04-Verhältnisse spielt sich das aktuelle Geschehen trotz der Baumstammeinschläge relativ geräuschlos ab. Die Kaderplanung ist fürs Erste abgeschlossen, die Neuzugänge trainieren bereits und duellieren sich mit jenen Kollegen, die große Teile der vergangenen Saison aufgrund von Verletzungen verpassten. Nach der Pechsträhne im Vorjahr könnte es auf Schalke künftig einen auf allen Positionen ausgewogenen Konkurrenzkampf geben.Jens Keller hat in seiner Zeit bei den Knappen symbolisch gesehen auch schon zahlreiche Baumstämme beiseiteschieben müssen, um den Weg gehen zu können, den er nun gegangen ist. Seit Keller im Dezember 2012 das Amt des Cheftrainers von Huub Stevens übernahm, schlug ihm erbarmungslose Kritik entgegen. Keinem Trainer der Schalker Vereinsgeschichte wurden derartige Vorbehalte entgegengebracht wie Keller, mehrfach war eine Entlassung nur noch eine Frage von Tagen.
Trainer Keller steht seinen Mann
Doch Keller hat sich von diesem teils sehr zweifelhaften Sturm der Entrüstung nicht verbiegen lassen, auch wenn aus dieser intensiven Zeit in Königsblau sicherlich Lerneffekte bei ihm eingetreten sind. Die vergangene Vorrunde verlief enttäuschend, doch es war der nie resignierende Keller, unter dem sich S04 nach der besten Rückrunde der Vereinshistorie den direkten Qualifikationsplatz für die Champions League angelte.
Keller reagierte auf das eklatante Verletzungspech ohne zu hadern und baute einfach ein paar junge Spieler ein, die sich unter seiner Regie deutlich verbesserten. Er erreichte trotz des Rückstands zur Winterpause und widriger Arbeitsbedingungen das Saisonziel. Auch dank ihm ist es in Gelsenkirchen momentan auffällig ruhig geworden.
Wie lange die Ruhe anhält, vermag man bei einem hektischen Klub wie S04 allerdings nicht zu prognostizieren. Klar ist: Auf Kellers weiterem Weg liegen - um im Bild zu bleiben - schon die nächsten Baumstämme parat. Nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen wird der Coach weiter beansprucht sein. Bleiben alle fit, ist der Schalker Kader so ausgewogen und qualitativ hochwertig besetzt wie lange nicht mehr. Von ihm muss man etwas erwarten können.
Heldt: "Wir sind wer!"
Mit diesen Voraussetzungen unternimmt Schalke zusammen mit Keller letztlich noch einen, den nächsten Versuch, die etablierte Reihenfolge der Bundesligaspitze aufzubrechen. Der FC Bayern München und Borussia Dortmund teilen dort seit vier Jahren die ersten beiden Plätze unter sich auf, im DFB-Pokal gilt das für die vergangenen drei Jahre. Das Schalker Selbstverständnis sieht es vor, "endlich die Brust raus zu strecken und zu zeigen: Wir sind wer!", wie es Manager Horst Heldt plakativ beschreibt.
Die öffentlichen Zweifel an Keller sind im Fußballjahr 2014 weniger geworden, er hat sich endlich einen kleinen Vertrauensvorschuss erarbeiten können. Es warten aber sofort die nächsten heiklen Herausforderungen auf ihn. Er wird im Kader an vielen Fronten moderieren, das Leistungsniveau der Mannschaft stabilisieren und unter dem Strich beweisen müssen, dass er damit nicht an seine Grenzen als Coach stößt. Fruchten seine Maßnahmen nicht, wird Kellers Arbeit erneut zu polarisieren beginnen - was für die Heldt'schen Forderungen kontraproduktiv wäre.
Solche Schalke-typischen Ausschläge sind es, die die Knappen in den letzten Jahren daran hinderten, den Etablierten der Liga kontinuierlich auf den Wecker zu gehen. Wackler, wie sie beispielsweise der BVB im Herbst des letzten Jahres zeigte, wollen die Schalker künftig ausnutzen.
"Wir wollen einen Schritt weiter gehen"
"Auf Schalke hat man sich oft kleiner gemacht, als man ist. Das stört mich total!", sagt Heldt. "Wir werden nicht auf eine Ebene mit Bayern kommen. Aber mit den anderen Vereinen, auch dem BVB, können wir weiterhin konkurrieren. Auch sie müssen immer wieder gute Spieler abgeben. Und wenn die Bayern mal schwächeln, müssen wir da sein. Wir wollen einen Schritt weiter gehen."
Heldt weiß gerade in seiner Funktion als Manager nur zu gut, dass der Grat zwischen langfristiger Konsolidierung und sportlichem Tagesgeschehen ein sehr schmaler sein kann. "So wichtig und richtig es ist, auf Strecke zu werten, Fußball ist immer auch eine Momentaufnahme. Und deshalb zählen die Erfolge von gestern ab August nicht mehr."
Keller nimmt seine Spieler mit in die Pflicht, um diese Denke zu verinnerlichen. Ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein und Demut fordert er, niemand solle sich auf dem ausruhen, was in den letzten 17 Schalker Bundesligaspielen (36 Punkte) passiert ist.
Diesmal soll auch der Saisonstart gelingen, den setzte S04 trotz ähnlichen Optimismus wie derzeit gehörig in den Sand (letztes Jahr nur ein Punkt aus den ersten drei Spielen). Ein guter Start wird aber nicht ausreichen, damit der nächste Versuch ein erfolgreiches Ende nimmt. Jens Keller wird sich an diesem Gesamtpaket messen lassen müssen. Sein Vertrag läuft nach der Saison aus.
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