Der Freistaat hatte groß aufgefahren. Ministerpräsident, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt und der Chef des ansässigen Weltklubs - die "wichtigsten" Menschen Bayerns hatten Stellung bezogen. Horst Seehofer, Dieter Reiter und Karl-Heinz Rummenigge warteten auf dem roten Teppich, um die Weltmeister in Emfpang zu nehmen.
Im Schlepptau hübsche Münchnerinnen im Dirndl und die obligatorische Blasmusik-Kapelle. Mia-san-mia in Reinkultur. Während Bastian Schweinsteiger bayrischen Boden küsste und Thomas Müller die üblichen Faxen machte, versuchte Toni Kroos da irgendwie schnell durchzukommen. Nichts wie weg aus München, ab nach Mallorca und zwischendurch nach Madrid.
Seit Donnerstagmittag ist es endlich offiziell: Toni Kroos ist neuer Spieler von Real Madrid, geplant für die nächsten sechs Jahre. Der FC Bayern lässt einen Spieler ziehen, der gerade dabei ist, sein schier endloses Potential dauerhaft abzurufen.
Eleganz als Phlegma
Kroos hat die WM geprägt, er hat in vielen Spielen auf höchstem Niveau agiert. In vielen wichtigen Spielen, in den ganz großen Spielen. Darauf haben sie in München in all den Jahren vergeblich gewartet. Niemand beim FC Bayern hat je daran gezweifelt, dass Kroos zu den genialsten Mittelfeldspielern der Welt gehört. Aber sie hatten Zweifel, ob Kroos jemals seine PS auch auf die Straße bringt.
Kein anderer Spieler wurde beim FC Bayern in den letzten Jahren bei aller Wertschätzung derart kritisch beäugt wie Kroos. Seine Ruhe am Ball wurde ihm nicht selten als Langsamkeit ausgelegt, seine Eleganz als Phlegma.
Kroos konnte seine Kritiker nie ganz widerlegen. Perfekten Spielen wie beim 2:0-Sieg gegen Arsenal im Emirates ließ er Spiele folgen, in denen wenig zu sehen war von seinen Qualitäten. Zu oft tauchte Kroos unter, wenn es drauf ankam. Beim Finale dahoam weigerte er sich, zum Elfmeterschießen anzutreten.
Auf allen Positionen zuhause
Die WM hat aus Kroos einen anderen Spieler gemacht. Einen, der in entscheidenden Momenten präsent ist. Der Tore schießt und mit genialen Standards vorbereitet. Kroos ist der ideale Spieler für das mobile Dreieck von Zentrumsspielern, dem Herzstück des modernen Fußballs, dort wo alle Fäden zusammenlaufen. Er hat beim FC Bayern alle Positionen mit allen Varianten gespielt. Sechser vor der Abwehr, Achter zwischen den Linien und Zehner hinter dem Stürmer.
Es ist bemerkenswert, dass gerade Pep Guardiola keine nachhaltigen Einwände hatte gegen Kroos' Abgang. Im Gegensatz zu Philipp Lahm oder Thiago ist Kroos aber nicht unverzichtbar für den Bayern-Trainer. Lahm, Thiago, Schweinsteiger, Martinez, Rode, Alaba, Hojbjerg - Guardiola bleibt genügend Qualität; der Kroos-Transfer ist in sofern zu verschmerzen.
In Madrid dagegen darf man sich glücklich schätzen. Der Champions-League-Sieger bekommt den neben Kolumbiens James Rodriguez derzeit aufregendsten Mittelfeldspieler der Welt. Es gibt keinen Grund, an Kroos' Erfolg in Madrid zu zweifeln. Er muss gar nicht unbedingt besser werden, die WM-Form zu konservieren würde schon genügen. Für Kroos spricht allein sein Alter. Der Mann ist erst 24.
Toni Kroos im Steckbrief