"Ich schreibe seit zehn Jahren mit"

Jochen Tittmar
22. Juli 201411:14
Teddy de Beer stand für den BVB 181 Mal im Kastenimago
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Wolfgang "Teddy" de Beer ist seit einer gefühlten Ewigkeit der Torwarttrainer von Borussia Dortmund. Im Interview spricht der 50-Jährige über die Inhalte einer gezielten Torwartausbildung, selbstgebaute Trainingsgeräte sowie seine beiden Keeper Roman Weidenfeller und Mitch Langerak.

SPOX: Herr de Beer, Sie sind Anfang des Jahres 50 geworden. Wenn Ihr Vertrag 2016 ausläuft, sind Sie seit 30 Jahren beim BVB angestellt. Eine lange Zeit.

Wolfgang de Beer: 50 Jahre, das war für mich immer ewig weit weg. Ich bin als 22-Jähriger zum BVB gekommen und hatte natürlich nicht daran gedacht, hier quasi den Rest meines Lebens zu verbringen. Damals war jeder, der über 30 war, für mich steinalt. (lacht) Als ich kam, bin ich mit dem MSV Duisburg zuvor abgestiegen und Dortmund hat nur über die Relegation die Klasse halten können. Auch wenn ich zunächst als Nummer zwei eingeplant war, wollte ich eines Tages mit der Borussia Deutscher Meister werden. Dass dies geklappt hat und ich jetzt immer noch hier bin, war zu dem Zeitpunkt eigentlich undenkbar.

SPOX: Bis 2001 spielten Sie aktiv für den BVB. Direkt im Anschluss an Ihr Karriereende haben Sie dann die Trainer-A-Lizenz erworben und sind wenig später Torwarttrainer in Dortmund geworden.

de Beer: Ich musste wegen einer Knorpelabsplitterung im rechten Knie aufhören. Daraufhin habe ich zunächst ein Jahr in der Nachwuchsabteilung gearbeitet und nebenher den Trainerschein gemacht. Das war mir wichtig, um einen genaueren Einblick in die Theorie zu bekommen, da ich mir in den letzten Jahren meiner Karriere als dauerhafte Nummer zwei hinter Stefan Klos schon einen veränderten Blick für die Dinge angeeignet habe. Einen Torwarttrainerschein gab es damals auch noch gar nicht.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Teddy de Beer im BVB-Trainingslager in Kirchbergspox

SPOX: Stimmt es, dass die Torhüterausbildung früher vom DFB etwas stiefmütterlich behandelt wurde?

de Beer: Eine gezielte Ausbildung speziell für Torwarttrainer gibt es erst seit drei, vier Jahren. Als ich meinen Lehrgang absolvierte, sprach man zwar auch ein, zwei Stunden über Torhüter und hat das Thema angerissen. Aber letztlich war eigentlich ich derjenige, der dann ausführlicher über Torwarttraining referiert und auch ein paar Übungen vorgeführt hat. Für jemanden, der nie im Tor gespielt hat, ist es eben schwierig, sich sinnhafte Gedanken darüber zu machen, wie man einen Torwart trainiert und fit bekommt.

SPOX: Nun soll der Keeper als Torspieler, also als elfter Feldspieler, eingebunden werden.

de Beer: Das kam mit Einführung der Rückpassregel. Erst seitdem gibt es in den Trainingseinheiten auch Spielformen, die den Torhüter fußballerisch wesentlich mehr fordern als zuvor. Dazu sind die Anforderungen des Fußballs mittlerweile natürlich ganz andere geworden. Es reicht nicht mehr, als Torhüter nur gut zu halten, man muss auch mit Ball am Fuß Qualitäten haben.

SPOX: Haben Sie am Anfang Ihrer Tätigkeit als Torwarttrainer ausschließlich auf den eigenen Erfahrungsschatz gebaut?

de Beer: Natürlich. Ganz früher habe ich noch für mich alleine trainiert. Man konnte zu diesem Thema ja nichts nachlesen. Damals habe ich sicherlich auch nicht alles richtig gemacht. Dann kamen während der Karriere einige Torwarttrainer hinzu. Diese Erfahrungen flossen zusammen mit den eigenen Ansichten in mein Programm ein. Ich habe viele Aufzeichnungen zu den einzelnen Einheiten, auch heute noch.

SPOX: Sie schreiben immer noch mit?

de Beer: Ich schreibe seit zehn Jahren mit, notiere mir wirklich jede einzelne Trainingseinheit. Jeder Tag ist handschriftlich dokumentiert. Ich schreibe auf, welche Inhalte ich trainiert habe und was mir dabei auffiel. Wie verhält sich der Torhüter im Eins-gegen-eins? Fällt er falsch auf die linke Seite? Wie sieht sein Absprungverhalten aus? Solche Dinge eben. Und dann wird das systematisch mit den Jungs im Training abgearbeitet.

SPOX: Wie wichtig ist es, das Torwarttraining abwechslungsreich zu gestalten - oder sind ständige Wiederholungen genauso wichtig?

de Beer: Wiederkehrende Elemente sind essentiell, müssen aber dosiert werden. Letztlich bedeutet Torwarttraining das Abarbeiten diverser Bausteine, die zusammen genommen eine erfolgreiche Ausbildung eines Torhüters garantieren. Es geht dabei um ein großes Feld an Kleinigkeiten: Technik, Grundlagenausdauer, Krafttraining, Stabilitätstraining, Fausttechniken, Fangsicherheit, Beweglichkeit, Koordination. Bevor man damit beginnt, beobachtet man seine Torhüter, erstellt ein Profil, arbeitet die einzelnen Felder je nach Notwendigkeit ab und passt sie individuell an.

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SPOX: Greift man dazu immer auf dieselben Übungen zurück?

de Beer: Man kann sich unheimlich viele Übungen einfallen lassen, die letztlich aber immer zum gleichen Ziel führen - zum Abarbeiten der erwähnten, vielfältigen Bausteine. Die Verpackung sollte also durchaus variieren, das Ziel bleibt aber dasselbe. Als Trainer möchte man mit seinen Übungen erreichen, dass torwartspezifische Verhaltensweisen verändert werden und sich den Keepern neue Sichtweisen erschließen. Klassisches Beispiel: Man muss den Torhütern vermitteln, dass in Eins-gegen-eins-Duellen die Angreifer den größeren Stress haben. Also: Nicht frühzeitig zur Seite wegdrehen, sondern breitmachen und einen Schritt nach vorne gehen. Es geht oft um solche Nuancen, um die Veränderung von Verhalten und somit eine größere Effizienz zu erzielen.

SPOX: Sie haben als gelernter Schreiner auch schon eigenhändig Prallwände und Schussrampen gebaut.

de Beer: Das war ein Einfall, um eine Variation in die eine oder andere Übung zu bekommen. Ich bin in den Baumarkt gegangen, habe mir die Bretter zuschneiden lassen und sie in meiner Garage zusammengeschraubt. Anschließend habe ich einen meiner Pferdeanhänger genommen und das Zeug nach Dortmund gekarrt. Ich habe noch eine Art Fernsehschrank zu Hause, den man auch als Prallwand benutzen kann. Ich habe solche Dinger in unterschiedlichen Größen, damit der Ball jeweils verschieden abprallt. Damit kann man fußballtechnische Übungen machen oder die Reaktionsschnelligkeit trainieren.

SPOX: Manuel Neuer hatte beim Sieg gegen Brasilien mehr als doppelt so viele Balkontakte wie Selecao-Stürmer Fred - und der musste ja auch noch sieben Mal den Anstoß ausführen. Verkörpert Neuer mit seiner Spielweise das ideale Ausbildungsendziel?

de Beer: Das Endziel ist immer noch die Null. Ein Torhüter sollte kein Gegentor kassieren. Manuel Neuer hat bei der WM nicht mehr und weniger als das getan, was ihm angeboten wurde. Er hat in erster Linie versucht, keinen Ball reinzukriegen. Er ist ja beispielsweise gegen Algerien nicht so oft aus dem Tor gekommen, weil er es so toll findet, sondern weil es notwendig war. Das hat er natürlich außerordentlich gut getan, weil er die Situationen frühzeitig erkannt und ein hervorragendes Timing dabei hatte. Es war eben auffällig, weil er viel helfen und dabei auch noch viel riskieren musste.

SPOX: Roman Weidenfeller ist jetzt hinter Neuer die Nummer zwei der Nationalelf. Er war bereits vor Jahren längere Zeit in vielen Medien der Torhüter mit den besten Noten, stand für die DFB-Elf aber quasi nie zur Debatte. Wieso?

de Beer: Er war zum damaligen Zeitpunkt ungefähr 25 Jahre alt. Damals spielten noch Oliver Kahn und Jens Lehmann, sie waren die Etablierten in der Nationalelf. Da war es schwierig, mal hinein zu schnuppern, selbst wenn er zwei Jahre lang sehr gute Leistungen gezeigt hat. Umso mehr freue ich mich, dass er mittlerweile so stabil ist. Dass er jetzt dabei ist, ist mehr als verdient.

SPOX: Inwiefern stand ihm früher seine Verbissenheit im Weg? Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

de Beer: Er war schon immer ein sehr ehrgeiziger Torhüter mit hohen Zielen. Das ist ja auch keinesfalls ein Fehler. Ich habe lieber jemanden, den ich etwas bremsen muss, als einen, dem man ständig in den Hintern treten muss. Wie in allen Berufen läuft man in jüngerem Alter vielleicht auch mal für eine gewisse Zeit lang in die falsche Richtung. Roman hatte vor ein paar Jahren auch mal eine Schulterverletzung, die ihn kurzfristig aus dem Rhythmus brachte. In den letzten Jahren erreichte er aber nach und nach seine Ziele. Das bestätigte ihn einerseits, andererseits machte es ihn reifer, ruhiger und abgeklärter.

SPOX: Weidenfeller wird mit dem Alter immer besser - keine glänzenden Aussichten für seinen Vertreter Mitch Langerak. Wurde bei ihm nicht mal über eine Ausleihe nachgedacht?

de Beer: Natürlich wird es für ihn auch mal den Gedanken gegeben haben, einen anderen Weg einzuschlagen. Es könnte vielleicht auch irgendwann eine Alternative sein, wenn er hier sehen würde, dass er nicht wesentlich weiterkommt. Aber das ist nicht der Fall. Mitch fühlt sich ausgesprochen wohl hier in Dortmund. Für uns ist er ein Glücksfall, sowohl von seiner Leistungsfähigkeit her, als auch vom Charakter. Es ist nicht selbstverständlich, dass er eine solch lange Zeit so ruhig und fokussiert bleibt. Wenn er gebraucht wird, ist er immer zu einhundert Prozent da - das ist eine fantastische Leistung. Wir sind außerordentlich zufrieden mit ihm.

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