Im Mai 2014 machte der französische Provinzklub Clermont Foot weltweit Schlagzeilen. Der Verein aus der Ligue 2 gab die Verpflichtung einer Frau als Coach bekannt. Eine Lady an der Spitze eines Männer-Profiteams und dann auch noch in Frankreich, dem Weltmeisterland von 1998. Die "Ahs" und "Ohs" waren dem Klub aus der Avergne sicher.
Sieben Wochen später wurde Helena Costa wieder gefeuert - und durch die nächste Frau ersetzt. Corinne Diacre, das weibliche Pendant zu Zinedine Zidane in Frankreich, ist übrigens noch im Amt. Am 2. Spieltag trotzte Clermont AJ Auxerre immerhin ein 1:1 ab.
Das Interesse an den sportlichen Erfolgen von Clermont ist außerhalb der Grenzern Frankreichs indes überschaubar. Dass der Verein in den letzten Tagen dennoch in internationalen Medien präsent war, liegt an einem 27-Jährigen Halbfranzosen mit marokkanischen und algerischen Wurzeln, der von 2008 und 2010 für Clermont spielte.
"Es ist ein Traum"
Mehdi Benatia El Moutaqui sorgte für einen der bemerkenswertesten Transfers dieses Sommers. Für ca. 30 Millionen Euro (mögliche Bonuszahlungen inklusive) wechselt der Innenverteidiger vom AS Rom zum FC Bayern München.
"Ich bin froh, dass der Wechsel endlich geklappt hat. Bei Bayern gibt es viele tolle Spieler, der Kader ist exzellent besetzt. Es ist ein Traum, ab jetzt ein Teil davon zu sein", sagte Benatia "Sport1".
Pep Guardiola hatte sich nach der schweren Verletzung von Javi Martinez für die Verpflichtung des Abwehrspielers stark gemacht. "Herr Guardiola wollte mich unbedingt! Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm. Er ist ein starker Trainer", sagte Benatia.
Durchgefallen in Freiburg
Der FC Bayern stattet seinen fünften Neuzugang des Sommers mit einem Fünfjahresvertrag aus. Die hohe Ablösesumme und die lange Vertragsdauer für einen 27-Jährigen verblüffen auf den ersten Blick, zumal die Karriere Benatia bislang weitgehend unterhalb des Radars stattfand.
Ausgebildet wurde Benatia im "Centre technique national Fernand-Sastre", dem Leistungszentrum des französischen Fußballverbands. Olympique Marseille holte ihn als 16-Jährigen an die Mittelmeerküste, fand aber kaum Verwendung für Benatia. In der Ligue 1 spielte er nie für OM.
Nach einer Tingeltour durch Frankreich mit den Klubs FC Tour, FC Lorient und Clermont Foot landete Benatia 2010 bei Udinese Calcio. Ein früheres Engagement in der Bundesliga scheiterte 2009. Der SC Freiburg lud Benatia zum Probetraining ein. Die Badener hatten kurzfristig Bedarf in der Abwehr, nachdem sich Ömer Toprak bei einem Kart-Unfall schwere Verbrennungen zugezogen hatte.
Freiburg sah aber von einer Verpflichtung Benatias ab. "Wir haben die Messlatte für einen Neuen in diesem Bereich recht hoch gelegt. Benatia hat nicht die Qualität, einen Klopfer brauchen wir nicht", sagte der damalige Sportdirektor des Sport-Clubs, Dirk Dufner.
Pozzis lukrativer Deal mit Benatia
Udine teilte dieses eher vernichtende Urteil nicht. Ein halbes Jahr später wechselte Benatia in die Serie A. "Wir hatten Mehdi oft beobachtet und waren von seiner Qualität überzeugt", sagte Klub-Besitzer Giampaolo Pozzi.
In Udine machte sich Benatia einen Namen als zweikampfstarker Abwehrspieler, der technisch gut ausgebildet ist und über die für Innenverteidiger notwendige Härte und Kompromisslosigkeit in den direkten Duellen verfügt.
"Mehdi ist physisch stark, hat eine gute Grundtechnik und strahlt viel Sicherheit aus. Mit ihm im Rücken fühlt man sich sicher", sagt Alexander Merkel, der 2013 ein halbes Jahr mit Benatia in Udine spielte, im Gespräch mit SPOX.
2013 biss der AS Rom an und holte Benatia für 13,5 Millionen Euro in die ewige Stadt. Pozzi hatte wieder mal sein Talent bewiesen, Spieler für kleines Geld zu holen, um sie dann für viele Euros wieder abzugeben.
Der Beste in Italien
In Rom traf Benatia auf den neuen Trainer Rudi Garcia, dessen Priorität auf der Stabilisierung der Defensive lag. Benatia spielte eine herausragende Saison. Als rechter Innenverteidiger der Viererkette war er der Chef der Abwehr, die in der letzten Saison nur 25 Gegentore zuließ und zwischenzeitlich acht Spiele am Stück keinen Treffer kassierte.
"Mehdi war der beste Verteidiger der letzten Saison. Er ist stark, er ist groß, er ist schnell. Er steht immer in perfekter Position und ist taktisch klug", so Luca Toni gegenüber "Sport Bild".
Erfahrung in der Dreierkette bringt Benatia ebenfalls mit: Im flexiblen System von Udine-Trainer Francesco Guidolin spielte den zentralen Abwehrmann. "Ich war von Anfang an überzeugt, dass Mehdi uns helfen wird. Er hat mich nicht enttäuscht", sagte Guidolin.
Bei der Roma entpuppte er sich zudem als torgefährlicher Verteidiger. Seine fünf Treffer feierte er stets mit einem martialischen angehauchten Maschinengewehr-Jubel. Das kam den Fans der Giallirossi aber gut an; Roma-Legende Gabriel Batistuta, einer der Helden des letzten Scudetto der Römer im Jahr 2001, feierte seine Tore gerne auf diese Weise.
"Super Typ, charakterlich einwandfrei"
Sein Wechsel nach München kommt dagegen weniger gut an, die Roma-Anhänger werfen ihm Geldgier vor. Vielmehr nutzt Benatia aber die Chance, im vergleichsweise hohen Alter von 27 Jahren doch noch einen großen Vertrag bei einem der größten Vereine der Welt zu unterschreiben.
Die Vertragslänge war Benatias ausdrücklicher Wunsch, er will in München die Erfolge feiern, die ihm bislang verwehrt blieben. Einen großen Titel hat er nämlich noch nicht gewonnen.
Die Bayern bekommen laut Merkel einen "super Typen, der charakterlich einwandfrei ist. Von der Einstellung her ist Mehdi ein Vollprofi. Er war immer pünktlich und immer engagiert."
Die Dreierkette der Bs ist komplett
Für Guardiola ist Benatia weit mehr als ein Martinez-Ersatz. Der Bayern-Coach schätzt insbesondere Benatias Qualitäten im Spielaufbau. Nach dem Martinez-Ausfall beklagte Guardiola einen fehlenden Rechtsfuß neben Jerome Boateng. "Ich habe nur noch Jerome als rechten Innenverteidiger. Das ist zu wenig. Wir müssen noch einen Spieler verpflichten", sagte der Trainer.
Die wahrscheinlichste Variante ist eine Besetzung der Dreierkette mit den drei Bs: Boateng, Benatia, Badstuber. "Ich halte Mehdi stark genug für den FC Bayern. Er hat beim AS Rom einen großen Schritt nach vorne gemacht", sagt Alex Merkel. Für Dante bliebe dann nur die Bank.
Die Saison 2013/14 von Jerome Boateng und Mehdi Benatia im OPTA-Vergleich
Afrika-Cup im Heimatland
Anfang 2015 müssen die Bayern allerdings für mehrere Wochen auf den viertteuersten Neuzugang der Vereinsgeschichte verzichten. Benatia spielt für Marokko in Marokko die Afrika-Meisterschaft. "Das ist eine Herzensangelegenheit für mich. Wir wollen unseren Landsleuten den Titel schenken", sagt er.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Benatia 2015 endlich Titel gewinnt, ist relativ hoch. Sollte es mit der Nationalmannschaft nicht klappen, bleibt ja noch der FC Bayern.
Mehdi Benatia im Steckbrief