"Ich werde wieder Fehler machen"

Jochen Tittmar
05. August 201412:27
SPOX-Redakteur Jochen Tittmar im Gespräch mit Schalke-Keeper Ralf Fährmann
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Seit dem 14. Spieltag der vergangenen Saison ist Ralf Fährmann die Nummer eins im Tor des FC Schalke 04. Im Interview spricht der 25-Jährige über psychologische Hilfestellungen für Fußballspieler, seine Bewunderung für Formel-1-Fahrer, den Umgang mit Geduld und Zorn sowie Übernachtungen im sächsischen Kinderzimmer.

SPOX: Herr Fährmann, auf Schalke gibt es in Theresa Holst seit dem Winter eine Diplom-Psychologin, die beim Thema "Athletenzufriedenheit" Hilfe anbietet. Sie haben zuvor schon privat mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet. Wird das Training für den Kopf im Fußball grundsätzlich unterschätzt?

Ralf Fährmann: Ich bin mir nicht sicher. Mir kommt es mittlerweile eher so vor, als ob das schon normal geworden ist. Das kann aber auch daran liegen, dass Theresa fest zu unserem Funktionsteam gehört.

SPOX: Wieso ist der Fußball in dieser Beziehung immer noch irgendwie ein Nachzügler?

Fährmann: Die Frage habe ich mir persönlich auch schon oft gestellt. In anderen Sportarten wie beispielsweise Boxen, Golf, Eishockey oder Tennis arbeitet man schon seit Jahren in diesem Bereich. Im Fußball war das also längst überfällig und hat sich mittlerweile auch einigermaßen etabliert. Natürlich muss dennoch jeder Fußballer für sich selbst entscheiden, ob das etwas für ihn ist oder nicht.

SPOX: Man ist ja auch schnell mit dem Vorurteil bei der Hand, dass derjenige, der einen Sportpsychologen aufsucht, nicht "normal" sei?

Fährmann: Da war ich früher wahrscheinlich nicht anders, bevor ich mich mal mit der Thematik auseinandergesetzt habe. In unserer Gesellschaft löst oft schon das Wort "Psychologe" diesen negativen Reflex aus. Gerade der Fußball ist eine Sportart, in der man sich keine Fehler eingestehen möchte. Ein Sportpsychologe hat mit dem ursprünglichen Psychologen aber nichts zu tun. Es geht darum, seinen Kopf noch gezielter und gesteuerter auf verschiedene Situationen vorzubereiten, um hundert Prozent des eigenen Leistungsvermögens abrufen zu können. Das ist deshalb so wichtig, weil im Fußball immer häufiger Kleinigkeiten entscheiden. Mittlerweile liegen zwischen den individuellen Qualitäten der Mannschaften nur noch Nuancen.

SPOX: Muss sich ein Sportpsychologe den genauen Anforderungen eines Profifußballers komplett bewusst sein, um helfen zu können?

Fährmann: Das hilft natürlich, aber mein privater Mentaltrainer hatte zuvor schon mit Boxern zusammengearbeitet. Die Arbeitsweise ist ähnlich und daher ist die Sportart, die man ausübt, im ersten Schritt eigentlich völlig egal. Man trainiert ja nicht mit dem Ball, sondern nur den Kopf. Das Unterbewusstsein wird bearbeitet. Man formuliert positive Gedankengänge - unter anderem soll das Unterbewusstsein das Wort "nicht" nicht kennen.

SPOX: Gibt es dazu ein Beispiel?

Fährmann: Als Torhüter sollte man sich nicht sagen: 'Ich darf den Ball nicht ins Tor bekommen.' Dann speichert sich das Gehirn das nämlich so ab, dass man selbst die Gefahr sieht, den Ball doch ins Tor zu bekommen. Stattdessen muss man sich denken: 'Ich halte jeden Ball'.

SPOX: Wie sieht das aber in der Praxis aus? Sie können ja nicht vor jedem Schuss, der auf Ihren Kasten kommt, sagen: 'Den halte ich aber.'

Fährmann: Man arbeitet dahingehend, dass diese Gedanken automatisiert in einem drin stecken. Jeder Mensch führt Selbstgespräche. Nicht, weil etwas mit einem nicht stimmt, sondern jeder hat eine innere Stimme. Und die wird so trainiert, dass man sich während des Spiels drei, vier Wörter aneignet, mit denen man sich identifizieren kann und die die Konzentration hochhalten. Man lernt mit der Zeit, sich selbst in diese Richtung zu leiten.

SPOX: Ist die psychische Belastung, ständig hochkonzentriert sein müssen, enormer als man annimmt?

Fährmann: Definitiv. In dieser Hinsicht, auch was die Vorbereitung aufs Spiel angeht, habe ich viel mit meinem Mentaltrainer gearbeitet. Ich bewundere deshalb die Formel-1-Fahrer, weil man es eigentlich nicht schaffen kann, ein ganzes Rennen über voll konzentriert zu sein, ohne nicht doch einmal abzuschweifen. Verglichen mit dem Fußball ist das bei uns einfacher, gerade für einen Torhüter. Aber als Rennfahrer kommen die Kurven im Sekundentakt auf einen zu und dann muss man noch am Lenkrad herumfummeln - das ist schon eine nicht zu unterschätzende Leistung.

SPOX: Wodurch habe Sie denn eigentlich angefangen, sich für dieses Thema zu interessieren?

Fährmann: Ich habe früher mal das Buch "Der Wahnsinn liegt auf dem Platz" von Jens Lehmann gelesen. Darin schreibt er, dass er einmal ein Buch von Dr. Joseph Murphy gelesen hätte. Es heißt "Das Erfolgsbuch" und behandelt die Steuerung des Unterbewusstseins. Lehmann hat das nach der Lektüre dann so gut beherrscht, dass er morgens beim Aufstehen gar keinen Wecker mehr benötigt hat und sich verschiedene Abläufe bei ihm völlig automatisiert haben. Das hat mich neugierig gemacht.

SPOX: Mussten Sie sich anfangs zunächst dazu zwingen, die gewohnten Abläufe umzustellen?

Fährmann: Natürlich. Es gibt ja auch das alltägliche Beispiel, dass man nach Hause kommt, direkt zum Kühlschrank geht und sich etwas zu essen herausnimmt. Das macht man irgendwann selbst dann, wenn man gar keinen Hunger hat. Solche Dinge kann man schon leichter verändern, aber unter dem Strich geht das alles nur, wenn man auch offen für das Thema ist. Das ist typbedingt. Wer darauf keine Lust hat, kann es gleich sein lassen.

SPOX: Würden Sie sagen, dass es überall in den Vereinen psychologische Hilfe für die Spieler geben sollte?

Fährmann: Ich sehe es so: Jeder Fußballer hat den Anspruch an sich selbst , alles zu geben und alles für den Erfolg zu tun. Das kann man auf dem Feld oder im Kraftraum machen. Aber wieso sollte man nicht auch mal versuchen, sein Gehirn zu trainieren? Es gibt ja auch das Bewegungstraining Life Kinetik, vielleicht bringt das dem einen oder anderen mehr.

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SPOX: Letztlich geht es für Sie als Torwart auch darum, eigene Fehler zu vermeiden und sollten dennoch welche geschehen, sie richtig zu kanalisieren. Ist das beim Torhüter die größte Baustelle, eigene Fehler gesund verdauen zu können?

Fährmann: Das ist in jedem Fall ein wichtiger Aspekt. Ich persönlich war schon immer sehr ehrgeizig und wollte jeden Fehler vermeiden. Es gehört zum Reife- und Lernprozess dazu, akzeptieren zu können, dass Fehler unvermeidlich sind. Sportlich lief es für mich zuletzt gut, aber ich weiß dennoch jetzt schon: Ich werde wieder Fehler machen - und zwar noch genügend in meiner gesamten Karriere. Keinen einzigen Fehler kann man rückgängig machen, aber man kann daraus lernen. Dieser Tatsache muss man sich bewusst sein. Das Wissen darum ist am Anfang, gerade wenn man jung ist, noch nicht so ausgeprägt vorhanden. Da geht man noch verbissener an die Sache heran.

SPOX: Würden im Fußball keine Fehler gemacht, gäbe es nur torlose Unentschieden. Wie erschwerend kann es gerade für junge Spieler sein, sich aufgrund dieser Tatsache nicht vom Wesentlichen ablenken zu lassen?

Fährmann: Ich glaube, dass sich viele junge Spieler gar keine tiefgreifenden Gedanken machen. Da ist man vielleicht noch so fokussiert auf seine Aufgabe, dass das im Spiel nicht extrem ablenkt. Interessant wird es aber jetzt: Je länger man nämlich dabei ist, desto mehr verliert man diese Unbekümmertheit. Und dann macht man sich Gedanken, auf und abseits des Platzes. Abhilfe schafft dabei in meinen Augen ein guter Teamgeist und das Wissen, dass Fehler erlaubt sind, weil sie im Mannschaftssport gemeinsam ausgebügelt werden können.

SPOX: Sie haben in Ihrer noch jungen Karriere schon einige sportliche Dürrephasen mitmachen müssen. Sie waren häufig verletzt oder mussten lange auf Ihre Chance warten. Sie sind nun aber gestärkt aus dieser Leidenszeit hervorgegangen. Sind Sie dadurch als Spieler auch extrovertierter geworden?

Fährmann: Das will ich selbst nicht beurteilen. Ich habe in meiner Karriere aber schon einige Verletzungen und Rückschläge erlitten. Ich lief oft gegen Wände, zumindest gefühlt war das so. Ich habe in den acht Jahren im Profibereich also schon ein paar negative Erfahrungen machen müssen. Ich glaube, dass mich das im Umgang mit solchen Situationen ein Stück weit reifer und erwachsener gemacht hat. Das mag dann vor allem auf dem Platz extrovertierter rüberkommen.

SPOX: Nach all der Zeit des Wartens auf Besserung Ihrer sportlichen Perspektive müssten Sie doch jetzt einer der geduldigsten Menschen der Welt sein, oder?

Fährmann: Ich würde die Frage gerne bejahen, aber Geduld ist immer noch nicht mein Ding (lacht). Heute kann ich darüber schmunzeln, aber das war wirklich eine extrem harte Zeit. Wenn man vergebens auf seine Chance wartet und sie nicht kommt, dann fühlt sich das wie gesagt so an, als ob man ständig gegen eine Wand läuft und immer daran abprallt. Ich bin aber insofern geduldig, dass ich mir schon früh gesagt habe, mir nie vorwerfen zu wollen, nicht alles gegeben zu haben.

SPOX: Dass sich das in der letzten Saison auf Schalke endlich für Sie rentierte, dürfte sich wie ein Sechser im Lotto angefühlt haben, oder?

Fährmann: Absolut. Schalke fühlt sich für mich wie zu Hause an, das ist mehr als nur ein Verein für mich. Ich wollte solange, wie ich hier unter Vertrag stehe, versuchen, die Nummer eins zu werden. Meine Selbsteinschätzung von meinen Trainingseinheiten war gut, ich war immer positiv gestimmt, dass ich hier noch zeigen kann, was wirklich in mir steckt. Glücklicherweise konnte ich das in den Spielen zusammen mit der Mannschaft dann auch abrufen. Aber: Glück hat nur der Tüchtige!

SPOX: Horst Heldt erzählte mal, dass er Sie in einem der letzten Trainingslager fragte, wie es Ihnen ginge - "da brach ein Orkan aus", meinte er dann. Wie sind Sie mit Enttäuschung und Unverständnis umgegangen, als Sie nicht im Tor standen?

Fährmann: Meine Familie musste in dieser Beziehung einiges ertragen. Ich bin schon jemand, der dann offen und ehrlich seine Meinung äußert. Vielleicht nicht gleich am Anfang, aber irgendwann läuft dann auch mal das Fass über. Wenn man Frust und Zorn in sich trägt, muss man das auch herauslassen können. Dann herrscht Klarheit, egal ob man davon im ersten Schritt gleich profitiert.

SPOX: Wenn Sie Ihre Familie ansprechen: Die musste früh auf Sie verzichten, da Sie einst als 14-Jähriger Ihre Heimat Chemnitz verlassen haben, um nach Gelsenkirchen ins Jugendinternat zu ziehen. Haben Sie damals auch Ihre Jugend aufgeben müssen?

Fährmann: Ja. Zum Glück war ich so jung. Mit 14 Jahren macht man sich weniger einen Kopf darüber. Mein Tagesablauf war so stringent durchgeplant, dass ich keine Zeit zum Nachdenken hatte. Schule, Training, Schule, Training, Hausaufgaben, schlafen - so sah das aus. Und wenn ich frei hatte, habe ich geschlafen, weil ich so geschlaucht war. Der Fußball hat mir aber geholfen, mich schnell heimisch zu fühlen. Meine Mitspieler sind meine Freunde geworden und wir haben auch unsere Freizeit gemeinsam verbracht. Dazu war mein Draht zur Familie schon immer sehr eng. Meine Eltern und mein Bruder sind regelmäßig nach Gelsenkirchen gekommen und haben mich besucht. Mein Bruder hat dann teilweise meine Hausaufgaben gemacht (lacht). Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Wie fühlt es sich jetzt elf Jahre später an, wenn Sie nach Hause kommen - verfallen Sie da sofort wieder in alte Muster?

Fährmann: Bei meiner Oma bin ich Sachse, das geht total schnell. Da wird Dialekt gesprochen. Ich schlafe auch im Kinderzimmer, wenn ich daheim bin. Das sieht noch so aus wie vor zehn Jahren. Ein neues Bett musste ich mir allerdings kaufen, weil ich in das alte nicht mehr hinein gepasst habe. Grundsätzlich hat sich mittlerweile aber natürlich vieles geändert. Ich kann meiner Familie nun vieles von dem zurückgeben, was sie damals auf sich genommen hat. Darüber bin ich persönlich sehr froh und erleichtert.

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