SPOX: Herr Fährmann, auf Schalke gibt es in Theresa Holst seit dem Winter eine Diplom-Psychologin, die beim Thema "Athletenzufriedenheit" Hilfe anbietet. Sie haben zuvor schon privat mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet. Wird das Training für den Kopf im Fußball grundsätzlich unterschätzt?
Ralf Fährmann: Ich bin mir nicht sicher. Mir kommt es mittlerweile eher so vor, als ob das schon normal geworden ist. Das kann aber auch daran liegen, dass Theresa fest zu unserem Funktionsteam gehört.
SPOX: Wieso ist der Fußball in dieser Beziehung immer noch irgendwie ein Nachzügler?
Fährmann: Die Frage habe ich mir persönlich auch schon oft gestellt. In anderen Sportarten wie beispielsweise Boxen, Golf, Eishockey oder Tennis arbeitet man schon seit Jahren in diesem Bereich. Im Fußball war das also längst überfällig und hat sich mittlerweile auch einigermaßen etabliert. Natürlich muss dennoch jeder Fußballer für sich selbst entscheiden, ob das etwas für ihn ist oder nicht.
SPOX: Man ist ja auch schnell mit dem Vorurteil bei der Hand, dass derjenige, der einen Sportpsychologen aufsucht, nicht "normal" sei?
Fährmann: Da war ich früher wahrscheinlich nicht anders, bevor ich mich mal mit der Thematik auseinandergesetzt habe. In unserer Gesellschaft löst oft schon das Wort "Psychologe" diesen negativen Reflex aus. Gerade der Fußball ist eine Sportart, in der man sich keine Fehler eingestehen möchte. Ein Sportpsychologe hat mit dem ursprünglichen Psychologen aber nichts zu tun. Es geht darum, seinen Kopf noch gezielter und gesteuerter auf verschiedene Situationen vorzubereiten, um hundert Prozent des eigenen Leistungsvermögens abrufen zu können. Das ist deshalb so wichtig, weil im Fußball immer häufiger Kleinigkeiten entscheiden. Mittlerweile liegen zwischen den individuellen Qualitäten der Mannschaften nur noch Nuancen.
SPOX: Muss sich ein Sportpsychologe den genauen Anforderungen eines Profifußballers komplett bewusst sein, um helfen zu können?
Fährmann: Das hilft natürlich, aber mein privater Mentaltrainer hatte zuvor schon mit Boxern zusammengearbeitet. Die Arbeitsweise ist ähnlich und daher ist die Sportart, die man ausübt, im ersten Schritt eigentlich völlig egal. Man trainiert ja nicht mit dem Ball, sondern nur den Kopf. Das Unterbewusstsein wird bearbeitet. Man formuliert positive Gedankengänge - unter anderem soll das Unterbewusstsein das Wort "nicht" nicht kennen.
SPOX: Gibt es dazu ein Beispiel?
Fährmann: Als Torhüter sollte man sich nicht sagen: 'Ich darf den Ball nicht ins Tor bekommen.' Dann speichert sich das Gehirn das nämlich so ab, dass man selbst die Gefahr sieht, den Ball doch ins Tor zu bekommen. Stattdessen muss man sich denken: 'Ich halte jeden Ball'.
SPOX: Wie sieht das aber in der Praxis aus? Sie können ja nicht vor jedem Schuss, der auf Ihren Kasten kommt, sagen: 'Den halte ich aber.'
Fährmann: Man arbeitet dahingehend, dass diese Gedanken automatisiert in einem drin stecken. Jeder Mensch führt Selbstgespräche. Nicht, weil etwas mit einem nicht stimmt, sondern jeder hat eine innere Stimme. Und die wird so trainiert, dass man sich während des Spiels drei, vier Wörter aneignet, mit denen man sich identifizieren kann und die die Konzentration hochhalten. Man lernt mit der Zeit, sich selbst in diese Richtung zu leiten.
SPOX: Ist die psychische Belastung, ständig hochkonzentriert sein müssen, enormer als man annimmt?
Fährmann: Definitiv. In dieser Hinsicht, auch was die Vorbereitung aufs Spiel angeht, habe ich viel mit meinem Mentaltrainer gearbeitet. Ich bewundere deshalb die Formel-1-Fahrer, weil man es eigentlich nicht schaffen kann, ein ganzes Rennen über voll konzentriert zu sein, ohne nicht doch einmal abzuschweifen. Verglichen mit dem Fußball ist das bei uns einfacher, gerade für einen Torhüter. Aber als Rennfahrer kommen die Kurven im Sekundentakt auf einen zu und dann muss man noch am Lenkrad herumfummeln - das ist schon eine nicht zu unterschätzende Leistung.
SPOX: Wodurch habe Sie denn eigentlich angefangen, sich für dieses Thema zu interessieren?
Fährmann: Ich habe früher mal das Buch "Der Wahnsinn liegt auf dem Platz" von Jens Lehmann gelesen. Darin schreibt er, dass er einmal ein Buch von Dr. Joseph Murphy gelesen hätte. Es heißt "Das Erfolgsbuch" und behandelt die Steuerung des Unterbewusstseins. Lehmann hat das nach der Lektüre dann so gut beherrscht, dass er morgens beim Aufstehen gar keinen Wecker mehr benötigt hat und sich verschiedene Abläufe bei ihm völlig automatisiert haben. Das hat mich neugierig gemacht.
SPOX: Mussten Sie sich anfangs zunächst dazu zwingen, die gewohnten Abläufe umzustellen?
Fährmann: Natürlich. Es gibt ja auch das alltägliche Beispiel, dass man nach Hause kommt, direkt zum Kühlschrank geht und sich etwas zu essen herausnimmt. Das macht man irgendwann selbst dann, wenn man gar keinen Hunger hat. Solche Dinge kann man schon leichter verändern, aber unter dem Strich geht das alles nur, wenn man auch offen für das Thema ist. Das ist typbedingt. Wer darauf keine Lust hat, kann es gleich sein lassen.
SPOX: Würden Sie sagen, dass es überall in den Vereinen psychologische Hilfe für die Spieler geben sollte?
Fährmann: Ich sehe es so: Jeder Fußballer hat den Anspruch an sich selbst , alles zu geben und alles für den Erfolg zu tun. Das kann man auf dem Feld oder im Kraftraum machen. Aber wieso sollte man nicht auch mal versuchen, sein Gehirn zu trainieren? Es gibt ja auch das Bewegungstraining Life Kinetik, vielleicht bringt das dem einen oder anderen mehr.
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