Robin Dutt war sichtlich bemüht, die positiven Dinger herauszustreichen. Auf der Pressekonferenz nach dem ernüchternden 1:1 gegen den SC Freiburg verwies Werders Trainer auf ein paar ordentliche Statistiken und auf die Kampfkraft und Moral seiner Mannschaft.
Also auf das, was in dieser immer noch jungen Saison bisher ganz gut funktioniert hat bei Werder Bremen. Es ist dieser kleine Ausriss, auf den sich das Bremer Vertrauen derzeit beschränkt. "Mit diesen Leistungen kannst du dauerhaft nicht unten stehen", sagte Dutt, dessen Mannschaft schon zum sechsten Mal einen Rückstand noch egalisieren konnte. Was im Umkehrschluss aber auch heißt, dass sie davor sechs Mal in Rückstand geraten war.
"Es ist kurios, aber dieser Tabellenplatz hat nullkommanull mit unseren Leistungen zu tun. Wir machen nicht mehr Fehler als andere, die ein paar Plätze besser stehen als wir. Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass wir es packen", sagte Dutt. Er formulierte seine Sätze mit tiefer Überzeugung. Auf seine Kritiker wirkten sie wie die schale Moderation zwischen Anspruch und Realität.
Den Wandel verschlafen
Es gibt nicht wenige, die das als größtes Bremer Problem der vergangenen Jahre ansehen. Werder hat zu lange in einer anderen Zeit gelebt. Als es vielleicht sechs oder sieben Mannschaften gab, die das Potenzial hatten, sich für einen europäischen Wettbewerb zu qualifizieren. Da war Bremen mit seinem kreativen Fußball und seinen herausragenden Individualisten den meisten anderen Teams überlegen. Die Kreativität ist aber längst verfolgen und die Stars kicken bei anderen Mannschaften.
Neue Konzeptionen gab es jahrelang nicht, zeitlich kam die Trennung von Thomas Schaaf zu spät. Den Wandel haben sie in Bremen verschlafen. Mittlerweile schreibt sich ein gutes Dutzend Vereine halbwegs glaubhaft auf die Fahne, den Weg nach Europa antreten zu wollen. Und auch zu können.
Unter anderem Mainz, Hannover, Mönchengladbach, Frankfurt, Freiburg und Wolfsburg haben sich in den letzten vier Jahren für den Europapokal qualifiziert. Werder hat diese Klubs einst alle weit hinter sich gelassen. Mittlerweile haben sie die Bremer nicht nur in der Tabelle überholt.
"Ich bleibe dabei: Unsere Mannschaft hat sich weiterentwickelt, sie spielt besseren Fußball als in der letzten Saison", sagt Thomas Eichin. Die Einordnung der Kräfteverhältnisse in der Liga ist aber die entscheidende Botschaft. "Allerdings hat sich auch die Konkurrenz verbessert."
Die Liga ist - abzüglich der Bayern - auf ihrem Leistungsniveau enger zusammengerückt. Die Bremer Fortschritte sind also allenfalls Standard im Vergleich zu den anderen 17 Klubs. Und offenbar nicht ausreichend, um eine gesicherte, ruhige Saison zu spielen.
Ernüchternde Zahlen
Die Zahlen lesen sich mal wieder ernüchternd: Kein Sieg aus sieben Spielen, der schlechteste Start seit 44 Jahren, die Gegentorflut, der letzte Tabellenplatz mitten in einer Saison - das gab es zuletzt vor 16 Jahren. Werder verfällt in alte Muster, auf und neben dem Platz. Dass sich die Verantwortlichen in ihrer Analyse geirrt hätten, die Mannschaft in ihrer Entwicklung weiter eingeschätzt hätten - das gab es vor wenigen Tagen oft zu hören. Aber auch schon vor gut zehn Monaten.
Da gingen die Bremer weg von ihrem Defensivkonzept und läuteten eine neue Entwicklungsstufe ein. Die Konsequenz daraus war ein Punkt aus fünf Spielen mit 20 Gegentoren. Das wundersame 1:0 gegen Leverkusen am letzten Spieltag der Vorrunde war ebenso sportlich wie emotional wichtig für die Mannschaft und ihren Trainer. Ein Befreiungsschlag vor der Winterpause.
Auf den wartet die Mannschaft jetzt sehnsüchtig. Nicht nur Berufspessimisten erinnert die Bremer Lage bereits an die des 1. FC Nürnberg vor einem Jahr. Da schaffte der Club in der kompletten Vorrunde keinen einzigen Sieg. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Mannschaft demnächst wieder etwas mehr Augenmerk auf eine solide Defensive legen wird. Eine Rolle rückwärts, wie in der letzten Saison.
Dutts Versuche verpuffen wirkungslos
Gegen Freiburg kündigte Eichin recht selbstbewusst den ersten Saisonsieg an. Nach dem Remis sprach Zlatko Junuzovic dann vom Tiefpunkt seiner Zeit in Bremen. Was gleichzusetzen ist mit dem Tiefpunkt für die gesamte Mannschaft. Die Arbeit von Robin Dutt rückt deshalb verstärkt in den Fokus.
Nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern der Art des Bremer Fußballs. Der ist wankelmütig, wenig stringent, fehlerbehaftet, unkreativ. Vielleicht trifft das auch auf Dutt zu. Der ist ein erwiesener Fachmann, ein guter Verwalter. Aber er offenbar ist nicht in der Art kreativ, dass er Lösungen für einen mittelprächtig bestückten Kader findet.
Dutt versucht einiges, aber kaum etwas davon fruchtet. Gegen Freiburg zog er Junuzovic aus dem Zentrum, brachte Eljero Elia als zweite Spitze, setzte wieder auf das Innenverteidigerduo Lukimya-Prödl. Er wird dafür seine Gründe haben, der Erfolg erwies sich aber mal wieder als bescheiden.
Hat jeder die Situation erfasst?
Jetzt fehlen der Mannschaft dazu auch noch die dreckigen Punkte, die sie in der vergangenen Saison noch einkassieren konnte. Mit Leidenschaft, Willen und einer guten Portion Glück. Drei, vier Spiele waren da dabei, nach denen keiner so genau wusste, warum Werder nun als Sieger vom Platz ging.
In dieser Saison gab es schon einige enge Spiele, gewonnen hat die Mannschaft davon aber noch keins. Das macht auf der einen Seite Hoffnung, weil man ja durchaus mithalten kann mit fast jedem Gegner. Auf der anderen Seite stehen vier von 21 möglichen Punkten. Das wirft unweigerlich die Frage auf, wie die Mannschaft mit dem bisherigen Saisonverlauf umgeht. Nicht jeder spricht die Dinge dabei so klar und unmissverständlich an wie Zlatko Junuzovic.
So lange einige Spieler nicht schonungslos die Situation analysieren, die wenigen positiven Signale über den Großteil der Verfehlungen stellen, wird sich nichts ändern. Nicht in zwei Wochen bei den Bayern und auch nicht in der Partie darauf, ein Freitagabendspiel zu Hause gegen den 1. FC Köln. Es bedarf keiner großen Phantasie zu erahnen, dass dieses Spiel ein ganz besonders wichtiges werden dürfte.
"Ich traue der Mannschaft zu, dass sie eine Serie starten kann", sagt Lukimya mit Blick auf die Partie gegen Köln, Mainz, Stuttgart, Hamburg und Paderborn, die auf das Bayern-Spiel folgen. Der Mannschaft ist aber genauso zu zuzutrauen, dass sie die bereits laufende Serie einfach verlängert. Dass lediglich "zwei, drei Prozent" fehlen würden, ist eine einigermaßen optimistische Einschätzung des Innenverteidigers.
Zu große Leistungsschwankungen
Die Fans haben sich längst verabschiedet vom Eventfußball der fetten Jahre, als ein 2:0 über Duisburg schon als langweilige Stangenware galt. Die Zuschauer in Bremen sind auch jetzt bemerkenswert geduldig und leidensfähig. Aber sie sind nicht blind. Vereinzelten Pfiffen während den Spielen folgten am Wochenende gegen Freiburg nach dem Abpfiff deutlich hörbare Unmutsäußerungen aus den Oberrängen.
Das gab es vereinzelt auch schon in der abgelaufenen Saison. Was neu ist: Die Zuschauer sehen einer Mannschaft bei ihrer Arbeit zu, die nicht mehr in der Lage ist, 90 Minuten auf einem mehr oder weniger gleichbleibend ordentlichen Niveau zu agieren. Die Leistungsschwankungen während einer Partie sind enorm, wenigstens die Hälfte eines Spiels verschläft die Mannschaft zielsicher.
Werder ist zu einer jener Mannschaften geworden, die sich gegen andere aufreiben und wehren müssen, um zu einem erklecklichen Ertrag zu kommen. Dass Robin Dutts Team mal ein Spiel dominiert, dem Gegner seinen fußballerischen Plan aufdrückt und konzentriert bespielt, ist schon lange nicht mehr vorgekommen.
Bremen ist immer dann gut im Spiel, wenn es den Gegner auf sein Niveau zerren kann. Wenn es die Gegenspieler in viele Zweikämpfe leitet, wenn es hektisch wird. An den grundlegenden Tugenden gibt es wenig auszusetzen. Aber der Mannschaft fehlt eine Idee, wenn darüber hinaus mehr gefragt ist. Das liegt an den Spielern, von denen nur wenige gehobenes Bundesligaformat mitbringen.
Es fehlt an Kreativität
Junuzovic ist mit seiner Art ein echter Anführer, vielleicht der beste seit den guten Tagen von Torsten Frings. Aber der Österreicher stößt fußballerisch auch an seine Grenzen. Andere wie Levent Aycicek sind entweder verletzt oder offenbar nicht gut genug für den 18er Kader. Oder entpuppen sich als großes Missverständnis. Wie Zwei-Millionen-Einkauf Ludovic Obraniak, der zwar einiges fordert, bisher aber kaum etwas zurückgezahlt hat und es momentan nicht mehr in den Kader schafft.
Ein Hoffnungsschimmer am Horizont ist die Tatsache, dass der Klub in seinem Kern kaum an Identifikation für seine Fans verloren hat. Werder ist Heimstatt geblieben, die Underdogmentalität wird weiter gepflegt. Nur eben auf einem anderen (Leistungs-)Niveau. Wie lange das noch so weitergeht?
Die handelnden Personen sind vergleichsweise neu im Klub und besitzen nicht den Stallgeruch, den ihre Vorgänger hatten. Das finden einige pikant. Auf der anderen Seite stehen mit Willi Lemke und Klaus-Dieter Fischer auch zwei Bremer Urgesteine in der Kritik. Das sind die kleinen Nebenkriegsschauplätze, die an der Marke SV Werder Bremen kratzen.
Identifikationsfiguren gesucht
Die Mannschaft soll deshalb wieder mehr mit Werder zu tun haben. Davie Selke oder Marnon Busch sind zwar erst seit kurzer Zeit Bundesligaspieler, gelten aber jetzt schon als Identifikations- und Hoffnungsträger. Andere wie Raphael Wolf, Santiago Garcia oder Nils Petersen bekennen sich zwar eindeutig zum Verein, spielen aber zu inkonstant. Clemens Fritz hört bald auf, Philipp Bargfrede ist ständig verletzt.
Werder büßt immer noch und bis auf weiteres für die Verfehlungen der letzten Jahre, als die zweite Mannschaft allenfalls schmückendes Beiwerk war. Aber ganz sicher nicht das Reservoir an Talenten, aus dem sich die Profis gerne bedient hätten.
Bei der U 23 wird wieder vernünftig gearbeitet, die personellen Umstellungen der letzten Jahre sollen auf Dauer wieder mehr Talenten den Weg zu den Profis erleichtern. Das ist ein Standbein des Bremer Wegs der Rückbesinnung. Aber darauf lässt sich aktuell nur schwer stehen.
Eichin will keine Trainerdiskussion
Noch sind 81 Punkte zu vergeben in dieser Saison und vielleicht stimmt es auch, dass der Mannschaft nur dieses eine Erfolgserlebnis fehlt, um wieder in die Spur zu finden. Oder wie es Junuzovic ausdrückte: "Wir müssen jetzt mal ein Spiel gewinnen. Scheißegal wie." Werder Bremen wandelt weiter auf dem eingeschlagenen Weg, eine Trainerdebatte steht derzeit nicht auf der Tagesordnung.
"Ich habe alle Geduld der Welt, so lange ich das Gefühl habe, dass die Mannschaft arbeitet, dass jeder für jeden alles gibt, dass zwischen Trainer und Mannschaft eine Geschlossenheit herrscht. Und die herrscht nach wie vor", stellte Thomas Eichin klar. Es ist nicht die Zeit für Aktionismus. Da bleiben sie sich in Bremen vorerst treu.
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